Scroll Top

Der Welt enthoben

Daniele Gatti setzt seinen Mahler-Zyklus mit der Sächsischen Staatskapelle fort. Das jüngste Sinfoniekonzert war ein Ereignis!

Fotos (3): Jörg Simanowski

Daniele Gatti setzt seinen Mahler-Zyklus mit der Sächsischen Staatskapelle fort. Das jüngste Sinfoniekonzert war ein Ereignis!

Was die Kapelle kann, kann nur die Kapelle. Dass es auch andere gute, sehr gute, ja exzellente Klangkörper gibt, steht ganz außer Frage. Aber wer das 7. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle unter Chefdirigent Daniele Gatti erlebt hat, mag vielleicht erst einmal gar nichts anderes an seine Ohren heranlassen. Man ist da zunächst einmal für gute zwei Stunden dem Absurdistan einer völlig aus den Angeln geratenen Welt enthoben. Muss nicht daran denken, was für ein Unheil ein kleine Handvoll Narzissten in ihrer Rolle als Diktatoren und Dekretoren – in jedem Fall also als Toren – in Windeseile über den Globus zu bringen vermögen. Dass als verrückte Folge dieser Verrücktheiten über Deutschland eine neuerliche Währungsreform verhängt wird und jeder neue Euro bald nur noch »Sondervermögen« genannt wird (zu bezahlen von den Kindeskindern unserer Kinder), könnte bei dieser Musik schier vergessen werden. Zumal dieses Konzert wohltuend für eine Konstanz steht, die der Welt ansonsten abhanden gekommen zu sein scheint.

»Die Gedanken sind frei«

Solch ein Schwärmen trotz »Schildwache«, trotz verhungertem Kind auf der »Totenbahr« und »Verfolgten im Turm«, Schwärmerei im klangvoll gesungenen Angesicht marschierender Soldaten und einer Leibkompanie, die das Unmenschliche einer erneut drohenden Wehrpflicht erinnert? Aber ja! Allein diese Auswahl aus »Des Knaben Wunderhorn« von Gustav Mahler endet ja in der wohltuend versöhnlichen Aussage: »Gute Nacht, ihr Offizier, / Korporal und Musketier! / Gute Nacht! Ihr Offizier, / Korporal und Grenadier! / Ich schrei’ mit heller Stimm’: / Von euch ich Urlaub nimm! / Gute Nacht!«

Bariton Christian Gerhaher trug all diese wie aus der Zeit gefallenen Friedensgedanken so einnehmend und menschlich vor – dennoch höchst kunstvoll, versteht sich –, dass es verwunderlich anmutet, mit welcher Selbstverständlichkeit Selbstverständlichkeiten heute wieder ausgeblendet werden: Nie wieder Krieg! Nie wieder Uniformdenken! Nie wieder Kasernenhof! Nie wieder Offizierskasten, die Rekruten verheizen!

Anstelle von milliardenschweren Sondervermögen wäre echter und weltweiter Frieden das einzig wahre Vermögen der Menschheit. Es könnte Schulden- und vor allem schuldlos sein (geradezu unschuldig, wie die nächste Premiere an der Semperoper klingt: »Innocence« von Kaija Saarriaho am 15. März).
Gatti und Kapelle legten dem klug disponierenden Sänger einen wunderbaren Streicher-Klangteppich aus, auf dem der die Liedauswahl ergreifend zelebrierte. Orchester und Solist nahmen das fast atemlos wirkende Publikum mit auf eine Reise, die in romantische Gefilde, aber nie jenseitig führte. Stimmprächtig, voller Mut zu leisen Tönen, dann aber auch ausbrechend: »Die Gedanken sind frei!« Umrankt von Klarinette und anderem Holz, betrommelt und trompetend getrieben, wanderte Christian Gerhaher selbstbewusst voller Brillanz durch diesen blühenden Garten musikalisch-literarischer Dichtkunst.

»Himmlische Freuden«

Nach der Pause buchstabierten sich Gatti und die Kapelle durch Gustav Mahlers 1901 in ihrer Erstfassung uraufgeführten Sinfonie Nr. 4 G-Dur. Ein Werk, ja ein Wurf voll von tragikomischen Momenten, packende Romantik, die mal Lächeln und mal Weinen evoziert, in jedem Takt mitreißend ist und erst dann so richtig tief zu Herzen geht, wenn vom ersten bis zum letzten Ton ein ergreifender Bogen gespannt wird, dem man sich nicht entziehen kann. Da mochte die ältere Dame in Reihe 13 noch so laut mit ihren Lederstiefel knarzen; das geradezu Andächtige im Poco adagio konnte sie nicht zerstören.

Schon am Ende des ersten Satzes, den Gatti mit ehrfürchtiger Hingabe begonnen hat, fesselt der feinst verwobene Streicherklang jede Aufmerksamkeit. Kurz vor dem Schluss bricht aus dem feinsinnig vorgetragenen Piano plötzlich ein Ausbruch hervor, der sämtliche Nackenhaare im Saal in Richtung der Kronleuchter schnellen lässt. Der abwechslungsreiche zweite Satz setzt dies fort mit gelungenem Gemeinklang der Kapelle, durchsetzt von faszinierenden Soli, famosem Gruppenspiel und formidablem Miteinander. Gatti agiert zurückhaltend, aber bestimmt, konziliant und konzentriert. Dieses Ereignis lässt auf gründliche Detailarbeit schließen und ist den einzelnen Musikerinnen und Musikern immer mal wieder in zufrieden bis freudvollen Gesichtern anzusehen. Kurz vorm Finalsatz mit dem Gesangssolo »Wir genießen die himmlischen Freuden« schreitet die spanische Sopranistin Sara Blanch an Bässen, Harfe und Violinen vorbei (wo Konzertmeisterin Yuki Manuela Janke mit himmlischen Soli betörte), um mit ihrer schlanken Stimme aus dem Orchester herauszulodern. Da muss nicht alles textverständlich sein, der emotionale Eindruck überzeugte viel mehr als jede gesungene Silbe. Ein Sinnenfest! »Daß Alles für Freuden erwacht.«

Die Sopranistin Sara Blanch – nicht immer textverständlich, aber emotional überzeugend

Daniele Gattis Mahler-Zyklus wird im 9. Sinfoniekonzert mit der sogenannten Auferstehungssinfonie, Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 2 c-Moll, am 13. und 14. April in der Semperoper fortgesetzt (alle Termine sind bereits ausverkauft). Ob die Welt bis dahin wieder ein klein wenig freundlicher geworden sein mag?

Verwandte Beiträge