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Nie wieder Krieg!

Die Kathedrale von Coventry (Quelle: mintchocicecream, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Donald Runnicles dirigiert zum Dresdner Gedenktag das »War Requiem« von Benjamin Britten

Februar in Dresden, Zeit des Gedenkens. In diesem Jahr jährt sich die Zerstörung der Stadt zum 80. Mal. Traditionell erklingen hierzu Gedenkkonzerte, sowohl bei der Sächsischen Staatskapelle, die unter ihrem Chefdirigenten Daniele Gatti schon am 12. Februar eine fulminante Interpretation des Verdi-Requiems offeriert hat, als auch bei der Dresdner Philharmonie. Die führt mit ihrem designierten Chefdirigenten Donald Runnicles in diesem Jahr das »War Requiem« von Benjamin Britten auf.

Runnicles hat seinen künftigen Arbeitsplatz, den Konzertsaal im Dresdner Kulturpalast, schon so gut wie erobert, wie bei einem Probenbesuch zu erleben war. Gründlich erarbeitet er jede einzelne Passage im »War Requiem«, erklärt Hintergründe und Zusammenhänge in diesem Großwerk von Benjamin Britten. Hier scheint sich ein sehr persönlicher Kontakt zu den Mitgliedern der Philharmonie zu entwickeln, als wäre der Schotte hier schon zu Hause. „Ich fühle mich hier wirklich sehr wohl, sowohl in der Stadt als auch im Kulturpalast. Die Arbeit mit dem Orchester ist eine ganz große Freude, ich hab jetzt schon das Gefühl, als hätten wir bereits lange und sehr wirkungsvoll zusammengearbeitet. Ich freu mich sehr auf alles, was wir gemeinsam vorhaben.“

Für sein aktuelles Vorhaben, dem Konzert zum Dresdner Gedenktag, koordiniert Runnicles neben Dresdner Philharmonie, Philharmonischem Chor und Kinderchor auch zwei tschechische Chöre sowie Solisten aus drei Nationen – ein großes Aufgebot also im Dresdner Konzertsaal. Das sei ein wunderbarer Saal, schwärmt der baldige Chef, denn er eigne sich hervorragend für das »War Requiem« von Benjamin Britten, dieses bedeutsame, geradezu oratorische Meisterwerk. Es ist ein musikalisches Denkmal von Weltgeltung. Für Donald Runnicles „ein Stück, das geboren wurde durch die Zerstörung eines historischen Gebäudes,  der Kathedrale von Coventry.“ Diese Kathedrale ist Ende 1940 von der deutschen Luftwaffe mitsamt großer Teile der mittelenglischen Stadt zerstört worden. Heute ist Coventry, das damals unter dem zynischen Operationsnamen »Mondscheinsonate« bombardiert wurde, Dresdens britische Partnerstadt. Runnicles weist darauf hin, dass viele Städte während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden sind. „Speziell Dresden, das war ein kultureller Schatz. Ich denke, Benjamin Britten wäre heute sehr glücklich darüber, dass an diesem wichtigen Gedenktag gerade diese Musik von ihm hier erklingt.“

„Mein Vater war in der britischen Luftwaffe, in der Royal Air Force. Als ich als junger Kapellmeister nach Deutschland kam, war er absolut dagegen“ (Foto: Simon Pauly)

Brittens »War Requiem« ist natürlich nicht zufällig am 30. Mai 1962 in der wieder aufgebauten Kathedrale von Coventry uraufgeführt worden. Es war ein Wunsch des Komponisten, der ausdrücklich auf eine grenzüberschreitende Versöhnung der Menschen gezielt hat, die Solopartien mit der russischen Sopranistin Galina Wischnewskaja, dem britischen Tenor Peter Pears und dem deutschen Bariton Dietrich Fischer-Dieskau zu besetzen. Allein: die Sowjets erlaubten der großen Wischnewskaja keine Ausreise, ihre Partie wurde von Heather Harper aus Nordirland gesungen.

In Dresden werden die polnisch-deutsche Sopranistin Sara Jakubiak, der neuseeländische Tenor Thomas Atkins und der kanadische Bariton Russell Braun zu erleben sein. Eine derartige Internationalität lag dem 1976 verstorbenen Komponisten unbedingt am Herzen. „Der war Pazifist“, betont Donald Runnicles, „er hat dieses Requiem wegen der Coventry Cathedral geschrieben. Und wenn ich jetzt jeden Tag an der Frauenkirche vorbeigehe und auf dieses unglaublich schöne Gebäude schaue, muss ich daran denken, dass es bis vor kurzem vollkommen zerstört gewesen ist. Dieses Gebäude ist nicht nur ein Denkmal, sondern eine Mahnung. Ebenso ist auch diese Musik von Benjamin Britten ist eine Mahnung.“
Eine Mahnung, die Runnicles mit einem Zitat aus dem Text von Wilfred Owen verdeutlicht, der dem »War Requiem« als eine Art Vorspruch zugrunde liegen: „All a poet can do / is warn / about the pity of war. Genauso wie ein Musiker, genauso wie ein Komponist. Alles, was wir können, ist warnen. Nie wieder Krieg! Dieses Requiem ist keine Musik nur zum Erinnern, nein, sondern wir sollen auch auf die Zukunft schauen und sagen, nie wieder.“

Die Kapellkollegen führen heute zeitgleich unter ihrem Chefdirigenten Daniele Gatti das Verdi-Requiem auf. Auch dieses Konzert ist ausverkauft; allerdings wird die Aufzeichnung des gestrigen Abends heute ab 20.03 Uhr auf MDR Klassik, RBB und NDR gesendet. (Foto: Oliver Killig)

Für Donald Runnicles, diesen Dirigenten des Jahrgangs 1954, ist dieses Gedenkkonzert auch ein ganz persönliches Anliegen, wie er im Gespräch einräumt: „Wissen Sie, woran ich denke? Mein Vater war in der britischen Luftwaffe, in der Royal Air Force, im Zweiten Weltkrieg. Als ich dann als junger Kapellmeister nach Deutschland kam, war er absolut dagegen, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, wieso sein Sohn gerade in das Land gehen wird, gegen das er selbst fünf Jahre lang gekämpft hatte.“
Das muss in den Jahren der Aussöhnung zwischen Deutschland und den einstigen Kriegsgegnern gewesen sein. Damals gab es für Donald Runnicles auch eine ganz familiäre Versöhnung: „Als mein Vater dann später selber zum ersten Mal nach Deutschland kam, um mich hier zu besuchen, war er überwältigt von diesen fabelhaften Menschen, er stellte fest, wir Menschen sind alle gleich, überall auf der Welt. Insofern glaube ich, auch mein Vater und meine Familie wären jetzt stolz, dass der Sohn an diesem historischen und wichtigen Tag gerade hier in Dresden dieses Meisterwerk von Benjamin Britten aufführt, bei dem man in jedem Moment spürt, wir sind alle Menschen und sollten einander verbunden sein.“

Das Konzert mit Donald Runnicles und Benjamin Brittens »War Requiem« am Dresdner Gedenktag, dem 13. Februar, ist längst ausverkauft. Für den Maestro, derzeit noch Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, ist die schon langjährige Beschäftigung mit dieser Musik aber noch längst nicht beendet. Zu seinen künstlerischen Vorhaben zählt unter anderem just dieses Requiem zu geben, in einer szenischen Fassung.

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