Das Gran Teatre del Liceu begeistert das Publikum mit einer romantischen Oper über Moritz von Sachsen und sein Leben zwischen Ruhm, Liebe und Tragik – Warum seine Geschichte auf die Bühne der Semperoper gehört
Moritz von Sachsen: das Ergebnis einer heißen Liebesnacht Augusts des Starken mit seiner Mätresse Aurora von Königsmarck. Er erhielt den verheißungsvollen Namen seines Vorfahren, der dem albertinischen Sachsen die Kurwürde errang. Als Wunderkind studierte er Theater und Philosophie, errang im Nordischen Krieg für seinen Vater einen entscheidenden Sieg – und trat 1720 in französische Militärdienste ein. 1726 wurde er zum Herzog von Kurland (heute Lettland) gewählt: ein politischer Schachzug, der die Nähe zu Polen manifestierte, das von August dem Starken regiert wurde, und doch die Unabhängigkeit bewahren sollte. Als russische Truppen ihn 1729 verdrängten, kehrte er nach Frankreich zurück. In dieser Zeit hatte Moritz mehrere Affären: zu der Herzogin von Bouillon und zu der Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, die zu den erfolgreichsten ihrer Zeit gehörte. Voltaire, dessen Personen sie auf der Bühne legendär verkörperte, gehörte zu ihren großen Bewunderern und Freunden.
Als Adrienne im März 1730 überraschend verstarb, verbreitete sich schnell das Gerücht, sie sei von ihrer Rivalin um die Liebe Moritz‘ von Sachsen mit einem vergifteten Blumenstrauß zu Tode gebracht worden. Der Theaterdichter Eugène Scribe (sein Name findet sich im oberen Rundfoyer der Semperoper!) schrieb 1849 ein Bühnenstück darüber. Der italienische Komponist und Musikprofessor in Florenz, Francesco Cilea schuf aus diesem Sujet eine Oper – sein bedeutendstes Meisterwerk. Es wurde 1902 mit Enrico Caruso als Maurizio (Moritz) uraufgeführt – und trat seither seinen Siegeszug durch alle bedeutenden Opernhäuser der Welt an. Fast alle – denn in Sachsen wurde das Werk bisher nur in Chemnitz konzertant aufgeführt. Nach Dresden ist Moritz von Sachsen prominent zwar in die Gemäldegalerie zurückgekehrt, wo die Besucher den gutaussehenden Wettiner täglich auf zwei Bildnissen bewundern können. Musikalisch blieb ihm diese Rückkehr allerdings bisher versagt.
Dafür konnte man ihn jetzt im renommierten Gran Teatre de Liceu in Barcelona erleben. Die Inszenierung von David McVicar hatte bereits 2009 in der Royal Opera in London Premiere und war eine Gemeinschaftsproduktion mit der Wiener Staatsoper, der San Francisco Opera und der Opéra de Paris, wo sie zuletzt im Januar und Februar zu erleben war. 2018 wurde die Produktion von der Met in New York übernommen, mit Anna Netrebko als Adriana. Warum diese Opernproduktion so erfolgreich war und auch ist, entfaltete sich in der Aufführungsserie am Liceu aufs Beste. Eine großartige, packende Musik, die bisweilen an Puccini erinnerte, aber auch die Verehrung Cileas für Richard Wagner nicht verleugnete. Eine anrührende, äußerst facettenreiche Handlung, in der wesentliche Fragen des Künstlertums und der Karriere, Freundschaft, Liebe und Eifersucht sich nachvollziehbar und charaktervoll entfalten. Und nicht zuletzt eine optische Opulenz mit detailgetreuen Kostümen, die die Welt des Barock um 1730 wiederauferstehen ließen.
Dennoch: McVicars „Adriana“ ist kein „Opernmuseum“ – das k.o-Wort der dem Regietheater verfallenen Kritiker. Stattdessen sind die Personen äußerst lebendig in ihren Charakteren ausgearbeitet – bis eben hin zu Adrianas anrührendem Bühnentod.
