… „Die wissen, wie man diese Musik zum Funkeln bringt“- So formulierten es Gäste aus Amerika, die in einer der leider nicht sonderlich dicht gefüllten Bankreihen der Dresdner Frauenkirche saßen, nachdem der letzte Ton des Konzerts mit Jeanine de Bique und Concerto Köln verklungen war. Ein wahrlich funkelnder Abend – »Mirrors«, das preisgekrönte Debütalbum der Sopranistin, stellte sich als Hommage an die herz- und schmerzvolle Vielfalt der italienischen und deutsch-italienischen Barockoper heraus.
Der Satz, der den Abend beherrscht, steht da eigentlich schon geschrieben im Programmheft der Dresdner Musikfestspiele: „Singen ist das Fundament zu Musik in allen Dingen.“ So oder so ähnlich soll das Georg Philipp Telemann zu Lebzeiten formuliert haben – und er hatte und hat noch immer Recht. Die menschliche Stimme als Faszinosum schlechthin kann alle nur denkbaren Emotionen ausdrücken, ermöglicht Kommunikation und künstlerische Expression gleichermaßen und dient noch dazu als Katalysator für irdische und himmlische Belange. Eine Stimme wie die von Jeanine de Bique kann all das und noch mehr.
Es ist in der heutigen klassischen Welt doch leider seltener geworden, dass Sänger und Sängerinnen Mut zu Profil und Wiedererkennungswert haben. Wer an die „Golden Age“-Künstler und -Künstlerinnen denkt (die aus den vielleicht auch nur vermeintlich guten alten Zeiten – you name it), findet da wahrscheinlich quantitativ gesehen viele mehr, mit denen man einen – ihren – ehrlichen, authentischen und sich oft vielleicht auch wider die Erwartung des Publikums stellenden Klang verknüpft. Vergleiche sollte man freilich sparsam anwenden, das ginge schließlich auch in die falsche Richtung, aber: Charisma, einnehmende Präsenz und trotzdem unglaubliche Bescheidenheit, das alles hat Jeanine de Bique in jedem Fall – da ist sich nicht nur das Publikum in der Dresdner Frauenkirche einig. Sie profiliert sich klar und ordnet die Echtheit der Stimme und der Rolle oft dem über, was man gemeinhin als „Schöngesang“ bezeichnet. In Wahrheit wird ihr Singen genau dadurch zu so einem Erlebnis.
Als Querschnitt des Albums »Mirrors« von de Bique mit dem Orchester Concerto Köln war der Abend im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele ein kleiner Einblick in das Konzept der CD: »Mirrors«, also Spiegel, sind da Programm, denn die Sopranistin und das Orchester nehmen sich in den Einspielungen jeweils Figuren aus Stücken her, die von zwei Komponisten zum gleichen Libretto bzw. Handlungsstoff geschrieben wurden, und spiegeln die Gefühlswelten.
Zu Beginn eine Ouvertüre – jene zu Händels »Partenope« -, die den Raum der Frauenkirche erleuchtete und erfüllte und somit bereit machte für die folgende Arie aus Grauns »Rodelinda«. Schon das erste pietà im B-Teil des Stückes vermochte den Zuhörern eine großzügige Kostprobe des ungemein kultivierten Umgangs der Sängerin mit Dynamik zu geben. Nach einem Orchester-Intermezzo (nun aus Vincis »Partenope«) erneut eine Arie aus der Feder von Carl Heinrich Graun, der zur heutigen Zeit leider fast nur Liebhabern oder Fachleuten ein Begriff ist, aber zumindest nach und nach wiederentdeckt und -geschätzt wird. Hier können de Biques höhere Lagen so richtig aufblühen. Das Publikum hielt den Atem an, wenn die Koloratur-Passagen perlten und prickelten. Der erste Teil wird mit zwei Szenen aus Händels »Alcina« beschlossen; eine der bekannteren Vertonungen des Stoffes.
Nach der Pause strahlten de Bique in güldener Robe mit der barocken Pracht des Kirchenrunds um die Wette. Alles schimmerte, und so natürlich wirkte auch die Stimme: mit einem Feuerwerk aus feinster Musizierkunst im Orchester und noch feinerer Ornamentik in der Kehle der Sopranistin erklang anschließend ein Werk Georg Philipp Telemanns, dem manch einer eine solche Komposition vermutlich gar nicht zutrauen würde. Auch er hat eine »Agrippina« (wenn auch nicht als Titel, denn bei ihm heißt die Oper »Germanicus«), nicht nur sein Zeitgenosse Händel, dessen Werk doch unbestritten um einiges öfter auf den Spielplänen der Häuser steht. Freilich kommt aber auch diese zu Wort – in einem wahnwitzig rasanten und wahnsinnig gut phrasierten „L’alma mia fra le tempeste“ (zu Deutsch „Meine Seele(,) in/zwischen den Stürmen“) duettieren und duellieren Oboe (nicht nur hier fabelhaft: Susanne Regel) und Sopran, jagen einander und liebkosen sich im Wechselspiel. Auch in Händels »Cleopatra«-Partie fand Jeanine de Bique viele Farben zum An- und Berühren. Bei dieser Spiegelung mit Grauns Vertonung des »Giulio Cesare«-Stoffs fragt man sich, woher die Sängerin hier ihre Exaktheit in den Koloraturen nimmt. Außerdem wird man – zum wiederholten Male an diesem Abend – Zeuge der detailreiche Kommunikation mit Konzertmeister Evgeny Sviridov, die zwar mal nach außen hin spontan, mal mit einem wissenden Zwinkern alles ausschöpft, was Grauns Musik zu bieten hat. Überhaupt merkt man die Zuneigung der Sängerin zum Orchester. Zurecht, möchte man rufen, denn was Concerto Köln an diffiziler dynamischer, agogischer und interpretatorischer Gestaltung aus den Gesangs- und Instrumentalwerken des Abends holt, ist eine Freude und ein Hörgenuss, wie man ihn mit Barockoper (die häufig schnell monoton wirken kann) selten erleben kann.
Nach tosendem Applaus und der ersten von drei Zugaben erklingt der eigentliche Höhepunkt des Konzerts – zumindest am Aufmerksamkeitslevel des Publikums und der andächtigen Stille im Raum gemessen. „Tu del ciel ministro eletto“ aus Händels »Il Trionfo del Tempo e del Disinganno« schwebt da durch die Kirche und legt sich als Trost gegen bitterliches Weinen wie eine warme Kaschmirdecke auf die Seelen der Zuhörer. Glückseligkeit empfindet empfindet Jeanine de Bique, wenn sie singt – das wird abermals hör- und sichtbar. Und wer weiß… Bei ganz genauem Hinschauen hätte man vermutlich auch die kleinen Engel über dem Hochaltar vor Bezauberung die ein oder andere Träne weinen sehen.