Internationale Schostakowitsch-Tage gibt’s nur in Gohrisch, ein Schostakowitsch-Festival plant aber auch Leipzig. Die dortige Oper hat nun eine Neuinszenierung der »Lady Macbeth von Mzensk« herausgebracht.
Das Schostakowitsch-Jahr 2025 steht erst noch bevor, wir sind jetzt schon gespannt, was die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch zum 50. Todesjahr des Komponisten ins Programm setzen werden. Noch vor dem Jahrgang 2024, der vom 27. bis zum 30. Juni ansteht (und am Vorabend mit einem Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle eingeleitet wird), hat die Oper Leipzig auf das dortige Schostakowitsch-Festival hingewiesen, das im Mai 2025 vom Gewandhausorchester mit dem Boston Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung ihres gemeinsamen Musikchefs Andris Nelsons ausgerichtet werden soll. Der lettische Dirigent saß jetzt zur Premiere der »Lady Macbeth von Mzensk« mit im Publikum und wird im kommenden Frühjahr neben sämtlichen Sinfonien und Solokonzerten auch diese Oper des 1975 verstorbenen Komponisten in Leipzig dirigieren.
Damit wird die lange Verbindung von Leipzig und Schostakowitsch fortgesetzt: 1950 besuchte der Komponist die Stadt zu den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Todestages von Johann Sebastian Bach und wurde dort umgehend zu seinen 24 Präludien und Fugen inspiriert. 1965 gab es hier die DDR-Erstaufführung seiner Oper »Katerina Ismailowa« durch Regisseur Joachim Herz, später initiierte Gewandhauskapellmeister Kurt Masur einen vielbeachteten Zyklus mit den Sinfonien von Beethoven und Schostakowitsch.
Die 1932 in Leningrad herausgekommene »Lady Macbeth von Mzensk« ist bekanntlich die Urfassung dieses auf eine Novelle von Nikolai Leskow zurückgehenden Werkes. Als »Katerina Ismailowa« kam es erst 1963, lange nach einer vernichtenden Kritik durch Stalin heraus (Stichwort: »Chaos statt Musik«) und war inhaltlich sowie musikalisch drastisch »geglättet«, um möglichst unangreifbar zu sein.
Die Oper Leipzig hat nun, wie längst wieder üblich, Schostakowitsch quasi im Original aufgeführt und erwies sich damit nicht nur kalendarisch als Vorreiter. Denn das gut dreistündige Resultat ist – bis auf wenige Einschränkungen – rundum geglückt.
Bei »Lady Macbeth« erst mal an Verdi beziehungsweise an Shakespeare zu denken, ist nicht ganz falsch, schließlich geht es da wie dort und eben auch bei Schostakowitsch um eine mordende Ehefrau. Hier heißt sie Katerina, frisch verheiratete Kaufmannsgattin in einem russischen Nest namens Mzensk. Ihr Mann Sinowij Borissowitsch ist eine Null sowohl im Bett als auch im Beruf. Das Paar steht unter der Fuchtel des bösen, furchtbar tyrannischen (Schwieger-)Vaters Boris Timofejewitsch, einem despotischem Alten, der seine Altersgeilheit wohl zu gern auch an Katerina ausleben würde. Die Angestellten in seiner Mühle sind für ihn ohnehin Freiwild, haben nichts zu lachen, sondern müssen nur schuften. Als Sinowij für eine Weile das Anwesen verlassen muss, um anderswo nach dem Rechten zu schauen, kontrolliert der Alte Katerinas Treue. Die aber will aus ihrem langweiligen Dasein ausbrechen, verliebt sich in den (leider ebenfalls schurkischen) Draufgänger Sergej und erlebt mit ihm genau jene Erfüllung, die ihr der lasche Gatte wahrscheinlich nie zu bieten vermocht hat.
