Der erste laue Frühlingsabend nach einer längeren Kälteperiode, an dem die Studierenden der Opernklasse an der Hochschule für Musik Dresden ins Kleine Haus des Staatsschauspiels zur Premiere laden: Wolfgang Amadeus Mozarts »La Finta Giardiniera« steht auf dem Programm.
Draußen klirren die Sektgläser, die ersten Aperol Spritz werden genossen, während man anhand der sprachlichen Klangwolke, die sich da über die Terrasse zieht, eine dialektale Reise quer durch Deutschland und weit in die Welt antreten kann. Es sind nicht nur Familie und Freunde, die da in freudiger Erwartung beim Apéritif versammelt sind, sondern freilich auch Lehrende der Hochschule, deren Studierende in der diesjährigen Opernproduktion Bühnenluft schnuppern, nein, inhalieren dürfen. Neugierig hat sich auch die designierte Semperopern-Intendantin Nora Schmid unter die Gäste gemischt.
Draußen also Schaumwein und Frizzante, drinnen gibt es Perlendes und Prickelndes – allerdings vor allem in Form der sieben jungen Stimmen, die sich an diesem Abend dem Publikum präsentieren. Groß ist die Fallhöhe von der Abendsonne vor der Tür zur Fehde zwischen den Protagonisten drinnen, gleich in der ersten Szene. Noch ehe die Ouvertüre erklingt, beginnt die Vorgeschichte zur Handlung, in der die Gräfin Violante von ihrem geliebten Graf Belfiore verprügelt, niedergeschlagen und einfach liegen gelassen wird – er meint, sie sei tot, und flüchtet. Der Diener der Gräfin rettet sie schließlich, wohlwissend, dass beide unter falschem Namen als Sandrina und Nardo ein neues Leben beginnen müssen. Das tun sie auch – auf dem Landgut vom Bürgermeister Podestà, dessen Haushälterin und eigentlich versprochene Gattin Serpetta die neue Konkurrenz so gar nicht gefällt.
Wie in jeder verwirrt-verwobenen Opernhandlung gibt es noch einen dritten im Bunde: Ramiro, eigentlich eine Hosenrolle, in der Dresdner Produktion allerdings eine Ramira. Die ist aber gar nicht an Sandrina interessiert, sondern eigentlich nur an Arminda, der Nichte des Bürgermeisters, die für ihre Hochzeit mit dem Grafen Belfiore (wir erinnern uns: der Übeltäter vom Beginn) angereist kommt. Beinahe wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film kann sich die Mehrheit im Zuschauerraum auch zu Beginn schon diverse Varianten ausmalen, wie die Lage am Landgut innerhalb kürzester Zeit maximal katastrophal werden könnte. Ein kurzer Spoiler: ziemlich genau alle Worst-Case-Szenarien passieren eins zu eins so, wie es sich in einer Oper rund um mehrere parallele Liebesdramen gehört. Zu guter Letzt aber finden sich alle Figuren dort wieder, wo sie hingehören. Und die zu Beginn gescheiterte Beziehung des toxisch maskulinen Grafen? Gott sei Dank verzeiht Sandrina ihm nicht und geht ihren eigenen Weg. Jedes andere Ende wäre eine falsche Botschaft für die Welt im Heute.
Apropos Welt im Heute: die Regisseurin Susanne Knapp schafft eine Realität, die in allen Bildern Seelenräume öffnet bzw. „innere Zustandsräume der Menschen“ darstellen soll, wie sie im Programmheft schreibt. Sie verwebt Kindheitsgedanken mit der Erwachsenenwelt, flicht Traumwelten in kahle Wände und lässt Paradiesgärten zu Wohnzimmern eines Seins werden, das wiederum so fern scheint, dass Utopie und lustvolle Sehnsucht einander die Hand reichen müssen. Das vielfältig einsetzbare Bühnenbild der HfBK-Studentin Pauline Malack dient den Figuren als Türöffner von der einen zur anderen Wirklichkeit – ein Ort des Wandels, der mit dem Innenleben der Figuren mitzuatmen scheint, aber auch als gewöhnliches Zimmer eingesetzt werden kann. Dass es eine bespielbare Brücke über den Orchestergraben zum Zuschauerraum gibt, zeugt umso mehr davon, dass die Verwirrungen dieser Liebesgeschichten, die ja nicht nur romantisch zu sehen sind, genau so gut in das Hier und Jetzt passen, wie sie vor rund 250 Jahren von Mozart vertont wurden.
