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Das Sonntagskonzert wird live gestreamt.

Es ist jetzt über zwanzig Jahre her, dass die Dresdner Sinfoniker im Staatsschauspiel Dresden ein Werk aufführten, das eigentlich für Menschen nicht spielbar ist. Die »Studies for Player Piano« stammten von dem Komponisten Conlon Nancarrow, und die Musiker verzweifelten schier ob der rhythmischen Komplexität des Orchester-Arrangements. Intendant Markus Rindt erinnert sich, dass einer der Musiker zum Dirigenten sagte: „Du dirigierst hier einen Dreivierteltakt, ich habe aber ein ganz anderes Tempo!“ Worauf der Dirigent schulterzuckend zurückgab: „Ich bin nun mal ein Mensch…“

Warum sich in diesem Fall nicht einfach von einer Maschine helfen lassen?, dachte Markus Rindt damals. Er nahm zu den VW-Ingenieuren der Gläsernen Manufaktur Kontakt auf, aber Wolfsburg fand seine Idee zu obskur, und Rindts Plan vom dirigierenden Roboter verschwand in der Schublade. Bis ihn vor zwei Jahren ein Infineon-Mitarbeiter mit dem Informatikprofessor Frank Fitzek von der Robotikabteilung der TU Dresden bekannt machte.

Diesen Industrierobotern bringen Markus Rindt und die TU Dresden nun seit einigen Monaten das Dirigieren bei. Er steht dabei vor mehreren Herausforderungen: Roboter können zwar sehr präzise Bewegungen ausführen – aber beim Dirigieren ist es ja nicht damit getan, einen Taktstock in einem bestimmten Zeitraum von Punkt A nach B nach C zu bringen und dann zurück nach A. Ein Orchester guckt sich ja von einem menschlichen Maestro und seinen fließenden Bewegungen, dem ausgestellten Ellbogen und den Händen, die weich die Luft überm Dirigentenpult streicheln, viel mehr ab: Artikulationsdetails, dynamische Entwicklungen. Von der Mimik des Dirigenten gar nicht erst zu reden, von seinem stechenden Blick in die Bratschengruppe oder seinem seligen Lächeln beim Hornsolo. All das kann für das klangliche Endergebnis eminent wichtig sein.

Dieser sympathische Roboterkollege namens Spot kann nicht dirigieren, übergab allerdings letzte Woche im Festspielhaus Hellerau pflichtbewusst den Förderbescheid der Ostsächsischen Sparkasse Dresden an Markus Rindt (Foto: M.M.)

Zumindest die Armbewegungen hat Rindt für das aktuelle Projekt, die »Robotersinfonie«, möglichst genau abzubilden versucht, indem er mit drei verschiedenen Robotern minutiös Bewegungen ihres Dirigier-„Arms“ im Raum einstudierte. Das Festhalten am Dirigierstab ist für den Intendanten der Zauber an diesem Projekt: er hat bei allen technischen Fragen größere kulturhistorische Fragen um die Funktion des Dirigenten für das Orchester im Blick. „Wir wollen ja den Menschen nicht ersetzen“, argumentiert er. „Aber eine Erfindung dieser Art geht immer mit einer Repertoire-Erweiterung einher. Bei der Erfindung des Synthesizers hat es eine Explosion der Klangmöglichkeiten gegeben. Wir erweitern nun das Universum der Rhythmik, können neue, polythythmische Werke kreieren, die ein Mensch nicht dirigieren könnte. Die Innovationskraft in diesem Prozess wird aber immer beim Menschen bleiben. Wir schaffen uns nicht ab!“

Die größte Herausforderung des Projekts, gibt Markus Rindt zu: „Die Musiker müssen es schaffen, die Bewegungen der dirigierenden Roboter möglichst exakt in Klang umzusetzen, ohne dass die Roboter auf die erklingende Musik reagieren können. Die hören ja nichts! Die Maschinen geben stur wieder, was ich ihnen gezeigt habe. Für die Musiker ist das eine Riesen-Herausforderung. Wenn man als Spieler mal etwas schneller oder langsamer ist, fängt das ein menschlicher Dirigent problemlos wieder ein – das tun unsere Roboter aber nicht…“

Mit diesem kniffligen Technik-Balanceakt feiern die Dresdner Sinfoniker, die ja schon seit ihrer Gründung ungewöhnlichen, teils skurrilen Orchesterprojekten widmen, das Jubiläum ihres 25-jährigen Bestehens. Die ROBOTERSINFONIE eröffnet zeitgleich die HYBRID Biennale 2024, das »Festival für digitale Kunst« im Festspielhaus Hellerau. Dessen Programmleiter Moritz Lobeck hat für die aktuelle Ausgabe den Schwerpunkt auf Klangkunstprojekte gelegt. „Mich interessiert der Klang der Gegenwart“, sagt Lobeck, „interaktive Prozesse und dieser gefährliche Aspekt, die Problematik der Verwechslung: ist das noch Mensch oder schon Technik? Wir sind froh über diesen aufsehenerregenden Festivalbeginn mit den Dresdner Sinfonikern – und auch im weiteren Festivalprogramm werden Maschinen eine wichtige Rolle spielen.“

ROBOTERSINFONIE
Dresdner Sinfoniker

(Menschlicher) Dirigent: Magnus Loddgard
Werke von Markus Lehmann-Horn, Konstantia Gourzi und Wieland Reissmann

Maschinendirigenten: drei kollaborative Roboter dirigieren Werke von Wieland Reissmann, John Williams und Andreas Gundlach
Samstag, 12. Oktober, 20 Uhr
Sonntag, 13. Oktober, 15 Uhr
Großer Saal des Festspielhauses Hellerau
Tickets (29/19 €)

Eine Textversion des Artikels ist in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier abdrucken zu dürfen.