In den Tagen vor unserem Gespräch hat sie an einem Abend die Musetta in Puccinis »La Boheme«, am nächsten die Susanna in »Le Nozze di Figaro« gesungen – und nicht mal 24 Stunden später stand die Sopranistin Nikola Hillebrand bei einem Liederabend im Konzertsaal der Dresdner Musikhochschule auf der Bühne. Warum sie nie Zweifel an ihrer Berufung hatte, wie sie die Pandemie für sich nutzen konnte und weshalb sich Lied und Oper die Hand reichen können, erzählt die 31-Jährige im Interview mit Irina Maria Antesberger.
Die Frage, wie Sie zum Singen kamen, wird Ihnen sicher sehr häufig gestellt, deshalb erst einmal: was hält Sie eigentlich trotz der immensen Belastungen in diesem Beruf?
Ja, die erste Frage kommt tatsächlich in jedem Interview – und ich sage dann als Antwort immer: „Das Singen ist eigentlich zu mir gekommen und nicht ich zum Singen.“ Ich komme aus keiner Musikerfamilie, und trotzdem ist die Musik immer schon quasi aus mir „herausgeflossen“. Nach meiner ersten Ballett-Aufführung sind alle Kinder schon nach draußen gelaufen und wollten wieder spielen, nur ich habe zu meiner Mutter gesagt: „Nein, Mama, warte! Ich muss nochmal alleine auf die Bühne – die ist jetzt frei.“ Für meine Mutter war das ein Schlüsselmoment: dieses Kind will auf die Bühne. Und nun zurück zur Frage, warum ich dabei geblieben bin: ich bin ja mit 17 schon für’s Jungstudium nach München gegangen und ab dieser Zeit gab es einfach keine Zweifel mehr, keine Fragen. Viele Leute rieten mir dann, dass ein ‚Plan B‘ zur Absicherung schon gut wäre, aber ich hab immer gesagt: „Will ich nicht, brauch ich nicht, Das ist es!“
Mit der Saison 2020/21 sind Sie fest nach Dresden gekommen, ans Ensemble der Semperoper – ein Orts- und Jobwechsel zu einem Zeitpunkt, an dem die Corona-Pandemie kurzzeitig als besiegt galt und dann plötzlich doch wieder nicht.
Es gab eine Phase, in der ich dachte: „Was ist denn, wenn es nie wieder so wird wie früher, wenn das Kulturleben nie wieder so stattfinden können wird?“ Vor allem aber hab ich wahnsinnig gelitten unter diesem Entzug, nicht mehr gemeinsam mit den Kollegen, dem Orchester, den verschiedenen Dirigenten usw. musizieren zu können, auf der Bühne zu stehen, diese Energie vom Publikum spüren zu können. Erstmal war natürlich die Phase, in der ich mir dachte: „Oh, ich hab grad so viel Zeit!“ Da hab ich dann viel Kuchen gebacken und es war so toll, keine Termine zu haben, sich den Tag selber einzuteilen, … und dann hab ich irgendwann gemerkt: das ist wie Trauer. Als würde ich jemanden unfassbar vermissen, wie eine Person. Dabei war es mein Beruf, den ich so vermisst habe. Etwas Gutes aus der Zeit war, dass ich endlich den Raum hatte, nochmal einen Schritt zurückzugehen und zu überlegen: wo ist denn hier noch eine Baustelle? Wo gibt es denn noch was zu arbeiten?
Mittlerweile ist Ihr Terminkalender ja auch wieder gut gefüllt – auf der Plattform Instagram kann man Ihren Weg gut verfolgen. Sie nehmen sich immer wieder Zeit, erzählen auch gern mal ins Handy, was Sie gerade proben oder was ansteht.
Die sozialen Medien sind für mich eine Möglichkeit, den Leuten zu zeigen, dass ich auch nur ein Mensch bin. Und ich kann ihnen so die Möglichkeit geben, hinter die Kulissen zu schauen. Viele sehen uns auf der Bühne mit glamourösen Kleidern und tollem Glitzerschmuck – aber das ist eigentlich der kleinste Teil des Berufs. Den Großteil meiner Zeit verbringe ich reisend, studierend, probend oder im Übezimmer. Diese Art, das Publikum am Alltag teilhaben zu lassen, hat sich in meiner Generation der Sänger entwickelt. Man muss sich also überlegen: möchte ich die Zuschauer daran teilhaben lassen? Ich finde es total legitim zu sagen, dass man das nicht möchte. Ich habe mich aber dafür entschieden. Da lerne ich oft so tolle Leute kennen. Oder dass man nach dem Konzert die Chance hat, sich miteinander auszutauschen. Ich sehe das alles auf jeden Fall als positiv an, auch wenn es zeitintensiv ist und man sich immer Platz dafür schaffen muss.
Wäre die Welt des klassischen Gesangs sonst vom Aussterben bedroht?
Das ist schwierig zu beurteilen, weil wir in einer Art Blase sind. Aber ich schaue oft ins Publikum und bin erstaunt über den Altersdurchschnitt. Da sind ganz viele junge Leute! Klar gibt man auch Liederabende mit 150 Leuten im Publikum. Aber das ist schon immer eine Nische gewesen. Nach Corona gab es erst einmal eine große Zurückhaltung, aber mittlerweile ist es eigentlich wie früher. Die Leute kommen spontaner, es kommen neuerdings viele Kurzentschlossene… Ich sehe das alles eigentlich ganz optimistisch.
