Intendantin Frauke Roth zieht eine positive Bilanz der Dresdner Philharmonie.
Fast 200.000 Gäste sind im vergangenen Jahr wieder in die Konzerte und sonstigen Veranstaltungen der Dresdner Philharmonie geströmt. Angesichts der immensen Einbußen durch die Corona-Pandemie ist dies eine stolze Bilanz für das Orchester und Intendantin Frauke Roth. Schließlich hat niemand absehen können, wie nachhaltig sich der Publikumsschwund gestalten würde, zumal den Menschen durch militaristisch begründete Inflationsschübe das Geld nicht eben locker in den Taschen sitzen dürfte.
Mithin war größte Skepsis angesagt, wenn es darum ging, wie sich das Publikumsverhalten nach der Corona-Pandemie entwickeln würde und mit welchen Mitteln neues Publikum für die Klassikkonzerte erwärmt werden sollte. Werden die Menschen wohl in gewohntem Maße wieder in die Konzertsäle und Theater zurückkommen? Eine Skepsis, die durchaus auch Frauke Roth lange Zeit umgetrieben hat. Umso beglückter wirkt die Intendantin der Dresdner Philharmonie, wenn sie nun im Gespräch eine stolze Bilanz zieht: „Ich freue mich sehr, dass wir jetzt an einem Frühjahrswochenende 4.500 Besucher in drei Konzerten hatten. Das heißt, wir knüpfen jetzt wieder da an, wo wir im März 2022 leider schließen mussten. Und kommen wirklich auf eine Auslastung von knapp 90 Prozent, es sind genau 88, aber das Jahr ist ja noch jung, insoweit schaffen wir vielleicht die 90 in 2024 wieder.“
Eine Hoffnung, die ganz offenbar durch die aktuell vorliegenden Zahlen bestärkt wird. Nur bei den Gründen für die Rückkehr des Konzertpublikums kommt auch die Intendantin erst einmal ins Spekulieren: „So ganz genau können wir das noch nicht auslesen. Wir merken, dass seit diesem Jahr der Besucherzuspruch enorm angezogen hat. Natürlich glauben wir an diesen Saal, glauben wir an dieses Orchester und dieses Gemeinschaftserlebnis. Aber dass der Funke wieder in so großen Zahlen auf unsere Besucher übergesprungen ist, das kann ich nicht eindeutig zuordnen.“
Saal und Orchester sind gewissermaßen Form und Inhalt für das Konzertpublikum, also ganz entscheidende Kriterien für den wiedergewonnenen Zulauf. Die kräftezehrende Kulturabstinenz während Corona dürfte eine weitere wichtige Rolle spielen. Bei vielen Menschen gibt einen Heißhunger auf Kultur und Konzert. Frauke Roth ist selbstbewusst und führt diesen Zuspruch auch auf das hochkarätige Angebot zurück. „Ich glaube, Saal und Orchester oder Angebot und Publikum, das gehört hier ganz eng zusammen. Das Publikum umschließt das Orchester, der Saal ist das Instrument des Orchesters geworden. In den letzten fünf Jahren hat das Orchester eine enorme Qualitätssteigerung hingelegt, das will ich allerdings nicht nur Saal und Orchester zuordnen, sondern natürlich auch Maestro Marek Janowski.“
Der bisherige Chefdirigent der Philharmonie hatte das Orchester kräftig auf den 2017 eingeweihten Saal eingeschworen und die Feinheiten dieses „Instruments“ mehr und mehr entdecken lassen. Wiederholt sprach er von Weltklasse sowohl in architektonischer als vor allem auch in akustischer Hinsicht. Was aber kaum genügen dürfte, zumal die Philharmonie nun bis zum Amtsantritt von Donald Runnicles erst einmal ohne künstlerischen Chef dasteht. Frauke Roth und ihr Team wollten es daher genauer wissen: „Wir haben sehr viele Besucherbefragungen gemacht und auch Nicht-Besucher befragt – und die zeigen uns einen Trend, den ich als Megatrend bezeichnen würde, dass die Menschen kurzfristiger buchen, dass sie sich nicht für große Abos neu binden, sondern eher für kleinere Pakete wie Wahlabos, eben auch Formate, die kürzer sind, und dass durchaus von einem breiten Publikum niedrigschwelligere Angebote geschätzt werden.“
All dies solle zwar keinen Abschied vom klassischen Konzertangebot bedeuten, doch in Einzelfällen immerhin den Ersatz bisheriger Programmhefte durch Apps, QR-Codes und andere digitale Angebote. Der signifikante Rückgang von Abonnementenzahlen könne durch Einzelverkauf wettgemacht werden, um so das Einnahmesoll zu halten, verspricht Frauke Roth, die betont, sich für die neuen Angebotsformen nicht verbiegen, sondern vielmehr mit der Zeit gehen zu wollen. Längerfristige Publikumsbindung müsse jetzt durch neue Präsentationsformen erreicht werden. Stichwort »Abgefrackt«, eine vor Jahresfrist ins Leben gerufene Konzertreihe.
„»Abgefrackt« hat im März sein einjähriges Jubiläum gefeiert“, so Frauke Roth. „Dafür waren zwei Erkenntnisse nötig. Erstens: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht mir, da muss man sich eben als Intendantin auch mal zurücknehmen. Und zweitens, dass diese geradlinige Weitergabe von Kenntnis, von Expertise über Werke, Solisten und so weiter heute nicht mehr in dem Maße besteht, wie sie bis vor einigen Jahren noch bestand.“ Damit solle ein jüngeres Publikum erreicht werden, das die klassische Musik für sich erst noch zu entdecken habe. Die Reihe »Abgefrackt« beinhalte Kurzkonzerte der Dresdner Philharmonie, in denen dem Publikum Roth zufolge „ambitionierte Werke“ präsentiert werden. Das Format gehe nur eine Stunde, werde nicht durch ein Programmheft, sondern die sogenannte Wolfgang-App begleitet, die „niedrigschwellig“ durchs Programm führe.
Für Orchester und Publikum gilt dabei: Konzertbesuch ohne Frack und ganz leger. Bei aller Lockerheit solle das künstlerische Angebot aber immer höchsten Qualitätsansprüchen genügen, hebt die Intendantin hervor.
Bevor die Philharmonie Mitte April zu einer Konzertreise nach Großbritannien startet, wo sie Werke von Mussorgski, Schostakowitsch und Tschaikowski aufführen wird, ist dieses Programm bereits übermorgen im Dresdner Kulturpalast zu erleben.