Die 1977 in Polen geborene Sopranistin Aleksandra Kurzak hatte die großen Diven des 20. Jahrhundert als Vorgängerinnen in der Rolle der Adriana: Claudia Muzio, Clara Petrella, Magda Olivero, Renata Tebaldi, Carla Gavazzi, Leyla Gencer, Montserrat Caballé, Raina Kabaivanska, Renata Scotto, Mirella Freni, Joan Sutherland, Angela Gheorghiu. Nun muss man auch sie in dieser prominenten Reihe nennen, denn ihr Gesang war großartig. Scheinbar mühelos wechselte sie von den melodramatischen Rezitationen in die Gesangslage. Dezent setzte sie Ihr Stimmvibrato dort ein, wo es die beste Wirkung erzielte. Gänsehautmomente schuf sie indes vor allem dann, wenn ihre Stimme vom Fortissimo ins Pianissimo hinabglitt und erstarb…
Der britische Tenor Freddie De Tommaso war bereits als Cavaradossi in Puccinis Tosca in der Semperoper zu erleben. Als Maurizio gab er den lyrischen Liebenden ebenso überzeugend wie den von sich selbst überzeugten Kriegsherrn, der mit den Berichten seiner Taten die anwesenden Adligen beeindrucken wollte.
Neben ihm unbedingt zu erwähnen ist Ambrigio Maestri als Michonnet. Die Figur des alternden Beschützers Adrianas, der seine tiefe Liebe zu ihr verstecken muss, um die Freundschaft nicht zu gefährden, wurde von ihm vollkommen ausgefüllt. Auch stimmlich ließ seine Interpretation keine Wünsche offen; wie alle Protagonisten erhielt er Zwischenapplaus.
Daniela Barcellona sang trotz angekündigter Indisposition eine hochdramatische Fürstin von Bouillon: intrigant und exaltiert. Und doch konnte man ihr die inneren Beweggründe einer stets zurückgesetzten Frau, die sich trotz standesgemäßer Ehe nach der wahren Liebe sehnte, abnehmen; bis zu dem Moment, wo sie zur Mörderin wurde. Daniela Barcellona füllte diese Vielschichtigkeit sowohl gestalterisch als auch stimmlich überzeugend aus.
Auch das Ballett zeigte sich auf höchstem Niveau. Wenn es noch eines weiteren Argumentes bedürfte, warum »Adriana Lecouvreur« und mit ihr Moritz von Sachsen unbedingt auch auf der Bühne der Semperoper Einzug halten sollten, so ist es das Orchester. Patrick Summers dirigierte das Orquestra Simfònica del Gran Teatre del Liceu mit großem Einsatz. Einige junge Musiker hatten sogar in Dresden studiert. Insgesamt war es eine adäquate Begleitung zu den sängerischen Glanzpunkten dieser Aufführung. Allein die flirrenden oder dahinschmelzenden Streicher während der Arien der Adriana, die tiefen, an Wagners Tristan erinnernden Wellenbewegungen im Vorspiel zum vierten Akt oder die Tutti – wie gerne hätte ich sie mit dem perfekten Spiel und sonoren Klang der Staatskapelle Dresden gehört!
Bis Moritz von Sachsen, der nach einem Ruhestand als Schlossbesitzer von Chambord an der Loire 1750 in Dresdens heutiger Partnerstadt Straßburg unter einem monumentalen Grabmal seine letzte Ruhe gefunden hatte, musikalisch in seine alte Heimat zurückkehrt und Adriana vielleicht doch einmal in Dresden zu erleben sein wird, kann man die Oper auf zahlreichen Videos erleben. Live wird die Produktion als nächstes im Teatro Real in Madrid zwischen dem 23. September und dem 11. Oktober 2024 in anderer Besetzung gegeben.
Übrigens steht das Königlicher Theater in Madrid gegenüber dem 1735 erbauten Königsschloss. August der Starke war 1688, noch vor der Geburt seines Sohnes Moritz auf seiner kurprinzlichen Kavaliersreise im Vorgängerbau zu Gast, ebenso wie in Versailles und Paris. Und eine weitere Anekdote zu Moritz sei genannt: Moritz war der Ur-Urgroßvater von George Sand, der Gefährtin von Frédéric Chopin, nachdem dieser nach seiner geplatzten Verlobung in Dresden nach Paris weitergezogen war. Im Pariser Musée de la vie Romantique – dem Äquivalent des Kügelgenhauses in der französischen Hauptstadt – erinnern Bilder und Büsten an den großen Sachsen, dem Lyon einen großen Boulevard gewidmet hat.