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Klingender Gabentisch

Foto: M.M.

Alle Jahre wieder: Abgesänge auf den Plattenmarkt! Die CompactDisc (CD), so heißt es, habe ausgedient. Dabei erlebt seit Jahren schon sogar die gute alte Schallplatte ein erstaunliche Comeback. Wir stellen ein paar Silberlinge vor, die sich gut auf dem Gabentisch machen würden. Dazu müssen nicht mal Nadelbäume geopfert werden.

Alles mit dem Mund

Leute, wie die Zeit vergeht! Nicht genug damit, dass nun schon wieder bald ein Jahr vorüber ist und die Kaufhausketten bald die ersten Osterhasen vor die Krämerseelen stellt, nein, sogar ein halbes Jahrhundert ist scheinbar zu einem klanglichen Intermezzo zusammengeschmolzen. War es wirklich erst 1984, dass sich eine Handvoll toller Musiker (ohne -innen!) für ein damals noch recht neuartiges Unterfangen zusammenfand, um (nach britischem Vorbild) das Blechbläser-Ensemble German Brass zu gründen?

Zeit also für ein Jubiläum nebst dazugehöriger Jubiläums-CD »50 Jahre German Brass« (Berlin Classics 0303409BC) mit Ouvertüren. Ouvertüren in Blech! Bei der Programmgestaltung ging man dramaturgisch vor und nicht nach temporärer Reihenfolge. Entsprechend feierlich steht die »Festliche Ouvertüre«op. 96 von Dmitri Schostakowitsch als heftig eingetrommelter Auftakt dieser ansonsten ausschließlich der Gattung Oper entstammenden Öffnungen. Das Entree, gewidmet dem 37. Jahrestag der Oktoberrevolution, erklang 1980 zur die Olympiade in Moskau. Mitreißend schon damals, in den  Arrangements für dieses namentlich leider nicht im ansonsten durchaus informativen Booklet vorgestellte Ensemble mit effektvollem Perfektionismus eingespielt. Dass hier exzellente Musiker namhafter deutscher Klangkörper vertreten sind, muss wohl reichen.

Kaum weniger feierlich schließt sich die Ouvertüre zur »Zauberflöte« von Wolfgang Amadeus Mozart an, so dass man schier den erhabenen Geist des damaligen Freimaurertums zu spüren wähnt.. Wo sonst die Streicher flirren, etwa in Mozarts Ouvertüre zu »Figaros Hochzeit« (»Le nozze di Figaro«), flattern nun die Zungen. In Gioacchino Rossinis trommelwirbelnd eröffneter »Diebischer Elster« (»La gazza ladra«) hingegen brabbeln die Bässe, also Posaune und Tuba, ein wenig zu neblig im Dunkeln. Begeistern jedoch können auch hier die vorzüglichen Trompeten mit ihrem silbrig fein ziselierten Glanzton; das ist Perfektionismus in Reinkultur. Wo sie die Melodie in der Höhe angeben, sorgt das tiefere Blech für grundierende Bronze. Das sind klangliche Fundamente, die auch den wechselnden Rhythmen standhalten. Weiter vorn besteigen die Blechbläser mit virtuoser Anmut Rossinis »Seidene Leiter« (»La scala die seta«) und laufen Gefahr, einander in die Quere und schlimmstenfalls außer Atem zu kommen. Doch atemlos macht allein das Anhören dieser blitzsauberen Interpretation.

Etwas getragener hätte allenfalls die »Alceste«-Ouvertüre von Christoph Willibald Gluck angestimmt werden können. Im weiteren Verlauf allerdings formt sich auch hier das tragische Geschehen aus der griechischen Mythologie durchaus berührend und keineswegs blechern.

Mit leider nur einem (lediglich Mozart und Rossini sind zwei Nummern auf dieser Scheibe vergönnt) Auftritt kommt Ouvertüren-Großmeister Giuseppe Verdi zu Wort. Sein »Nabucco« lebt ja auch im Original von festlichen Fanfaren. Die Brass-Besetzung hätte gewiss das Zeug, mit ihrer Umsetzung im Musiktheater zu brillieren, zumal hier auch die Tuba als Melodieinstrument überzeugt. Was angesichts aktueller Spar- und Kürzungsorgien der zunehmend kulturferner werdenden Kriegspolitik bitte keine Einladung zur Ausladung der Streicher im Opernorchester sein soll! Wiewohl die einleitenden Takte zu Carl Maria von Webers betrügerischem Singspiel »Abu Hassan« nahezu großen Orchestersound zu ersetzen vermögen.