„Die Liebe ist eine verrückte Sache. Ich verstehe das nicht“. – Nardo (Nico Lindheimer) fasst das Bühnengeschehen bereits im ersten Akt sehr treffend zusammen. Überhaupt passiert sehr vieles, das erst durch die Dialogfassung von Susanne Knapp schlüssig wird. Dass diese großteils in Umgangssprache gebrachten Ideen so gut funktionieren, hat die Regisseurin hier insbesondere der Spielfreude der Studierenden zu verdanken: die zahlreichen Pointen leben von der herausragend guten Artikulation des Ensembles, das hier die doppelte Herausforderung (singen und sprechen, oftmals direkt nacheinander) bravourös meistert. „Traue nie einer Frau“ – „Und den Männern kann man trauen?“ – „Traue einfach niemandem!“ – Man kann diese Konversationen als Lektion für’s Leben verstehen, die sie an ihr junges Selbst weitergeben wollen. Generell überzeugt der Regieeinfall, für alle Protagonisten Kinderfiguren (entzückend gesungen und beeindruckend gespielt: Kinder der Nachwuchsförderklasse der HfM!) zu kreieren, die je für ihr „großes“ Doubles gleichermaßen Spiegel, Mahnung und Quelle der Melancholie sind. Mit ebendiesen Kindern wird bereits die Ouvertüre zu einem fröhlichen Reigen, in dessen Entwicklung nach und nach vier Damen eintreten (Studiengang Rhythmik), die als geschmeidige Musen einer Vorahnung, teils auch einer übergeordneten Kraft und Energie fungieren. Die Ensemblenummern, die in »La Finta Giardiniera« bei Weitem nicht so komplex wie etwa jene des viel späteren »Figaro« sind, harmonieren bei ausgewogener Balance, wenngleich sich die Kommunikation mit dem Graben auch da als oftmals schwierig herausstellt. Dennoch hält der Dirigent Ekkehard Klemm Sänger und Orchester mit forderndem Schlag gut zusammen. Die Transparenz in den Streichern ist fast durchweg gegeben, die Holz-Riege betört mit schillernden Farben und klarer Intonation.
Durchwegs sehr gut bis ausgezeichnet singen und spielen die sieben solistischen Partien, allen voran die Titelrolle, also die „Gärtnerin aus Liebe“. Die Stimme der Sopranistin Xiang Li strahlt und funkelt, mit schimmernden, großen Linien und weiten lyrischen Phrasen – soviel die Partie eben hergibt. Vom unteren Passagio bis in die glockenreinen Höhen, in das Jenseits jedweder menschlichen Vorstellung beherrscht sie ihr Instrument und lässt in vielen Momenten Großes vorfühlen: da hört man schon eine Pamina, gar eine spätere Sophie durchblitzen und -scheinen, insbesondere, wenn die Sicherheit in der mimischen Gestaltung auf der Bühne noch größer und bewusster wird. Dem Grafen Belfiore, der ja zu Beginn beinahe zum Frauenmörder wird, leiht András Adamik seine Stimme. Es ist extremer Körpereinsatz, der dem Tenor von der Regie abverlangt wird – seine stabile, sehr verlässliche Stimmführung kommt Adamik da zugute und sowohl in seinen Soloszenen als auch in den (wenigen) Ensembles überzeugt er mit durchwegs klarer Aussprache und vielfärbiger Gestaltung. Eine ebenfalls etwas undankbare Rolle hat Chao Wang: als Bürgermeister und Onkel der köstlich komisch porträtierten Arminda (insbesondere komödiantisch eine Freude für das Publikum: die höhensichere Lisa Trentmann) fehlt ihm zwar stimmlich noch das Format, um durch das Stück tragen zu können; darstellerisch aber ist dieser Podestà sehr ordentlich besetzt. Ramira (in dieser Produktion eine Art Fusion aus weiblicher und Hosenrolle) wird von Anna Maria Tietze interpretiert. Der Mezzosopranistin gehört auch die erste große Szene des Abends, die sie sofort nutzt, um ihre beeindruckend saubere Agilität und zugleich in allen Registern auf den Punkt präsente Weichheit zu zeigen. Frisch und kokett präsentiert sich Nantia Toliou, deren souveräne Serpetta im positivsten aller Sinne luftig und auffallend gut intoniert über die Bühne und auch durch den Zuschauerraum fegt. Als einer der besonders beeindruckenden Momente des Abends stellt sich die Arie des Nardo im zweiten Akt heraus: Nico Lindheimer gibt hier eine ungemein gewitzte und doch tiefgreifend ehrliche Kostprobe seiner Fähigkeiten als grandioser Sänger-Schauspieler.
Weitere Vorstellungen: 30. April, 19 Uhr (Premiere B); 4., 8., 12., 16., 23. und 26. Mai. Tickets ausschließlich über den Vorverkauf des Staatsschauspiels im Schauspielhaus Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 12-18.30 Uhr, im Kleinen Haus Mo-Fr 14-18.30 Uhr, unter Tel. (0351) 49 13 555, online oder an der Abendkasse.