Die Kulturbürgermeisterin befürchtete kürzlich „zwei dürre, schwierige Jahre“ für die Dresdner Kultur, der Oberbürgermeister legte danach eine entsprechende „Liste der Grausamkeiten“ vor. Die Experten berechnen derweil, wie lange ein Wiederaufbau der Carolabrücke dauern wird und wie teuer die Stadt ihr Kollaps zu stehen kommen wird. Schon ist im Gespräch, das Fernsehturmprojekt und die Renovierung der Robotron-Kantine auf Eis zu legen. Aus Hellerau heißt es verzweifelt: „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“. Da platzte nun heute Nachmittag eine Pressemeldung der Dresdner Musikfestspiele ins Redaktionspostfach. Ungläubig lasen wir:
Die Landeshauptstadt Dresden erhält für den Neubau der Richard-Wagner-Akademie der Dresdner Musikfestspiele eine Zuwendung in Höhe von 15 Millionen Euro aus dem Förderprogramm »KulturInvest« der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Entstehen soll ein international ausgerichtetes Kompetenzzentrum für romantische Orchester- und Opernpraxis des 19. Jahrhunderts. Neben einem Konzertsaal mit 600 Plätzen wird der Neubau am Königsufer – vis à vis der Dresdner Altstadt – einen Orchester- und Chorprobensaal, Workshop-, Archiv- und Seminarräume enthalten. Ziel ist es, ausgehend von der Uraufführungstradition des 19. Jahrhunderts in Dresden einen Ausbildungs-, Forschungs-, Aufführungs- und Debattenort mit weltweiter Ausstrahlung an der Elbe zu etablieren.
Und es geht noch weiter! Der Oberbürgermeister – ja, der mit den Grausamkeiten – wird hoffnungsfroh zitiert: »Wir freuen uns sehr über die Entscheidung aus Berlin und über die enorme Höhe der angedachten Förderung. Natürlich werden wir jetzt mit dem Freistaat Sachsen ins Gespräch gehen, ohne den eine Gesamtfinanzierung nicht möglich ist. Angesichts unserer eigenen Herausforderungen gilt es hier mit Mut und Weitsicht zu handeln. Für das Königsufer könnte diese Entscheidung aus Sicht der Stadtentwicklung ein herausragender Meilenstein sein.«
Die Bebauung des Königsufers zur Nutzung für kulturelle Zwecke sei in Dresden ja schon seit einiger Zeit geplant gewesen, erinnern sich die Musikfestspielkollegen; der Bauplan bekomme nun ein konkretes Gesicht. In der Tat, auch wir erinnern uns: vor genau fünfzehn Jahren war an ebenjenem Königsufer ein Konzerthausneubau im Gespräch. Der Dirigent Hartmut Haenchen hatte damals den Vorsitz des Fördervereins übernommen; namhafte Kulturbürger wie Wilfried Krätzschmar, Fabio Luisi, Gerd Uecker, Jan Nast, Udo Zimmermann, Peter Schreier, Theo Adam, Gunther Emmerlich, Peter Rösel und Ludwig Güttler unterstützten die Ziele des Vereins öffentlich. Der Architekt Manfred Zumpe schwärmte im Gespräch mit »Musik in Dresden« schon:
„Der schönste Standort wäre das Areal zwischen Blockhaus und Finanzministerium, mit dem faszinieren Blick auf die berühmte Altstädter Elbfront, das “Narrenhäusl”-Gelände. Dort ist ohnehin von Seiten des Stadtplanungsamtes ein öffentliches Gebäude vorgesehen. Nichts würde dort besser hinpassen als ein Konzerthaus! Es würde im Blickpunkt der Brühlschen Terrasse stehen und wäre eine glückliche Bereicherung der Neustädter Elbfront: Japanisches Palais – Hotel Bellevue – Blockhaus – Finanzministerium – Staatskanzlei. Damit wäre der Stadtentwicklung Dresden ein großer Schritt gelungen.“
Bekanntlich verliefen die hochfliegenden Pläne damals im Sande. Spätestens mit der Wiedereröffnung des Kulturpalastes mit seinem nun akustisch höchst befriedigenden 1800-Plätze-Saal begrub Dresden seine Hoffnung auf einen Neubau, in dem auch die Staatskapelle einen dauerhaften Konzertort gefunden hätte – bis heute, da sich viele der damaligen Unterstützer die Augen reiben und leise aufschnauben dürften.
Der warme Geldregen des Bundes kommt für Dresden mit seinem frischen Brückenstreit (Wiederaufbau à la 1892 oder 1967?), kommt für das Land Sachsen, das momentan nicht einmal eine funktionierende Landesregierung hat, zur absoluten Unzeit. Gerade vor dem Hintergrund der schmerzhaften Kürzungen durch – genau – dieselbe Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, die etwa das Europäische Zentrum der Künste aufschreien und von kalter Schließung warnen ließen. Nichts gegen „romantische Orchester- und Opernpraxis“ – aber die Zeit für Romantik scheint in Dresden erst einmal vorbei. Der kalte Realismus lässt uns zweifeln, ob dieses neue Konzerthausprojekt tatsächlich in menschenmöglich absehbarer Zeit auf die Schiene gesetzt werden kann. Wie schon Richard Wagner wusste: In Dresden rast man in Zeitlupe.