Hier in Dresden arbeiten Sie momentan gemeinsam mit dem Pianisten Alexander Fleischer mit Studierenden der Liedklasse an der Hochschule für Musik. Wie ist das, mit jungen Menschen zu arbeiten, wenn man selbst noch jung ist?
Als die Einladung von Olaf Bär kam, dachte ich mir kurz: „Ok, das ist schon früh, aber man muss ja auch irgendwann damit anfangen.“ Und irgendwo ist es ja eigentlich ein Vorteil, dass bei mir die Hochschule auch noch gar nicht so lange her ist – ich habe 2016 meinen Abschluss gemacht, deswegen weiß ich auch noch genau, wie es den Studierenden geht und wie viel in meinem Kopf Platz haben musste. Ich weiß noch genau: ich hatte jede Woche Liedklasse und habe dafür immer ein oder zwei Lieder vorbereitet, mehr ging gar nicht. Und jetzt, wo ich schon längere Zeit im Beruf stehe, hat das eine ganz andere Dimension bekommen. Ich habe alleine im April sechs Liederabende mit fünf verschiedenen Programmen gesungen – und dazwischen habe ich in Dresden die Pamina in der »Zauberflöte« gesungen, wir haben die Serie der »Frau ohne Schatten« beendet, und so weiter… – und das ist dann schon lustig, wie sich alles so relativiert. Ja, Rhythmus – Melodie – Dynamik… – ich nehme das sehr ernst, was in den Noten steht. Aber dann darf und sollte man seine eigenen künstlerischen Farben einbringen. Das finde ich spannend: die Studierenden und ich sind in gewisser Weise nah aneinander, aber ich bin eben schon diesen einen Schritt weiter und versuche, ihnen zu helfen, sie hoffentlich auch ein bisschen zu inspirieren und zu ermutigen, sich in der Gestaltung auch mal Freiheiten zu nehmen.
Was gibt Ihnen das Lied, was Sie nicht von der Oper bekommen, und umgekehrt?
Beide Genres zu machen, ist ein Geschenk. Die Abwechslung ist für die Stimme total hygienisch. Meine Agentin und ich bauen meinen Kalender auch immer so, dass sich das gut abwechseln kann, denn: auf der Opernbühne müssen wir immer Dampf geben, wir müssen immer fokussiert singen, brauchen viele Obertöne, dass es einfach trägt. Ein piano auf einer Opernbühne ist etwas anderes auf der Bühne bei einem Liederabend – und wenn man beides machen will, muss man Flexibilität haben. Oper ist mein Zuhause; die Bühne, Kostüme, in eine Rolle zu schlüpfen, … das ist meine Essenz. Aber: Lied darf man doch nicht verpassen! Oft sind es die leisen Stellen, die uns wirklich bezaubern, wenn man im Publikum fast vergisst, zu atmen. Da können sie sich die Hand geben, Oper und Lied.
Wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass Sie als Sängerin in der Öffentlichkeit stehen?
Das war, als ich eingesprungen bin – hier in Dresden, als Adele. Da gibt es dieses Video vom Silvesterkonzert an der Semperoper mit Jonas Kaufmann. In der Straßenbahn habe ich danach gemerkt, dass mich jemand anguckte. Ich dachte noch: „Warum schaut der so?“ – und da habe ich verstanden: das hatten zwei Millionen Menschen im Fernsehen gesehen.
Ist das in Dresden nun anders als in Mannheim, wo Sie bis 2020 Ensemblemitglied waren?
Durch Zufall habe ich eine Wohnung gefunden, die weit genug weg von der Semperoper ist und die fast schon im ländlichen Bereich liegt. Ich bin ja wirklich ein Naturmensch, ich liebe Wasser, Bäume, die Berge. Oft will ich nur den Wind hören, wie er durch die Blätter rauscht. Diese kleine Oase werden wir beibehalten, auch wenn ich ab der nächsten Spielzeit freischaffend arbeiten werde und nicht mehr fest an der Semperoper.
In den nächsten Monaten steht ja schon wieder einiges an – auf Ihrem Kalender findet man unter anderem ein Debüt bei den Bregenzer Festspielen.
Ich freue mich in den nächsten Wochen erstmal darauf, dass der Kalender nicht ganz so voll ist, wie er es im April und Mai war – vor allem, weil ich mich jetzt auch wieder dem Studium widmen muss. Für die nächste Spielzeit freue ich mich vor allem auf Paris, wo ich an der Opéra Bastille die Pamina singen darf. Und dann natürlich: Zürich, wo ich Susanna in »Le Nozze di Figaro« singen werde, die im Moment tatsächlich meine liebste Rolle ist. Ich freue mich total drauf, diese für mich neuen Häuser kennenzulernen, neue Leute zu treffen, diese Städte zu spüren… Wenn man irgendwo nur zwei Tage ist, kann man ja nicht sagen, dass man dort war. Aber bei sechs Wochen – da bekommt man ein Gefühl für die Stadt. Das wird spannend.
Vielen Dank für das Gespräch!