Am Sonntag wurde es für alle Besucher wieder einmal offensichtlich, dass der Chef des Moritzburg Festivals, der Cellist Jan Vogler, Kontakte nach ganz oben pflegt. Hielt der Wettergott doch Blitz, Donner und Sturzhagel noch solange zurück, bis das diesjährige Festival, das ja mit seiner Open-Air-Politik auf der Nordterrasse des pittoresken Drei-Haselnüsse-Schlösschens auf gutes Wetter angewiesen ist, endgültig zu Ende gegangen war.
Der zweiunddreißigste Jahrgang seit der Gründung 1993 steht nach einigen unsicheren Anfangsjahren inzwischen im Zeichen einer allgemeinen künstlerischen und organisatorisch-finanziellen Konsolidierung – so jedenfalls empfinden es die Besucher. Langjährige musikalische Gäste geben den Ton der Konzerte an. Neben Mira Wang (Violine), die auch als Leiterin der Festival-Akademie fungiert, und den Festivalgründern Jan und Kai Vogler sind das etwa der ehemalige Solobratscher der Dresdner Philharmonie, Ulrich Eichenauer, der norwegische Bratscher Lars Anders Tomter oder, in jüngeren Jahren, die Geiger Alexander Sitkovetsky und Chad Hoopes. Eine Stamm-Mannschaft an verlässlichen Solisten, unter denen ich dieses Jahr den genialen Finnen Antti Siirala vermisste, prägt das Festival und lässt die neu hinzukommenden Talente im Zusammenspiel glänzen und glitzern.
Eine absolute Offenbarung in diesem Kreis war dieses Jahr für mich der Cellist Bruno Philippe. Im Zusammenspiel mit Mira Wang, dem Klarinettisten Raphaël Sévère und der Sitkovetsky-Trio-Pianistin Wu Qian zelebrierte Philippe seine Kantilenen im »Quatuor pour la fin du temps« (Olivier Messiaen) so behutsam, dass das Pubikum auf der abendlauen Terrasse kollektiv den Atem anhielt. Sogar die Gänse schwiegen respektvoll. Eine Sternstunde der Festivalgeschichte… Wer sich die musikalischen Welten dieses jungen Cellisten erschließen möchte, dem sei zuerst seine Einspielung der Bach-Suiten (harmonia mundi, 2022) empfohlen. Hier singt, klagt, donnert, parliert und tanzt das Cello in einer leidenschaftlichen, ganz persönlichen Art und Weise, dass es eine Lust ist. Aber auch seine weiteren Aufnahmen (u.a. mit Christoph Eschenbach, Tanguy de Williencourt oder Jérôme Ducros) sind es wert, entdeckt zu werden.
Es stellt sich nun nach Abschluss dieses runden und gelungenen Jahrgangs, bei dem das treue Publikum zuverlässig zu den etablierten Formaten strömte, quasi zum einunddreißigsten Mal die Frage, ob die Festivalphilosophie so unverändert weiter trägt, oder ob sanfte Änderungen etwa für eine Verjüngung und eine weitere „Verbreiterung“ des Publikums sorgen könnten.
Schon vor zwanzig Jahren verwunderte zum Beispiel den Kollegen der Sächsischen Zeitung, wie männlich dominiert die Moritzburger Konzertbühne eigentlich ist. Daran hat sich, schaut man sich den zurückliegenden Jahrgang einmal genauer ein, nichts geändert. Wo etwa die neuen Saisonprogramme der Dresdner Philharmonie oder der Dresdner Staatskapelle um entsprechende Vielfalt und Ausgeglichenheit bemüht sind (bei der Kapelle werden María Dueñas und Sol Gabetta zu Gast sein, bei der Philharmonie u.a. die Geigerin Leila Josefowicz oder die Pianistin Anna Vinnitskaya), stehen in Moritzburg der alles dominierenden „Mannschaft“ von knapp zwei Dutzend männlichen Solisten lediglich die Balanas-Schwestern Christine und Margarita, die Geigerin Stella Chen, die Bratscherin Sindy Mohamed und die Pianistinnen Moeko Ezaki und Wu Qian gegenüber.
Mira Wang (die natürlich aus der Solistinnenriege nicht wegzudenken ist) sagte damals Bernd Klempnow im zitierten Interview zu den Gründen dieser Imbalance: „Man muss (…) sehen, dass Männer größere Möglichkeiten für eine solistische Karriere haben. Frauen denken weiter, wenn sie Familie haben und arbeiten wollen.“ Gerade ein Festival wie Moritzburg, mit einem verheirateten Power Couple an der Spitze, könnte sich dieses Themas doch einmal aktiv annehmen, wenn es um die Verpflichtung der Solistinnen und Solisten für den nächsten Jahrgang geht? Treten doch für Publikum und Mitwirkende neben der exzellenten musikalischen Qualität, die selbstredend über allem steht, die weichen Erfolgsfaktoren eines Festivals heutzutage immer mehr in den Vordergrund; ob es um Umweltbilanzen (PKW-Anreisen, Stromverbrauche etc.), um die Wertschätzung des künstlerischen und nichtkünstlerischen Personals durch faire Honorare oder eben um die Vereinbarkeit des (Musikerinnen-)Berufs mit familiären Wünschen und Verpflichtungen geht.