Im Finale der Jubiläums-CD geht es wiederum in die russische Geschichte. Die Oper »Ruslan und Lyudmila« von Michail Glinka ist unvergleichlich viel zauberhafter als das gegenwärtige Moskauer Zarentum. So schmettert German Brass auch deren Ouvertüre. Jegliches Weihnachtsgeklingel wird damit in den Schatten gestellt und glitzernd übertönt.

Man sieht auch mit den Ohren gut

Opernaufnahmen sind heikel. Man sieht die Szene nicht, folglich fehlt ein wesentlicher Teil der Gattung Musiktheater, die – nicht nur dem Namen nach – eben aus Musik UND Theater besteht.

Die Dresdner Philharmonie hat sich dennoch und in trautem Einklang mit dem MDR-Rundfunkchor dem pur konzertanten Unterfangen gestellt, im Dezember 2023 Vincenzo Bellinis Oper »I puritani« im Kulturpalast aufzunehmen (EuroArts 2011121, in Koproduktion mit San Francisco Classical). Mit Riccardo Frizza stand den Klangkörpern sowie einem untadeligen Solistenensemble ein Kenner des italienischen Opernrepertoires vor, der so kundig wie emotional gestaltend durch den Dreiakter führte.

Das Geschehen in diesem auf ein wenig aufregendes Libretto von Carlo Pepoli zurückgehenden Belcanto-Highlight ist eher dürftig, führt an den intriganten englischen Königshof zu Zeiten der unseligen Stuarts und des überall seine Finger im Spiel habenden Oliver Cromwell. Kern ist allerdings eine verwobene Liebes- und Eifersuchtsgeschichte, wie sie fast überall und jederzeit hätte statthaben können. Elvira und Arturo sind einander innig zugetan, haben jedoch eine ganze Reihe von Herausforderungen zu überstehen. Das wird in Bellinis Musik großartig transportiert, der Sizilianer hat bekanntlich in allen seinen Opern (viele schrieb er ja nicht) musikalisch überzeugende Perlen aufreihen können. Orchester- und Gesangsparts mit höchstem Anspruch und ohrwürmelnden Qualitäten sind ihm gelungen, die freilich allen Mitwirkenden so einiges abverlangen. Zumal ausgerechnet Maria Callas in so ziemlich jeder Partie ihres Faches ein nachhallendes Denkmal gesetzt hat. Ihre Elvira war ebenso eine Glanznummer wie etwa die Norma, mit dem Unterschied, dass La Divina als Elvira in den »Puritanern« am Teatro La fenice in Venedig kurzfristig für eine erkrankte Kollegin eingesprungen war – und umgehend eine Glanznummer absolviert hat.

Lisette Oropesa steht der großen Griechin in nichts nach, verzichtet (insbesondere in der Wahnsinnsarie »Qui la voce sua soave mi chiamava«) auf das breite Vibrato, beherrschst die Spitzentöne ebenso und formt mit ihrem Sopran in eindrucksvoller Weise Emotionen und Spannung. Ihr zur Seite brilliert Lawrence Brownlee als Arturo mit tenoraler Wärme. Nicht unerwähnt soll sein, dass mit Simeon Esper als puritanischer Bruno ein in Dresden wohlbekannter Solist der Semperoper besetzt wurde. Allein die Handlung …, man muss sich kein Bild machen. Und lauscht der Musik am besten mit geschlossenen Augen. Es wird wohl ohnehin noch eine ganze Weile brauchen, bis auch die Briten ihren blinden Glauben an königliche Märchenzeiten überwunden haben werden. Bis dahin wollen wir uns der Oper widmen, die ist überzeugender.

Fünfhändig an den Tasten

Steffen Schleiermacher als umtriebig zu bezeichnen, wäre arg untertrieben. Der Leipziger Musiker ist als Pianist und Dirigent sowie vor allem als Komponist und exzellenter Kenner und Verfechter der Neuen Musik unterwegs. Beispielhaft ist etwa seine Einspielung der kompletten Klaviermusik von John Cage auf sage und schreibe 18 CDs. Dieses Jahr erschien ein neues Album mit Musik von Steffen Schleiermacher, vorbildlich interpretiert vom Duo GrauSchumacher.

Das kompositorische Schaffen von Steffen Schleiermacher ist enorm vielseitig. Orchesterstücke, Kammermusik, Werke für Soloinstrumente, für Chöre sowie mechanische Musik. Letztere in Anlehnung an russische Maschinenmusik etwa von Alexander Mossolow, um dessen OEuvre sich der 1960 in Halle geborene Schleiermacher sehr verdient gemacht hat. Einen durchgängigen Stil gibt es nicht, der Komponist folgt seinen Intentionen und dem Prinzip, heutige Musik habe das Kriterium der Aktualität zu erfüllen, ohne romantische oder klassizistische Ästhetik zu vertreten. Seine Vielseitigkeit passt also ebensowenig in vorgefertige Schubladen wie die CD »Works for Two Pianos« (Neos Music 12401 mit SWR Kultur und MDR Klassik).

