Der Dirigent und Komponist Péter Eötvös ist mit 80 Jahren verstorben. Sein musikalisches Schaffen ist auch in Dresden und Chemnitz sehr präsent.
Gleich zwei traurige Nachrichten haben die Musikwelt am vorletzten März-Sonntag überschattet: Neben dem Pianisten Maurizio Pollini ist auch der große ungarische Komponist und Dirigent Péter Eötvös verstorben. Völlig unerwartet und überraschend. Péter Eötvös ist erst Anfang Januar 80 Jahre alt geworden, war bis zuletzt voller Pläne und Schaffenskraft, soll aber bereits seit einiger Zeit krank gewesen sein. Die Nachricht von seinem Tod kam trotzdem sehr überraschend und hat traurig gemacht.
In der Spielzeit 2018/19 hat sich Péter Eötvös als Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle wiederholt in Dresden aufgehalten, wo er als Komponist und Dirigent eine große Präsenz ausgeübt hat. Das Orchester widmete ihm mehrere Konzerte sowie einen ausführlichen Aufführungsabend. Der Ungar fühlte sich in dieser Zusammenarbeit sehr wohl, wie er mehrfach betont hat, kam bei dieser Gelegenheit aber auch auf seine erste Begegnung mit dieser Stadt zu sprechen: „Als ich ein Jahr alt war, bin ich hier auf der Flucht mit meiner Familie angekommen, am Nachmittag des 13. Februar 1945. Und am selben Abend war die Stadt verschwunden. Aber wir haben überlebt, denn meine Familie hatte sich in einem Keller versteckt. Die Erzählungen über diese Nacht habe ich später noch sehr oft gehört; es war ein Glücksfall, dass wir das überhaupt überlebt haben.“
Ein Glücksfall auch für die Welt der Musik. Damals war er gerade ein Jahr alt. Am 2. Januar 1944 kam Eötvös in Siebenbürgen, im transsilvanischen Székelyudvarhely zur Welt. Der damals noch zu Ungarn gehörende Landstrich sowie die Traditionen der dortigen Musiksprache haben nachhaltig einen starken Einfluss auf die Kompositionsweise von Eötvös ausgeübt. Auch darauf hat er immer wieder gern hingewiesen: „Dadurch, dass ich in Transsilvanien geboren worden bin, kam schon in meiner Jugend eine Vorliebe für die transsilvanische Instrumentalmusik vor. Das hat nichts mit der sogenannten ungarischen Volksmusik zu tun. Es ist sehr weit davon entfernt. Das kommt sehr oft in meinen Stücken vor, natürlich verarbeitet.“
Péter Eötvös gilt als einer der meistgespielten Komponisten unserer Zeit, ist aber nicht ausschließlich von diesen Traditionen geprägt, sondern erfuhr seine wesentliche Prägung in der Nachfolge von Béla Bartók. Bereits als 14-Jähriger wurde er in die Kompositionsklasse von Zoltán Kodály an der Budapester Musikakademie aufgenommen und sah sich wenig später vor allem dem Stil von Komponisten wie György Ligeti und György Kurtág verbunden. Aus all diesen Einflüssen entwickelte Eötvös eine eigene, eine sehr persönliche Klangsprache, die sich im Laufe der Zeit im Grunde genommen ständig veränderte. Mit Anfang Zwanzig suchte der Komponist ganz bewusst nach neuen Wegen, verließ Ungarn und ließ sich von der künstlerischen Avantgarde um Karlheinz Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann und Maurizio Kagel inspirieren. Als herausragend erwies sich sein Engagement beim WDR-Studio für Elektronische Musik in Köln. Von Beliebigkeit konnte bei Péter Eötvös nie die Rede sein, dennoch ist es ihm in wunderbarer Weise gelungen, sich klanglich nie zu wiederholen.
Dass Eötvös oft und gern als Klangzauberer gepriesen worden ist, dürfte auf sein Bekenntnis zurückzuführen sein, dass Komponieren für ihn eine „Verzauberung der Zuhörer durch Klang“ bedeutete. Er wollte „das Unglaubliche zum Klingen bringen“. Just diese Vielseitigkeit und Experimentierfreude sind ganz wichtige Charakterzüge dieses Komponisten gewesen, dem neben zahlreichen Orchesterwerken und Solostücken auch faszinierende Kammermusik zu verdanken sind. Vor allem aber sein gutes Dutzend an Opern haben ihn weltberühmt gemacht, angefangen mit den »Drei Schwestern« nach Anton Tschechow, den »Angels in America« sowie »Liebe und andere Dämonen« nach Gabriel García Marquez bis hin zum »Goldenen Drachen« und zuletzt »Sleepless« nach einem Stoff des norwegischen Schriftstellers Jon Fosse.
In löblicher Weise hat sich die Oper Chemnitz um Eötvös’ OEuvre sehr verdient gemacht. Auf die 2009 erfolgte und vom Publikum enorm gefeierte Deutsche Erstaufführung seiner Oper »Love and Other Demons« folgte 2015 die Deutsche Erstaufführung von »Paradise Reloaded«, zudem war er als Dirigent seines Konzerts für zwei Klaviere zu erleben. Schon bald kommt in Chemnitz die 2021 in Berlin uraufgeführte Opernballade »Sleepless« heraus ((Premiere am 27. April)). In Dresden waren neben einem großen Komponistenporträt im Festspielhaus Hellerau sein Musiktheater »Der goldene Drache« und zahlreiche Orchesterwerke in der Semperoper zu erleben, 2018 bereits die Deutsche Erstaufführung von »The Gliding oft he Eagle in the Skies« sowie sein Violinkonzert »Seven«.
Als einer der vielseitigsten und zugleich profiliertesten Komponisten unserer Zeit übte er nicht minder souverän das Dirigentenhandwerk aus, nahm gern die Aufführungen eigener und fremder Werke in seine Hände. Mehrfach hat Péter Eötvös bekannt, dass er beide Berufe als ein und dieselbe Berufung ansieht. Er sei ein Glücksfall, diese zwei Seiten des Musikerberufes ineinander spiegeln zu können, obwohl er sich in den letzten Jahre verstärkt dem Komponieren gewidmet hatte und somit weniger Zeit fürs Dirigieren geblieben ist. Neben dem fortwährenden Lernen ist ihm ebenso das Lehren eine Herzenssache gewesen, insbesondere an der von ihm gegründeten Péter Eötvös Contemporary Music Foundation in Budapest. Für dieses Institut gab es große Pläne, dennoch war sich Peter seines Alters durchaus bewusst: „Jeder Tag ist ein Glücksfall, ich lebe so, dass ich alles, was ich bis jetzt gemacht habe, versuche, in Ordnung zu bringen und fertigzustellen. Also korrigieren, falls es nötig ist. Falls ich mal nicht mehr lebe, sollte kein halbes Stück dableiben. Ich arbeite sehr fleißig aber auch im dem Bewusstsein, dass jeder Tag für mich ein Geschenk ist.“