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Konzertscheune voller Kontinuität und Kontraste

15. Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch ehren die Witwe des Komponisten und werfen ein Licht auf das Schostakowitsch-Jahr 2025.

Foto: Oliver Killig

In diesem Jahr werden sie bereits zum 15. Mal stattfinden, die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch. 2010 gegründet, genau 50 Jahre nach dem ersten Besuch des Komponisten in diesem Kurort in der Sächsischen Schweiz, bei dem Dmitri Schostakowitsch in nur drei Tagen sein 8. Streichquartett c-Moll op. 110 komponiert hat. Längst hat sich dieses Festival – nach wie vor weltweit das einzige, das sich so dezidiert mit der Musik und dem Wirken Schostakowitschs befasst – etabliert und bei Publikum sowie den musikalischen Gästen einen internationalen Ruf erworben.

Zum Auftakt gab es am letzten Mittwoch im Juni wieder ein Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast. Unter der musikalischen Leitung von Vitali Alekseenok, der kurzfristig für Tugan Sokhiev eingesprungen ist, wurde Schostakowitschs 7. Sinfonie, die sogenannte »Leningrader«, eine fulminante Anklage von Krieg und Gewalt. Nach dem wuchtigen Finale hätte man sich an Stelle des sofort ausbrechenden Jubels eine Gedenkpause gewünscht. Vielleicht steht diese Sinfonie ja mal in einem Konzert zum 13. Februar auf dem Programm.

Die tags drauf im Kurort Gohrisch beginnenden Schostakowitsch-Tage dürfen dann durchaus als Meilenstein angesehen werden. Denn nach dem ebenso avancierten wie mutigen Start dieses Festivals haben ihm wohl nur Visionäre einen solch langen Bestand zugetraut. Das sieht selbst der Künstlerische Leiter Tobias Niederschlag so, der bereits das Schostakowitsch-Jahr 2025 im Blick hat: »Natürlich sind fünfzehn Jahre ein Zeitraum, auf den wir wirklich sehr stolz sind, auch wenn es kein rundes Jubiläum ist. Aber nachdem es gerade in den Anfangsjahren nicht ganz einfach war, das Festival auf die Beine zu stellen, bin ich sehr froh, dass wir den fünfzehnten Jahrgang erreicht haben und jetzt optimistisch in die Zukunft blicken können. Aber natürlich wirft auch das große Jubiläumsjahr 2025 seine Schatten voraus. Also es sind zwei Jubiläumsjahre und das ist doch was ganz Wunderbares.«

Von Jahr zu Jahr scheint die Spannung gewachsen zu sein, was es in der Konzertscheune von Gohrisch an Neuem geben wird, so auch in diesem 15. Jahrgang, der allein schon aufgrund dieser Kontinuität großen Respekt abverlangt. Tobias Niederschlag ist als Inspirator vom Wert und von der Einmaligkeit des Festivals überzeugt: »Schostakowitsch ist natürlich einer der meistgespielten Komponisten weltweit überhaupt, aber ich glaube schon, die Auseinandersetzung mit Schostakowitsch findet in Gohrisch in einer Intensität statt, wie man das sonst möglicherweise nirgendwo anders finden wird.«

Die Musik des Namensgebers steht in Gohrisch selbstverständlich im Vordergrund, wird aber immer im Kontext auch mit anderen Kompositionen aufgeführt. Im Jahrgang 2024 sind neben Schostakowitsch vor allem Modest Mussorgsky und Alexander Raskatov zu hören, Letzterer übrigens auch als Solist. Von Mussorgsky, in jungen Jahren Mitglied im »Mächtigen Häuflein«, werden neben weiteren Klavierwerken fast schon erwartungsgemäß die »Bilder einer Ausstellung« aufgeführt, dazu aber auch »Lieder und Tänze des Todes« in einer Aufführungsmatinee der Sächsischen Staatskapelle. Raskatov, Jahrgang 1953 und seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Deutschland lebend, ist mit Kammermusik und Orchesterstücken präsent. Neben der Europäischen Erstaufführung seines »Bel Canto« gibt es auch die Uraufführung »Black Sun«, einer Komposition für Sopran und Klavier zu Gedichten von Ossip Mandelstam.