In seinem Klavierwerk bezieht sich Schleiermacher genreübergreifend auf die Bildende Kunst, so von Gerhard Altenbourg und Max Beckmann. Direkte Vorbilder gibt es offenbar nicht. Doch sein ästhetisches Denken scheint an Koryphäen wie etwa Erik Satie, John Cage, Morton Feldman und Karlheinz Stockhausen geschult. Er greift aber auch auf musikalische Einflüsse zurück, so in einer Adaption von Hanns Eislers 1931 entstandener Orchestersuite zum Film »Kuhle Wampe«, einem Meilenstein frühester politischer Filmkunst. Schleiermacher hat Eislers Orchestermusik für zwei Klaviere und Percussion arrangiert. Dank perfekten Fingerspiels vom Duo GrauSchumacher (das sind die beiden Virtuosen Andreas Grau und Götz Schumacher) werden die teils diffizilen Kompositionen von Steffen Schleiermacher absolut überzeugend bewältigt. Aus der Adaption von Eislers sogenanntem »Solidaritätslied« wurde ein zeitloses klingendes Denkmal geschaffen.

In dieser Version – und im Zentrum fünf originaler Kompositionen Steffen Schleiermachers – wohl weniger eine politische denn eine interpretatorisch-künstlerische Zeichensetzung. Unbedingt hörenswert dieser Klangkosmos zu vier Händen aus dem Geist eines rastlosen Multitalents, sogar ein Stück für fünf Hände ist da möglich, eine davon gehört dem Komponisten selbst.

Michael Ernst

Aus dem Nachlass

Der unvergleichliche Jazzmusiker Rolf Kühn ist nicht erst mit seinem letzten Album unsterblich geworden. Schön lange vor seinem Tod im Sommer 2022 hat sich der Klarinettist und Komponist mit seiner ebenso unverkennbaren wie vielseitigen Musik in den Olymp gespielt. Zahllose Aufnahmen legen davon Zeugnis ab.

Rolf Kühn, geboren 1929 in Köln, war ein musikalischer Weltbürger. Ebenso wie sein Bruder Joachim, der 1944 in Leipzig zur Welt kam und sich erst vor kurzem als nunmehr 80-Jähriger von Bühnenauftritten verabschiedet hat, ist Rolf auch mehrfach in Dresden aufgetreten. Beide erhielten hier beispielsweise 2012 den Jazz-Echo-Preis.

Nun aber ist mit »Fearless« eine unvergleichliche CD aus dem Nachlass von Rolf Kühn erschienen (MPS / Edel 0220183MS1), eingespielt im Frühsommer 2022 in Berlin, wo der umtriebige Künstler zuletzt gelebt hatte. Gemeinsam mit seinem Quartett (Frank Chastenier, Klavier, Lisa Wulff, Bass, und Túpac Mantilla, Drums) ist dem Meister ein weiteres Meisterwerk gelungen, ein wahres Masterpiece.

Angstfrei, wie es nicht nur der Titel verspricht, jongliert er sein Können durch bizarre Rhythmen und eingängige Melodien, beherrscht sein Instrument scheinbar blind, gibt im Verbund mit seinem Ensemble den Ton an, ohne vordergründig zu dominieren. Wie im Gegenteil dazu zeichnet er sich gerade durch seine würdige Zurücknahme aus, besonders deutlich wird dies im getragenen Clapton-Klassiker »Tears in Heaven«, aber natürlich auch im titelgebenden »Fearless«, wo Kühn spitze Akzente setzt, die einfach nur ansteckend wirken.

Das Einssein dieser ebenso musikantischen wie experimentierfreudigen Verbindung wird beim Zuhören beinahe greifbar, ist in allen zehn Stücken (auch im Zusammenspiel mit dem Cureim Quartet) unwiderstehlich, weil stets wahrhaftig und grundehrlich.

»The Summer Knows« mag wie ein Abschied klingen, wie ein Wissen darum, dass nun nahezu alles gesagt worden ist. Die kundigen Worte des großen Jazzexperten Bert Noglik im Booklet sind dennoch eine mehr als nur passende Zutat zu diesem empfehlenswerten Album.

