Ein Wochenende mit zwei Antrittskonzerten: Donald Runnicles ist designierter Chefdirigent der Philharmonie, Daniele Gatti Chefdirigent der Staatskapelle.
Man könnte geradezu von einem Mahler-Wochenende sprechen, wenn man nach Dresden und auf die Eröffnungskonzerte von Philharmonie und Staatskapelle blickt. Beide Orchester sind damit aber nicht nur in die Spielzeit 2024/25 gestartet, sondern feierten jeweils die Antrittskonzerte des neuen beziehungsweise künftigen Chefdirigenten. Entsprechend groß war die Erwartungshaltung des Publikums.
Bei der Dresdner Philharmonie braucht es noch etwas Geduld, bis der designierte Chefdirigent sein Amt antreten wird. Donald Runnicles wird das Orchester erst zur Spielzeit 2025/26 übernehmen, Daniele Gatti hingegen ist ab sofort Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. Der Festlichkeit beider unmittelbar aufeinanderfolgenden Konzerte tat dieser Unterschied keinen Abbruch.
Als hätten sie sich miteinander abgesprochen, warteten beide Maestri mit einer Sinfonie von Gustav Mahler auf, begannen ihre Konzerte freilich mit vergleichsweise kleinerer Kost. Bei Runnicles und der Philharmonie war dies die Sinfonie Nr. 101 D-Dur von Joseph Haydn, genannt »Die Uhr«. Vielleicht, weil nun eine neue Zeitrechnung anbrechen soll? Oder weil der schottische Maestro, geboren 1954 in Edinburgh, seinen Posten als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin vorzeitig räumen will und – anstelle der den Musikerinnen und Musikern per Tagespresse offerierten Begründung, seinem Wohnsitz Wyoming näher sein zu wollen – künftig öfter gen Dresden zieht? In der nun begonnenen Saison gibt es allerdings nur mehr das Silvesterkonzert sowie Benjamin Brittens »War Requiem« im Gedenken am 13. Februar.
Doch wenn schon so ganz ohne Pomp und Pianissimo ein Haydn an Anfang steht, hätte er gern deutlich tiefer ausgelotet werden und nicht so mezzo-inspiriert dahinticken dürfen. Zum großen Glück hat sich das nach der Konzertpause gründlich gedreht. Bei Gustav Mahlers 5. Sinfonie cis-Moll wehte mitreißend und faszinierend Furor durch den Konzertsaal, gab es spannend gestaltete Steigerungen und wirkungsvolle Bögen, funktionierten die dramaturgischen Verbindungen zwischen den Sätzen, spürte man eine Energie, eine Absicht, die Dirigent und Orchester fest miteinander verband. Das Ganze entwickelte sich wie aus dem Nichts und endete dann auch wieder dort – um ein beglückt feierndes Publikum zu hinterlassen, das dem kollektiven Klang ebenso zusprach wie den herausragenden Einzelleistungen etwa der strahlenden Hörner, der feinst ziselierenden Holzbläser und nicht minder dem wunderbar austarierten Streicherklang.
Die Konzentration von Dirigent und Orchester verschmolz mit der beinahe greifbaren Atemlosigkeit, mit der das Publikum im (nicht ausverkauften) Kulturpalast insbesondere das filmbekannte Adagietto verfolgte, das Runnicles mit großer Hingabe und Inbrunst tönen ließ.
Dass er bei einem kleinen Empfang im Anschluss an das Konzert verlauten ließ, Dirigieren sei so ähnlich wie Straßenbahnfahren – offenbar hat er sich für eine Markentingkampagne auf die Dresdner Schienen begeben -, weckt hoffentlich keine umgekehrten Begehrlichkeiten beim DVB-Personal. Denn etwas mehr als Beschleunigen, Rollenlassen und Bremsen beinhaltet der Beruf ja wohl doch, auch wenn Donald Runnicles den Takt mit links dirigiert. Kein Zugeständnis an den Linksverkehr auf den britischen Inseln, sondern Ausdruck einer Sinistralität dieses Dirigenten.
Intimes und Filmmusik
Dass der Italiener Daniele Gatti Rechtshänder ist und sein erstes Konzert als Chef der Kapelle ohne Noten dirigiert hat, dürfte nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal der beiden Maestri sein. Auffällig allerdings ist die völlige Hingabe des 1961 geborenen Mailänders an die Musik. Es ist kaum zu beschreiben, wie sehr er im Klangkosmos drinzustecken und das Orchester nicht nur wie von außen her anzuleiten scheint.
Bei Arnold Schönbergs Letztfassung des Frühwerks »Verklärte Nacht« führte das zu einem fast intimen Zusammenspiel der kammermusikalisch agierenden Streicher – zumal Schönberg für den Einstieg schon mal eine ganz andere Ansage ist als Haydn.
Aber auch im Konzertzimmer der Semperoper ging es nach der Pause mahlerisch weiter, ja, Daniele Gatti zauberte die Sinfonie Nr. 1 mit dem Beinamen »Titan« geradezu in ein filmmusikalisches Mahlerioso. Fellini hätte seine Freude dran gehabt. Das Dresdner Publikum hatte sie allerdings auch und bejubelte die mit impulsiver Spannung erzeugte Wirkmacht dieser Interpretation mit gehörigem Beifall.
Aus gegebenem Anlass überreichte Intendantin Nora Schmid dem neuen Chefdirigenten einen großen Blumenstrauß und lud die Konzertgäste zu einem Empfang ins Opernhaus. Gerührt nahm der Mailänder Maestro nicht nur den Applaus entgegen, sondern ebenso einen Dresden-Bildband und eine Flasche sächsischen Weines. Letzteres einem Italiener zu überreichen, ist zwar durchaus couragiert, aber eine nette Geste.
MDR Klassik und MDR Kultur übertragen das 1. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle am 2. September ab 20.03 Uhr im Rahmen des ARD-Radiofestivals.