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Der Geist des Ortes

Das »Quartett für das Ende der Zeit« und ein Ausblick auf die Messiaen-Tage 2025

Der 15. Januar ist seit langem ein fester Termin in der deutsch-polnischen Gedenkkultur. Auch in diesem Winter zählte ein Konzert mit Olivier Messiaens »Quartett für das Ende der Zeit« am Jahrestag seiner Uraufführung im Kriegswinter 1941 wieder zum guten Ritual. Seit 2015 am einstigen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A das Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur eröffnet worden ist (sind seitdem tatsächlich schon wieder zehn Jahre vergangen?!), steht dieses Ritual, befindet sich jedoch wohltuend in steter Veränderung.

Quelle: Badinguet 42, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Von besonderer Wichtigkeit ist das Gedenken natürlich im 80. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – sowie in nach wie vor fortgesetzten Kriegszeiten Russlands gegen das Nachbarland Ukraine. Beim Meetingpoint Memory Messiaen ist man sich dieser perfiden Inkongruenz durchaus bewusst, zumal das Gedenken auch den sowjetischen Soldatenfriedhof beinhaltet. Im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen der Alliierten wurden die Angehörigen der Roten Armee wie Aussätzige behandelt und in einem Massengrab verscharrt. Stalin ging schließlich davon aus, dass Sowjetsoldaten entweder siegen oder sterben. Gefangennahme kam für den Despoten nicht in Frage, deswegen hatte er das Genfer Ankommen zum Schutz von Kriegsgefangenen absichtsvoll nicht unterzeichnet. Sein heutiger Widergänger im Kreml ist von diesem Ungeist nicht weit entfernt.

Umso bedeutsamer ist es, dass rings um das Gebäude des Europäischen Zentrums nun »Kriegspoesie« projiziert wird. »Du gingst, mein heller Sohn« von Krzysztof Kamil Baczynski, »Schreib mir bloß nicht vom Krieg« von Pavlo Vyshebaba, oder »Ich bin der Tote, der durch jene Zeiten schritt« von Robert Desnos. Worte, in die man sich vertiefen sollte. Aller winterlichen und gesellschaftlichen Kälte zum Trotz.

Musik aus Leid und aus Hoffnung

Wer aber am 15. Januar an den Stadtrand von Zgorzelec kommt, unternimmt diesen Weg wegen Olivier Messiaen und dessen Musik. Es ist der Geist dieses Ortes, es sind die besonderen Umstände der Entstehung dieses Quartetts mitten im Krieg. Leid und Verzweiflung, Resignation und Hoffnung sind da womöglich dicht beieinander gewesen – das Ende der Zeit! Dass ein solches Werk in einem Kriegsgefangenenlager der deutschen Wehrmacht entstehen und uraufgeführt werden konnte – nach nationalsozialistischem Verständnis handelte es sich ja um »Entartete Musik« – grenzt aus heutiger Sicht an ein Wunder. Messiaens Musik tönt tief aus dieser Qual heraus und vermittelt trotz allem eine verbindende Zuversicht. Sie zieht noch heute jedes Jahr viele Menschen aus Deutschland und Polen an diesen Ort. Ein Besinnen auf die Vergangenheit und das Nachdenken über die Gegenwart mögen angesichts dieser Klänge an diesem einzigartigen deutsch-polnischen Gedenkort zusammenfließen.

In nur gut fünfzig Minuten können Jahrzehnte und Jahrhunderte durch die Gedankenwelt fließen, wenn in Messiaens Quartett eingetaucht wird. Jedes Jahr wird es hier von wechselnden Ensembles interpretiert, diesmal waren zwei Musiker der Sächsischen Staatskapelle beteiligt, der Geiger Federico Kasík und Robert Oberaigner an der Klarinette, sowie mit dem Cellisten Nicolas Defranoux ein Mitglied des Leipziger Gewandhausorchesters und am Klavier der polnische Pianist Michał Francuz. Ihnen gelang eine eindrücklich mitreißende Interpretation des »Quatuor pour la fin du temps«. So oft dieses Werk zu hören ist, gerade an diesem besonderen Ort, so oft klingt es immer wieder anders, sind immer wieder neue Nuancen darin zu entdecken.

Fortsetzung folgt: Ende April

In der Vergangenheit sind die Messiaen-Tage immer mit diesem Uraufführungstermin verbunden gewesen. Ab sofort wird das anders gehandhabt, wie Alexandra Grochowski, Geschäftsführerin des Meetingpoint Memory Messiaen, begründet: „Zum Festival 2025 haben wir uns entschieden, es an zwei verschiedenen Terminen zu organisieren, am 15. Januar sowie Ende April. Zum einen, weil es sonst immer sehr schwierig war mit der finanziellen Förderung, da wir erst kurz vor Weihnachten Bescheid bekamen, ob denn nun eine Förderung kommt oder nicht, und zum anderen bietet uns der April-Termin neue Chancen, das Festival anders auszugestalten. Außerdem erhoffen wir uns im Frühjahr natürlich auch ein zahlreicheres Publikum.“

Somit ist der Konzertabend dieses Quartetts erst der Auftakt zu den eigentlichen Messiaen-Tagen gewesen, die vom 25. bis zum 27. April stattfinden werden. Die neue Projektleiterin Klaudyna Michalska hat wesentliche Inhalte schon mal andeuten wollen: „Im April gibt es verschiedene Veranstaltungen – Podiumsdiskussionen, Konzerte in Kooperation mit Lausitz-Festival, mit dem Neiße-Filmfestival sowie mit vielen Institutionen in der Region.“ Damit wächst eine künstlerische Ausstrahlung, die sich auch politisch deutlich positioniert. Insbesondere gegen Russlands Krieg und für den Widerstand sowie die Unterstützung der Ukraine. Angekündigt sind jetzt schon Performance und Installation zu demokratischen Grundfragen, Theater und Tanz der Dresden International School in Zusammenarbeit mit internationalen Komponistinnen und Komponisten, zudem gibt es eine »Poetische Federlese« als Kooperation mit dem Lausitz-Festival und weitere wichtige Programmpunkte, die ein europäisches Verständnis und Miteinander fördern sollen. Also ein höchst engagiertes Programm, zu dem das Gedenkkonzert am zehnten Jahrestag der Eröffnung dieses Europäischen Zentrums ist ein würdiger Auftakt gewesen ist.

Den zweiten Teil der diesjährigen Messiaen-Tage gibt es vom 25. bis zum 27. April.

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