Wenn die Sonne kommt

Beatles-Fans müssen jetzt ganz tapfer sein. Ihre unsterblichen Ohrwürmer taugen auch für akustischen Jazz. Der Chemnitzer Gitarrist Joe Sachse hat ikonische Hits wie »Hey Jude«, »Michelle«, »Yesterday« und andere in seine Hände genommen, auf die Saiten gelegt und zu neuartigen Kunstwerken geformt (jazzwerkstatt 248). Seicht bedrumt von Ernst Bier, sind diese Leuchttürme der frühen Rock’n’Roll- und Beat-Jahre in neuartiger Eigenheit wiederauferstanden. Geblieben ist die Melodiösität, hinzugekommen ist ein neuer, ein unglaublicher Sound. Zwar hat auch ein Joe Sachse nur fünf Finger an jeder Hand, doch was er damit fabriziert, klingt mitunter orchestral und nach ganzen Gitarrenverbänden.

Denen wäre es aber wohl kaum möglich, derart präzise die Riffs zu gestalten, aus vulkanischer Virtuosität umgehend wieder ins apathisch Innehaltende zu wechseln, von dort sogleich wieder zurück in aufregend mitreißende Konfusionen, die zwar nie kopflastig, aber immer überlegt und durchdacht wirken.

Eine Hommage an die Beatles? Gewiss ist diese Scheibe »T(w)ogether – Here Comes the Sun« das Bekenntnis des frühen Fans, der Joe Sachse einst unbedingt gewesen sein muss. Vor allem jedoch sind die nun vorliegenden Aufnahmen reale Zeitzeugen eines schier alterslosen Erzmusikanten, der mit seinem Instrumentarium Dialoge fabriziert, Gedankenwelten formuliert und sich selbst damit wahrscheinlich ebenso gründlich wie sein Publikum fasziniert. »When I’m Sixty-Four« gerät gar zum Schunkel-Sound, während der Schmusesong »Michelle« aller klebrigen Jugenderinnerungen entwischt zu sein scheint.

Hier hat sich ein Altmeister die von ihm verehrten Altmeister vorgenommen, sich ihnen gestellt, sie seinem Publikum neu vorgestellt. Chapeau! Auch Hits wie »Yellow Submarine“ oder eben das titelgebende »Here Comes the Sun«, die ohnehin nie Staub angesetzt hatten, sind geradezu revolutioniert worden. Mit flötender Kunst zu Trommelwirbeln im »Nowhere Man« und unermesslich viel Sentiment im »Girl«, wohingegen »Cry Baby Cry« kraftvoll flirrend Energien verströmt, wie sie im Original höchstens bei Live-Auftritten zu erleben gewesen sind.

Aldo Lindhorst

Wann darf ich klatschen? Ein Postskriptum

Die Etikette rund um einen Konzertbesuch – ein Fettnäpfchenthema, seit es überhaupt Konzerte gibt. Und mit all den Bemühungen der Orchester, neue Zielgruppen zu erschließen und das Publikum zu verjüngen und zu verbreitern (Stichwort »Best of Klassik«-Reihe der Dresdner Philharmonie), steigt auch die Nachfrage nach entspanntem Rat auf diesem Gebiet. Klar, wir wachsen langsam in eine Zeit hinein, in der anything goes. Darf man heutzutage nach einem Kirchenkonzert enthusiastisch klatschen? Nach einem perfekt dargebotenen ersten Satz eines Streichquartetts? Nach einem Kunstlied, wenn vom selben Komponisten noch weitere Lieder folgen?

Auch wenn diese Regeln entspannt betrachtet werden sollten, schadet es sicherlich nicht, als Konzertneuling ein bisschen Bescheid zu wissen in diesen Dingen. Wer sich nicht blamieren will, folge den beiden Grundregeln: klatsche niemals zuerst, und: erst, wenn sich der Dirigent zum Publikum umgedreht hat oder der Pianist vom Instrument aufgestanden ist, ist Klatschen absolut angesagt.

Wer es genauer wissen oder seine Enkel konzerttauglich machen möchte, ist mit einem Buch gut bedient, das inzwischen schon fast sechzehn Jahre auf dem Buckel hat, sich aber immer noch vergnüglich liest. Online sind hier einige Auszüge zum Anfüttern und Probelesen veröffentlicht. Daniel Hope, seit einigen Jahren Künstlerischer Leiter der Frauenkirche Dresden, hat das Buch (wie später »Sounds of Hollywood«) damals gemeinsam mit dem Journalisten Wolfgang Knauer geschrieben. Es birst schier vor lustigen kleinen Anekdoten, persönlichen Erzählungen, ein paar Bratscherwitzen (gähn) und einer Menge spannender Fakten, auch wenn manche Beschreibungen – etwa vom Sterben der CD! – inzwischen etwas angejahrt klingen. Wen es nicht stört, dass die Geschichten in diesem Buch eher um Celibidache, Bruno Walter, Georg Solti oder Carl Schuricht kreisen als um Joana Mallwitz, Oksana Lyniv oder Marie Jacquot, der greife zu…

Martin Morgenstern

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