Eine Uraufführung war auch (wieder!) vom 1975 verstorbenen Namensgeber zu erwarten, dessen auf ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko verfasste Romanze, die im Nachlass gefunden und von Raskatov vervollständigt wurde. Bariton Matthias Goerne wollte dieses Stück in seinem Liederabend neben Schostakowitschs »Michelangelo«-Suite sowie Liedern von Gustav Mahler aufführen, musste das Vorhaben jedoch auf das kommende Jahr verschieben. Diese Verschiebung ficht Tobias Niederschlag aber nicht an: »So haben wir auch im nächsten Jahr, im Schostakowitsch-Jahr 2025 eine Uraufführung von ihm im Programm.«

Zum wiederholten Mal sind der Geiger Gidon Kremer, der Dirigent Dmitri Jurowski sowie das belgische Quatuor Danel in Gohrisch zu Gast, was einmal mehr für die Ausstrahlung der Schostakowitsch-Tage spricht. Umso mehr gilt dies für die erneut in Gohrisch erwartete Witwe Irina Antonowna Schostakowitsch, die den Komponisten schon 1972 bei seinem zweiten Besuch in der Sächsischen Schweiz begleitete. Sie hat das Festival von Anbeginn an auch persönlich sehr unterstützt und wird für ihre Verdienste diesmal – kurz vor ihrem 90. Geburtstag in diesem Herbst – mit dem Internationalen Schostakowitsch-Preis Gohrisch geehrt.

Tobias Niederschlag freut sich auf den nunmehr vierten Besuch der in Paris und Moskau lebenden Dame. »Wir haben das Programm ein wenig auf sie ausgerichtet und hoffen, dass mit ihrer Reise alles gut klappen wird.« Angesichts der politischen Lage ist dieses musikalische Kleinod enorm bedeutsam und belegt stets von Neuem, mit welcher humanistischen Botschaft Dmitri Schostakowitsch angetreten ist, die – seinem Werk zwar durchweg immanent – sich aber bis heute nicht erfüllt hat. Sämtliche Mitstreiter des Festivals sind Irina Schostakowitsch sehr dankbar dafür, wie sie die Schostakowitsch-Tage fördert und beispielsweise mit Archivfunden aus dem Nachlass eine ganze Reihe von posthumen Ur- und Erstaufführungen ermöglicht hat. Tobias Niederschlag sieht noch einen weiteren Grund für die Ehrung: »Sie unterstützt unser Festival ja seit einigen Jahren als Schirmherrin, wo sie mit ihrem Namen für unsere gute Sache steht.«

Doch nicht nur große Namen halten dieses Festival am Laufen, Tobias Niederschlag freut sich aber ebenso auf Gohrisch-Debüts: »Das sind natürlich alles Künstler, die im internationalen Musikleben sehr bekannt sind, Matthias Goerne zum Beispiel, der mit dem Pianisten Alexander Schmalcz zum ersten Mal nach Gohrisch kommen wird, aber auch die wunderbare Cellistin Marie-Elisabeth Hecker, die mit Martin Helmchen zu einem Rezital kommt, wir freuen uns auf die junge französische Pianistin Nathalia Milstein, auf die Mezzosopranistin Ena Nikolovska und viele andere Künstlerinnen und  Künstler.« Gidon Kremer werde mit Musikern seiner Kremerata Baltica über das Außergewöhnliche, was Gohrisch ohnehin bietet, noch weit hinausgehen und in einem Kammerabend Werke von Alfred Schnittke bis Valentin Silvestrov aufführen, von Mieczysław Weinberg bis Alexander Raskatov. Alle diese Werke sollen sich aber sehr auf Schostakowitsch beziehen.

Darüber hinaus sind es zahlreiche Helferinnen und Helfer, die immer wieder unermüdlich hinter den Kulissen wirken, um den Kartenverkauf zu organisieren und die Konzertstätte, eine sonst landwirtschaftlich genutzte Scheune, würdig herauszuputzen. Die Schostakowitsch-Tage haben sich ihren herausragenden Stellenwert hart erarbeitet.

Neben der Förderung aus privater Hand sowie von Unternehmen aus der Region und insbesondere durch die Sächsische Staatskapelle Dresden sind dies heute die Kulturstiftung Sachsen und der Freistaat mit einer institutionellen Förderung, die das Festival gebührend unterstützen. Einen unschätzbaren Anteil am Erfolg hat jedoch das stetig wachsende Publikum der Schostakowitsch-Tage. Es verbindet die Ansässigen mit internationalen Gästen, viele von ihnen sind Stammgäste und kommen regelmäßig nach Gohrisch. Schließlich wissen sie um das künstlerische Niveau dieses einmaligen Festivals, das sich längst einen hohen Ruf in der Festivallandschaft erarbeitet hat.

15. Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch: 27. bis 30. Juni

www.schostakowitsch-tage.de

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