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Marke und Isolde

„Wozu die Dienste ohne Zahl?“ Die Philharmonie hat sich durch die Absagen und Umbesetzungen nicht entmutigen lassen und machte unter Last-minute-Einspringer John Fiore insgesamt einen überzeugenden Eindruck (Foto: Stephan Floss)

Den »Tristan« aus der Taufe zu heben, erwies sich vor einhundertsechzig Jahren als irre Odyssee. Die Akustik der vorgesehenen Häuser, mangelnde sängerische Qualitäten der Mitwirkenden, finanzielle Hängepartien, Terminkollisionen, Krankheit… Alles, was schiefgehen konnte, ging schief. So scheiterten die Uraufführungspläne, nachdem konzertante Ausschnitte der Oper vom Publikum mit Irritation und offener Ablehnung bedacht worden waren, in Rio de Janeiro (in italienischer Sprache!), Strasbourg, Karlsruhe, Paris, Wien, Karlsruhe, Weimar und Dresden. In Wien waren schon „Dienste ohne Zahl“ (doch, jemand zählte siebenundsiebzig Proben) in das Projekt geflossen, bevor es am Ende doch abgesagt wurde: unspielbar, das Ding. Am 10. Juni 1865, fast zehn Jahre nach Fertigstellung der Musik, gelang die Premiere schließlich doch noch, im Nationaltheater München.

Fast so problembeladen liest sich auch die Vorgeschichte der konzertanten Dresdner Aufführung im Jahr 2025. Marek Janowski, dem dieser Abend so recht eigentlich auf den Leib geplant worden war, hatte sein Orchester brüskiert – was da letztes Jahr hinter den nicht vorhandenen Kulissen geschah, weiß der Kuckuck. Jedenfalls wurde das Projekt nicht gestoppt (was sicherlich trotz bereits absolvierter Proben möglich gewesen wäre), sondern dirigentischer Ersatz gesucht und mit dem Andalusier Pablo Heras-Casado auch gefunden. Nur, dass Heras-Casado am Ende eben auch kurzfristig den Dirigentenstab hinwarf und die vorgesehene Isolde kurz danach das Handtuch. Schwebten da unheilvoll die Geister des Dresdner Sänger-Ehepaars der Uraufführung, Ludwig und Malvine, über dem Kulturpalast?

Ach was! Die Philharmonie ließ sich nicht entmutigen, verpflichtete im allerletzten Moment den zuverlässigen Operndirigenten John Fiore und fand mit Catherine Forster eine Traum-Isolde. Volle Punktzahl also schon mal für die unermüdlichen Organisatorinnen des Projekts. Und musikalisch?

Da ging das berühmte Vorspiel zum Ersten Aufzug dann doch erst mal etwas schüchtern los. Man meinte der Philharmonie die Konzentration anzuhören, aber eben auch den Fakt, dass hier kein Opernorchester musizierte, sondern ein Konzertorchester, auch wenn einige Philharmoniker schon so manches Mal im Graben ausgeholfen haben. Solide klang das, sorgfältig ausbuchstabiert, wie in einer Durchlaufprobe, bei der einzelne, gut geprobte Abschnitte, Stimmen und Passagen zum ersten Mal zur Gänze zusammengefügt werden. Wenig hilfreich war der Fakt, dass die Rollen der beiden Protagonisten aus den Noten abgesungen wurden (das hätte Janowski nie erlaubt!) und gerade der Part des Heldentenors nicht so recht zünden wollte: zu weich, in den Höhen manchmal eng klang die Stimme von Stuart Skelton, und die akustische Situation – Orchester höchst präsent auf der Bühne, Sänger quasi im Resonanzloch vor den ersten Geigen am Bühnenrand positioniert – tat ihr übriges. Dieser Typ, der da am Bühnenrand gerade ein Wasserglas auf einem Stuhl abstellte, sollte liebestrankberauscht seine Angebetete ins „Wunderreich der Nacht“ begleiten, „nimm mich auf in deinen Schoß“ und so weiter? Nein, von Zärtlichkeiten und leidenschaftlichem Sex hörte das Publikum in Skeltons Stimme zu wenig.

Isolde (Catherine Forster) und König Marke (Georg Zeppenfeld) rückten in den Mittelpunkt dieses Dramas… (Fotos: Stephan Floss)

So verschoben sich die Sehnsuchts-, Liebes- und Verratsmetaphern im nicht ausverkauften Kulturpalast ganz automatisch auf die vordere Bühnenmitte, auf der Forsters Isolde auf den König Marke des alten Bühnenfuchses Georg Zeppenfeld traf. Zwischen diesen beiden Künstlern spielte sich an diesem Abend die aufregendste Bühnenhandlung ab, sozusagen ein »Isolde und Marke«-Drama, für einen experimentierfreudigen Opernregisseur wäre das eine fantastische Grundkonstellation für eine zeitgenössische Umdeutung des Bühnenstoffes gewesen. Schauen wir mal: der selbstsüchtige, verschwörungsheischende, aber etwas zu einfach gestrickte, nach körperlicher Erfüllung dürstende Königsneffe ist hier an den Rand der Handlung gedrängt. Das eigentliche Drama spielt sich ab zwischen einer starken Isolde, die Tristan (vom Liebesakt desillusioniert?) mitnichten davon abhält, in den Tod zu gehen – und einem vergeistigten Marke, der, würde man bei einem solchen Onkel vielleicht sagen, „nicht wütend, nur enttäuscht“ ist von seinem Neffen: „Mir dies? Dies, Tristan, mir? –“ Kalt und klar deklamierte Zeppenfeld die Worte, bis zum kleinen Finale dieses ergreifenden Monologs des hintergangenen Königs: „Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?“ Die Antwort Tristans, laut Textbuch mitleidig, gestaltete Skelton kleinlaut, fast kläglich: „O König, das kann ich dir nicht sagen; und was du frägst, das kannst du nie erfahren.“ Tristan, setzen.

Für die zweite Vorstellung am 15. März sind momentan noch über fünfhundert Karten in allen Preiskategorien zu haben.

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