Um ihren Betrug zu kaschieren, mischt sie erst dem Schwiegervater Rattengift in die Pilzsuppe und wird der zurückgekehrte Ehemann wenig später erschlagen. Bei der somit ermöglichten Hochzeit von Katerina und Sergej fliegt alles auf, das Paar wird festgenommen, verurteilt und nach Sibirien deportiert. Für den Regisseur und sein Team erklärtermaßen kein Ort, sondern ein Zustand. Die dafür erforderliche Zustands-Beschreibung lieferte Schostakowitsch mit seiner Musik. Die spielt die Hauptrolle in dieser Oper und erklärt absolut alles. Sie beschreibt Gefühle wie Liebe und Angst, illustriert selbst Orgasmen mit deftigem Klang, setzt abgründige Seiten der Macht ebenso in Töne wie die Schwermut der Geplagten sowie das Lächerliche der Obrigkeit. All dies ist treffsicher und wirkungsvoll instrumentiert, mal mit feinem Humor, oft auch mit bitterem Sarkasmus.
Was die Frage aufwirft, ob diese vertrackt tragische Geschichte nun mehr über die Szene oder doch eher durch die Musik zu vermitteln ist. An der Oper Leipzig gehen der spanische Regisseur Francisco Negri sowie der italienische Dirigent Fabrizio Ventura diesbezüglich Hand in Hand, gemeinsam mit all den Mitwirkenden auf der Bühne und im Orchestergraben. Großen Anteil haben daran auch die Kostüme von Ariane Isabell Unfried (Solisten und Chor sind nach sozialem Status gekleidet, die unterjochte Arbeiterschaft in Mehlsäcken, die Herrschenden in altrussischem Pomp, die Soldateska der Polizei schweinsköpfig in Fantasieuniformen) sowie das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic. Inmitten einer vorindustriellen Landschaft voller Treppen und Mühlen prangt da ein Fabergé-Ei, so riesig wie rätselhaft. Dessen Zerstörung mag assoziieren, das jeglicher Prunk keine Dauer kennt, dass Fruchtbarkeit nicht selbstverständlich ist, und dass ein einmal beschädigtes Ei nie wieder repariert werden kann.
Auf ein derart hoffnungsloses Ende läuft die ganze Oper hinaus: Nach überzogenem Schalk in einem kruden Polizeirevier zeigt das Schlussbild die trostlosen sibirischen Weiten auf. Hier wird Katerina ihrem Sergej noch das letzte Paar Strümpfe reichen – das er einem Flittchen für die ultimative Nummer schenkt. Die Betrogene stößt sie dafür in die Fluten und ertränkt zu guter Letzt auch sich selbst. Die Karawane der Gefangenen aber zieht weiter. Zaristische Straflager, die stalinistischen Gulags kommen da ebenso in den Sinn wie die Nachrichten aus dem diktatorischen Russland von heute; ohne dass diese Schostakowitsch-Oper aufgesetzt aktualisiert werden musste! Der Fatalismus einer unmenschlichen Welt, in der unmenschliches Verhalten von Menschen gegen Menschen nur Mord und Gewalt provoziert, was wiederum noch mehr Gewalt, noch weiteres Morden hervorruft.
Gespielt und gesungen wurde durchweg adäquat bis vorzüglich: Die schwedische Sopranistin Ingela Brimberg verkörperte mit großer Reife in Stimme und Spiel eine großartige Katerina. Zwar eine tragische Figur, die sich nach Glück sehnt, mädchenhafte Momente erlebt, aber ganz dem Spagat aus Lust und Schuld verfallen ist und schrecklich scheitert. Ihren Geliebten Sergej hat Brenden Gunnell bravourös als schurkischen Heldentenor gestemmt. Weniger überzeugend wirkten Randall Jakobsh als nicht ganz textverständlicher, vokal zu farbloser Schwiegervater Boris sowie Matthias Stier mit fahlem Eindruck als dessen Sohn Sinowij; immerhin passend zu dieser blassen Figur.
Dan Karlström hingegen lieferte als betrunkener Hochzeitsgast eine Paraderolle, als brutal eitler Polizeichef trumpfte Franz Xaver Schlecht auf, ein bezeichnendes Sinnbild gab Ivo Stanchev als an Krücken gehender Pope ab, und nicht anders als herausragend kann der von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor der Oper Leipzig bezeichnet werden. Zu schade nur, dass Fabrizio Ventura das Gewandhausorchester mitunter zu aufbrausend tönen und die Solisten teils übertönen lässt. Um kräftige Wirkmacht ist Schostakowitschs Musik halt nie verlegen.
Termine: 29. Mai sowie 2., 5. und 8. Juni 2024.
Wiederaufnahme im Mai 2025 zum Schostakowitsch-Festival Leipzig.