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Vierundzwanziger Assemblage

Foto: Dresdner Kreuzchor/ Martin Jehnichen

Es ist spannend zu verfolgen, wie die Kreuzkantoren ihre musikpraktischen und -ästhetischen Ideen für die Aufführungen des Bachschen Weihnachtsoratoriums in der großen, halligen Kreuzkirche jedes Jahr weiterentwickeln und dabei manchmal zu interessanten Lösungen finden. Die jährliche ‚Assemblage‘ (wie französische Winzer sagen würden), also die Zusammenstellung und das Verschneiden der verschiedenen musikalischen Elemente in eine stimmige Jahrgangs-Cuvée, bleibt jeweils kürzer oder länger im Gedächtnis, und die Erfahrungen fließen in die nächsten Aufführungen mit ein.

Unter Kreuzkantor Martin Lehmann setzen sich die Philharmoniker in jüngster Zeit ernsthafter mit Fragen nach charakteristischer Instrumentierung der Rezitative, Arien und Chöre, mit Auszierungen und auch mit Aufstellungsfragen auseinander. An der Größe des Ensembles mag man seit Jahrzehnten nicht mehr rütteln – zu der offensichtlich ja seit Jahrzehnten nicht großartig hinterfragten Maximalbesetzung des Chors tritt logischerweise auch eine recht große Orchesterbesetzung. Für die Arien hat sich jüngst immerhin eine achtsame Continuo-Gruppe etabliert aus Laute (Martin Steuber), modernem Cello (Ulf Prelle), Fagott (Daniel Bäz), Kontrabass (Benedikt Hübner), Orgel (Johanna Lennartz) und Cembalo (Holger Gehring), wobei ich mir eine viel individuellere, selbstbewusstere und textbezogenere Ausdeutung der beiden letzten Instrumentalisten vorstellen könnte. Aber immerhin, ein überfälliger Schritt ist da getan. Es fragt sich ja generell, wie weit die Philharmonie bereit ist, in Richtung eines barocken Instrumentariums zu gehen. Wäre es nicht zum Beispiel klangsinnlich konsequent, die obligate Flöte in der Arie „Schlafe, mein Liebster“, die der Kreuzkantor dieses Jahr direkt neben die Altistin Marie Henriette Reinhold platziert hat, mit einer Traversflöte zu besetzen? Und natürlich wäre auch die Auswahl der Gesangssolisten, die in jüngerer Zeit gar nicht dem Kreuzkantor, sondern einem Kreuzkirchen-Gremium oblag, unter diesen Gesichtspunkten anders anzugehen, die Tragfähigkeit der jeweiligen Stimme im großen Kirchenraum mit musikästhetischen Fragen abzuwägen.

Foto: Dresdner Kreuzchor/ Martin Jehnichen

Die wichtigste Frage ist bleibt jedoch, wie der Kreuzchor selbst, wie die einzelnen Knaben- und Männerstimmen bei diesem Oratorium, das – außer vielleicht den Jüngsten – alle Ausführenden längst aus dem Effeff beherrschen, zu Werke geht. Vermutlich hat es stimmgesundheitliche Gründe, dass die Choristen sich dieses Jahr zumindest bei der Aufführung am Freitag Nachmittag (nachdem am Vormittag schon eine Aufführung im Kulturpalast absolviert war und die letzten beiden Tage ja weitere WO-Termine auf dem Plan standen, bevor es nächste Woche mit dem Adventskonzert im Stadium und zwei Weihnachtsliederabenden weitergeht) dynamisch sehr zurückhielten. Weich, im Timbre eingedunkelt und fast durchgehend leise klang der Riesenchor, und war dabei doch so agil und beweglich, dass das große Orchester im Eingangschor von der forschen Gangart der Sänger überrascht wurde.

Mein Eindruck von der vierundzwanziger Cuvée: trotz der verheerenden Spätfröste im April 😉 hat sich der Kreuzchor unter Martin Lehmann wunderbar weiterentwickelt. Standardwerke wie das Weihnachtsoratorium werden immer wieder neu befragt und neue Ausdeutungen ausprobiert. So erklingt zum Beispiel eine Strophe des Chorals „Brich an, du schönes Morgenlicht“ in einer sinnlichen Holzbläser-Variante. Genau diese lebendige Beschäftigung mit dem Repertoire ist es, die die Musik lebendig und die jeden Besuch in der Kreuzkirche derzeit zu einem freudigen und berührenden Ereignis macht. Der riesige Applaus mit Juchzern, Jubelschreien und stehenden Ovationen am Ende der freitäglichen Aufführung zeigte das.

Weitere Aufführung der Kantaten 1-3: heute, 17 Uhr; Kantaten 4-6, dann mit Rinnat Moriah (Sopran),
Susanne Langner (Alt), Benedikt Kristjánsson (Tenor) und Tobias Berndt (Bass) am 11. Januar 2025 (Tickets hier)

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