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Ich hab ka Lust, in deine Seele zu seh’n


Doppeltes Spiel: Pauline (Katharina Pittelkow) und ihr Richard (Erik Brünner) beobachten aus der Loge, wie sich Christoph Pohl als Hofkapellmeister Robert Storch und Maria Bengtsson als Christine in ihren Rollen schlagen (Foto: Monika Ritterhaus)

Am 1. November 2024 ging die Premiere von »Intermezzo« von Richard Strauss über die Bühne der Semperoper. Eine gewitzte Idee der neuen Intendanz, denn: genau einhundert Jahre früher, am 4. November 1924, fand im damaligen Schauspielhaus unter Fritz Busch die Uraufführung statt. Dazwischen hatte diese achte Oper von Strauss hierzulande einhundert Jahre Sendepause. Warum?

Zuerst: die Sächsische Staatskapelle unter der hervorragenden Leitung des 1995 geborenen Patrick Hahn, derzeit noch Generalmusikdirektor der Oper in Wuppertal, war in blendender Spiellaune. Die wesentlichen Rollen waren mit Maria Bengtsson, Christoph Pohl und James Ley perfekt besetzt. Der Regisseur Axel Ramisch ging witzig und ironisch mit dem Stoff um. Und die Bühne der einst in Dresden ausgebildeten Saskia Wunsch, die hiesige Kulturliebhaber vielleicht aus ihrer Zeit als Assistentin der Forsythe Company am Festspielhaus Hellerau oder von ihrer Arbeit am Kleinen Haus kennen, ist ebenfalls gelungen: die Oper spielt sich sozusagen auf einem ehelichen „Versuchsfeld“ ab, auf einer großen gepunkteten Schneidmatte, auf die die Bühneneinbauten als Bastelbilder gestellt werden. Ein bejubelter Abend im erfreulich vollen Haus. Also alles in Ordnung?

Nach »Salome«, »Elektra«, »Rosenkavalier« und parallel zur »Frau ohne Schatten« hatte Strauss die Vertonung einer bürgerlichen Komödie im Sinn. Mit dem Libretto wollte er wieder Hugo von Hoffmansthal betrauen, der aber dankend ablehnte und auf Hermann Bahr verwies, dessen Frau Anna Mildenburg die erste Wiener Klythämnestra gesungen hatte. Aber auch Bahr lehnte dankend ab – und so schrieb Strauss das Libretto selbst.

Grundlage für das Textbuch wurde eine eheliche Episode, die damals schon zwanzig Jahre zurücklag. 1902 war Strauss zu einem Gastdirigat in England eingeladen, als bei seiner Frau Pauline in Berlin ein Schreiben einer gewissen Mieze Mücke abgegeben wurde, die sich beklagte, auf Strauss in der Union Bar vergeblich gewartet zu haben. Dafür wollte sie ein paar Opernbillets und beendete ihren Brief mit den Worten „Im Voraus bestens dankend und herzl. Grüße Ihre Mieze Mücke“.

Auch wenn nach wenigen Tagen aufgeklärt war, dass das Schreiben nicht an Richard Strauss, sondern an einen fast namensgleichen Adressaten, nämlich den Kapellmeister Joseph Stransky, gehen sollte: das Missverständnis sorgte für innerehelichen Zündstoff. Sei’s drum. Die eher triviale Geschichte diente Strauss als Vorlage für eine Oper, die sich über fast drei Stunden zieht. Die Geschichte mit dem falsch zugestellten Brief wird um einige Szenen erweitert, in der die einsame Pauline beim Rodeln einen angeblichen Baron Lummer kennenlernt, der wohl was von ihr wollte – im wesentlichen tausend Mark.

Eine unnötige Zuspitzung der Regie: Axel Ranisch lässt Baron Lummer (James Ley) während seiner Privataudienz bei Christine einen unbeholfenen Strip vollführen. In einer Zeit, wo schon ein unerwartetes „Du“ in einem Brief ein Scheidungsdrama auslösen konnte, really? (Foto: Monika Ritterhaus)

Diese dreizehn Szenen einer eher belanglosen, nicht wirklich spannenden Geschichte werden verbunden von ebenso vielen Intermezzi, also Zwischenspielen. Strauss griff dafür in seinen Setzkasten und verwertete, was immer er bisher geschrieben hatte: Elemente aus »Salome«, »Elektra«, sehr viel »Rosenkavalier«, »Frau ohne Schatten« in allen möglichen Selbstzitaten, perfekt für ein wesentlich kleineres Orchester instrumentiert. Aber es zieht sich und zieht sich und endet mit Pause erst nach drei Stunden. Eine Tortur!

»Salome« wurde in Dresden seit der Premiere 1905 stolze 327 Mal aufgeführt. Für »Intermezzo« ist die neue Inszenierung die erste seit einhundert Jahren. Auch wenn Ulrich Schreiber meint, »Intermezzo« sei eine der “ästhetisch interessantesten Schöpfungen im Straussschen Musiktheater“: auf der Bühne konnte sich das Werk nie durchsetzen. Und auch nur wenige Aufnahmen existieren; herausgegriffen seien die von 1963 mit Keilberth und der Wiener Staatsoper, 1980 mit Sawallisch und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (und Lucia Popp vs. Dietrich Fischer-Dieskau) oder 2014 mit Ulf Schirmer und dem Münchner Rundfunkorchester.

Wie schrieb Richard Strauss an Pauline, nachdem der Irrtum in Berlin aufgedeckt war? „Der Elefant hat sich wieder zur Mücke verwandelt und somit eines sanften Todes verschieden.“

Weitere Termine: 21., 24. (Dresdentag) November; 4., 9. Dezember 2024

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