Scroll Top

Unüberhörbarer Aufruf

Foto: Alexander Keuk

Da sitzen wir noch unter’m Christbaum und zupfen das Geschenkpapier wieder für die nächste Festivität glatt, da fährt uns eine wuchtige Stimme ins Genick: „O Freunde, nicht diese Töne!“ – mitten in die Weihnachtszeit platzt ein gewisser Herr van Beethoven und bohrt tatsächlich nach: „Ahnest Du den Schöpfer, Welt?“ Es wäre auch zu schön gewesen mit Krippelein und Weihnachtsbaum. Zur Jahresenddebatte in vier Sätzen lädt Herr van Beethoven zumindest im Abendland reihum in die Konzerthäuser mit seiner 9. Sinfonie. In Dresden findet eine Aufführung schon seit vielen Jahren in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen statt, die Elbland Philharmonie Sachsen gastiert hier samt Opernchor, Mitwirkung der Singakademie Dresden und Solisten aus dem Radebeuler Stammhaus.

Ekkehard Klemm, man möchte fast sagen der „designierte Emeritus“ des Orchesters, stand erneut am Pult, verneinte aber in seiner kleinen feinen Eröffnungsrede Riten der Wiederholung, sondern beschwor das Neue und die Veränderung, was man auch in seiner Interpretation immer wieder mit Entdeckerstaunen feststellen durfte: dieser Beethoven ist bei weitem keine alte Musik und in seiner Vielschichtigkeit lädt die „Neunte“ eben sowohl zum Innehalten, wie zum Reflektieren oder gar Aufbegehren ein, wie es die hereinprasselnden Pauken am Beginn der Ode im 4. Satz schöner nicht darstellen konnten.  Dass dieses Stück am besten wirkt, wenn es ein Gegenüber beim Diskurs erhält und sei es auch nur, um musikalische Übereinkunft oder Kontrast herauszustellen, beweist Klemm mit der jährlichen Aufführung eines zeitgenössischen Werks an Beethovens Seite.

Die Dresdner Komponistin Karoline Schulz hatte ihr Orchesterstück „Wind“ bereits 2019 für das Ensemble Sinfonietta Dresden geschrieben – schön, dass sich auf diese Weise das Stück nun in zwei weiteren Räumen entfalten darf (das Konzert wird am morgigen Silvestertag erneut in der Lutherkirche Radebeul gegeben), und statt atemwegreizender Weihrauchschwingerei wehte dieser musikalische Wind ganz wie eine verinnerlichte Phantasie rund um das Thema Bewegung, Luft, Himmel und Erde, aber auch in philosophischer Hinsicht als Hauch der Inspiration oder als „Durchfegen“ des Gewohnten. Insofern war dieses vom Orchester sensibel ausgehörte und gekonnt ausgeführte Stück ein perfektes Präludium zu Beethoven, das überdies in eher feinen Klangfarben auch gut in den Kirchenraum passte, der den Klängen noch etwas Körperlichkeit verlieh.

Für den Sturm, aber auch für die Windstille im 3. Satz war dann Beethoven zuständig. Ekkehard Klemm ließ gleich den 1. Satz zupackend kräftig ausmusizieren, da sind saftige Statements in d-Moll anstelle von oberflächlichem Geplauder zu vernehmen. So geht es auch im „Molto vivace“ weiter, Kassensturz im alten Jahr – das Innehalten ist dem Adagio vorbehalten, der Weltensturm, der sich zur Zuversicht wendet, gehört dem Finale. Anna Maria Schmidt, Ylva Gruen, Aljaz Vesel und Daniél Foki bildeten ein aktives, mutig agierendes Solistenquartett, das auf der lebensbejahenden Seite stand, die Chöre klangen homogen, sprachlich ordentlich deklamierend und waren somit als bester Transporteur der Idee des Werkes präsent.

Die Aufführung kündete insgesamt von großer Lebendigkeit, auch in den adäquaten, frischen Tempovorstellungen von Ekkehard Klemm war keinerlei Enderschöpfung eines 2024 zu spüren, sondern Aufbruch und Lust, im nächsten Jahr dem wie auch immer gearteten „Neuen“ tapfer entgegenzusehen. Vielleicht erreicht uns dann ja auch ein Götterfunke, der positive Veränderungen bewirkt – der Aufruf dazu war unüberhörbar.

Das Konzert wird am Silvestertag, 31.12.2024 um 19.30 Uhr erneut in der Lutherkirche Radebeul gegeben. Restkarten auf der Seite der Landesbühnen Sachsen oder an der Abendkasse.