In Hellerau spielt wieder die Musik. Das tut sie schon immer, aber das Europäische Zentrum der Künste zeigt ja alle Spielarten der (performenden) Kunst, Musik kann, muss aber da nicht immer die Hauptrolle spielen. Dass in den letzten Jahren die zeitgenössische Musik scheinbar selbstverständlich und immer extensiver ihre eigenen, selbstgesteckten Grenzen aufgebrochen hat und Genres hinterfragt oder auch neu erfunden hat, läßt ihren Platz in Hellerau um so sicherer erscheinen – erst recht aus der Historie heraus, denn die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik finden in diesem Jahr zum 32. Mal statt. Das Festival zählt nach wie vor zu den wichtigsten Podien für die Vorstellung international angesagter oder auch neu entdeckter zeitgenössischer Musik, und auch wenn Aufwand, Budget und Strahlkraft nicht mehr so ganz pompös wie früher erscheint – was vor allem allerorten zu beobachtende wirtschaftliche Gründe hat. Dennoch bietet auch der Ende März startende 32. Jahrgang einiges an Entdeckerfreuden und Highlights mit gleich vier großartigen Ensemble-Gastspielen (Ensemble Modern, Musikfabrik, Trickster Orchestra, Ensemble Intercontemporain). Hier eine kleine subjektive Programmvorschau, die Lust auf den Besuch auf dem „Hügel“ machen soll, und ziemlich voraussagbar ist, dass man klanggefüllt und mit interessanten Erkenntnissen ins Tal der nunmehr Ahnenden zurückkehren wird.
Gleich der Eröffnungsabend verspricht mit dem Besuch des Ensemble Modern ein Höhepunkt zu werden, auch das Thema des künstlerischen Gedächtnisses, das die kosovarische Komponistin Andrea Kryeziu aufwirft, eignet sich gut, um eine Verortung der zeitgenössischen Musik zu starten. Die Perspektiven werden dabei im dreiwöchigen Festival global geweitet, beziehen aber auch regionale Stimmen in Kooperationen ein – eine bewährte Mischung, um den berühmten Tellerrand zu einem Ort der Neugier und Inspiration zu machen.
Der Folgetag der Eröffnung ist dem Nachwuchs gewidmet: das Landesjugendensemble Neueste Musik Sachsen wird am 30. März ein wichtiges Projekt der nächsten Generation und in Kooperation mit dem Berlin Prize for Young Artists sowie dem Konzerthaus Berlin die junge Saxophonistin und Performerin Aina Font vorstellen. In Kooperation mit der Semperoper Dresden wird an drei Terminen die letzte Oper »Innocence« der 2023 verstorbenen Komponistin Kaija Saariaho zu hören sein.
Elaine Mitchener setzt sich als Schwarze britische Staatsbürgerin der ersten Generation in einer Konzertperformance mit dem Vermächtnis von Julius Eastman auseinander, dem lange vergessenen aber vielleicht radikalsten und spannendsten Vertreter der Minimal Music (8. April). Weitere außergewöhnliche Erlebnisse versprechen das Gastspiel des Trickster Orchestra mit neuen Kompositionen u.a. von George Lewis und Cymin Samawatie (4. April). Im ZENTRALWERK treffen beim Konzert »Isles & Rivers« alte Musikinstrumente auf Elektronik und europäische Barockmusik auf neue Kompositionen von Sokratis Sinopoulos, Keyvan und Bijan Chemirani und Yannis Kyriakides (15. April). Damit strahlen die „Tage“ auch wieder an Spielorte in der Stadt aus, und auch im Kleinen Haus, in der Hochschule für Kirchenmusik oder in der 121. Oberschule (MUSAIK-Projekt mit der Staatskapelle Dresden am 16. April) wirkt und tönt Hellerau.
Dresdner Ensembles flichten sich traditionell und selbstverständlich in das Festival ein, und zu bemerken ist, dass sowohl das Ensemble Courage als auch „El Perro Andaluz“ längst auf international professioneller Ebene am Klang der Gegenwart mitarbeiten und unermüdlich neue und neueste Musik aus der Taufe heben. Gut, dass sie auch weiterhin zum Kanon in Hellerau gehören und ihre Stimmen einbringen (11.4/13.4.) – genauso wie das Vokalensemble AuditivVokal, das im Archiv der Avantgarden am 13.4. die aktuelle Ausstellung vokal kommentieren wird. Ebenso beteiligt sich mit der Elbland Philharmonie Sachsen eines der großen Orchester in Hellerau und wird u. a. ein neues Werk von Wilfried Krätzschmar vorstellen, zudem sind hier auch zwei Komponistinnen jüngerer Generation zu entdecken.
Zum Abschluss des Festivals widmet das 1976 in Paris gegründete Ensemble Intercontemporain dem Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez zum 100. Geburtstag ein ganz besonderes Konzert (17. April), während Ensemble Musikfabrik in einem hypnotisierenden Film-Projekt mit Musik von Rebecca Saunders und Steve Reich die Bildwelten des international bedeutenden Malers Gerhard Richter in seiner Heimatstadt Dresden neu erlebbar werden lässt (18. April).
Unbedingt widerzugeben ist am Ende dieser Vorschau auch das Statement des Europäischen Zentrums der Künste, das Festival gleichsam als Zeitzeichen interpretierend: „Die 32. Ausgabe der Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik steht unter dem Zeichen dramatischer globaler Umbrüche und aktuell stark gefährdeter Produktionsbedingungen für die Kunst. Beleuchtet werden ausgewählte Projekte, Ensembles und Künstler*innen, die gerade jetzt die Kraft des gemeinsamen Hörens, aber auch die Fragilität künstlerischer Prozesse, wieder stärker ins Bewusstsein rücken.“ – Möge die hier beschriebene Kraft auch in die Zukunft wirken.
Mit der Ticketaktion „Doppelpack“ erhalten Besucher*innen beim Kauf von zwei Tickets für Veranstaltungen von den 32. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik 50% Ermäßigung auf das günstigere Ticket (nur im Besucherzentrum und an der Abendkasse buchbar).