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»Fluch und Segen …«? Bruckner besucht Wagner

Foto: M. Ernst

Die Musikwelt feiert den 200. Geburtstag von Anton Bruckner. Die ganze Musikwelt. Also auch die Richard-Wagner-Stätten Graupa.

In Graupa dreht sich alles um Richard Wagner. Schließlich hat der Dichter-Komponist hier 1846 an seinem »Lohengrin« gearbeitet. Grund genug, seinen damaligen Aufenthaltsort, ein einstiges Bauernhaus, zum weltweit ersten Museum für den berühmten Gast herzurichten. Seit 1907 empfängt das Lohengrin-Haus Wagnerianer aus nah und fern; 2013 wurden zum 200. Geburtstag des einstigen Dresdner Hofkapellmeisters in einem nahen, fast vergessenen Jagdschlösschen die Richard-Wagner-Stätten Graupa eingerichtet. Ein modernes Museum für die Wagner-Gemeinde aus aller Welt.

Musikalische Wagner-Klänge heißen die Gäste schon beim Betreten der Wagnerstätten willkommen. Bunte Wagner-Statuen aus Kunststoff schließen sich diesem Gruß an. Es wagnert, wohin man auch hört oder blickt. Doch nun mischen sich ungewohnte Klänge in den Museumsbesuch, Klänge von Anton Bruckner. Wie das?

Den Grund dafür erklärt Tom Adler, der seit gut einem Jahr das Haus leitet und nun auch der Kurator einer Sonderausstellung mit dem Titel »Fluch und Segen einer Widmung. Anton Bruckner und Richard Wagner« ist: „Weil es ein ganz besonderes Beziehungsverhältnis zwischen diesen beiden Komponisten gab. Im Prinzip war Bruckner der Fan-Bay von Wagner, der damals aber immer in die Ecke gedrängt wurde.“

Bruckner als Fan-Boy von Wagner zu sehen, hätte seinerzeit gewiss beide Großmeister zum Schmunzeln gebracht. Vielleicht hätten sie den Begriff auch gar nicht verstanden. Doch die Zeiten ändern sich, und aus gegebenem Anlass hat Tom Adler den 200. Geburtstag Bruckners zum Anlass genommen, dieses Spannungsverhältnis mal ein wenig zu dekonstruieren. „Wir wollten hinter dieses tradierte Bild schauen und der tatsächlichen Relation auf die Schliche kommen“, begründet der Museumschef.
Bekanntlich galt Richard Wagner schon zu Lebzeiten als grenzenlos egoman und ließ kaum einen anderen Musiker neben sich gelten. So soll er Cosimas Tagebüchern zufolge Anton Bruckner als „der arme Organist aus Wien“ tituliert haben und sogar in einem Traum aufgetaucht sein – als Papst mit einer Flasche Cognac in der Hand.

Und das, obwohl Bruckner in Sachen Alkohol doch eher als zurückhaltend bis abstinent gegolten haben soll. Auf Scherenschnitten, wie sie nun auch in der Graupaer Sonderausstellung zu sehen sind, wird Bruckner neben Wagner immer als der Kleinere dargestellt, obwohl er in Wirklichkeit deutlich größer gewesen ist. Und nicht nur im Traum war der Großmeister des Musiktheaters dem Sinfoniker gegenüber herablassend. Tom Adler verweist auf eine schriftliche Äußerung Wagners an die Platzanweiser zu den ersten Bayreuther Festspielen: „Bruckner kommt auf die Galerie, wird dahin von mir protegiert, er hat es verdient – das höchste Lob Wagners über Bruckner.“

Im Zentrum der Ausstellung liegt die Partitur der 3. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner: »S.r Hochwohlgeborenen Herrn Herrn [sic!] Richard Wagner dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht= und Tonkunst, in tiefster Ehrfurcht gewidmet«, eine Leihgabe aus Bayreuth. Gerahmt ist das Prachtstück von zwei bronzenen Büsten der Maestri, die einander freilich nicht in die Augen schauen. Was die Frage aufwirft, ob Wagner heute wohl dulden würde, dass Bruckners Musik in „seinem“ Hause erklingt?

Eine Hörstation vermittelt selbstverständlich die 3. Sinfonie und weist zudem auf (vermeintliche) Wagner-Zitate im Werk Bruckners hin. Versöhnlich wirkt in einer Vitrine eine der originalen Wagner-Tuben jener Zeit, die noch heute erhalten ist und regelmäßig im Dresdner Festspielorchester zur Geltung kommt, wenn ein weiterer Teil vom »Ring des Nibelungen« im vielbeachteten Originalklang-Projekt erarbeitet wird. Spätestens an diesem Ort sollten sich die beiden so unterschiedlichen Komponisten des 19. Jahrhunderts doch aussöhnen, zumal die Erstfassung von Bruckners Dritter im Dezember 1946 (!) im gar nicht so weit entfernten Kulturhaus Bühlau durch die Dresdner Staatskapelle unter Joseph Keilberth uraufgeführt worden ist.

»Fluch und Segen einer Widmung. Anton Bruckner und Richard Wagner« beinhaltet neben Scherenschnitten und handschriftlichen Briefen sowie einem Geburtstagstelegramm Bruckners an Wagner große ideelle Schätze, ist also sehens- und hörenswert und kann während der Öffnungszeiten der Richard-Wagner-Stätten Graupa bis Ostern 2025 besucht werden. An Wochenenden von 10 bis 17 Uhr, von Montag bis Freitag 11 bis 17 Uhr, dienstags geschlossen.