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Beharrlich den falschen Weg gegangen

Zum Tod der Komponistin und zweimaligen Dresdner Kapell-Compositrice Sofia Gubaidulina (1931-2025)

Zum Tod der Komponistin und zweimaligen Kapell-Compositrice Sofia Gubaidulina

Foto: Martin Morgenstern

Über die Bezeichnung „Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle Dresden“ konnte sie sich köstlich amüsieren. Die Komponistin Sofia Gubaidulina trug diesen Titel gleich zweimal – und sie hat ihn mit Leben erfüllt. Mit lebendigem Klang voller Andacht. Denn das hat Musik für diese Frau stets bedeutet: Ein Tönen aus den Tiefen der Stille. Ein Atmen und Eins-Sein mit der ganzen Welt. Nicht trotz, sondern wegen ihrer tiefen Religiosität ist Sofia Gubaidulina der Welt so zugewandt gewesen, um deren Erhalt ihr oftmals bange war – und die sie nun verlassen hat. Im Alter von 93 Jahren ist die im tartarischen Tschistopol geborene Künstlerin heute verstorben, just in einer Ära, da die Welt heillos zerstritten scheint.

Mit Konfliktpotential ist Sofia Gubaidulina schon in früher Kindheit konfrontiert gewesen. Sie hat sich ihren ganz eigenen Reim darauf gemacht, ohne dass ihre Sinnsuche in Musik und Glauben eine völlige Weltflucht dargestellt hätte. Sie hat allerdings, nachdem sie den Überlebenskampf in der Sowjetunion auch mit dem Schreiben von Filmmusik bestreiten musste, zunehmend hingebungsvoll und mit gelebter Demut Glauben und Musik ineinander verwoben. Kompositionen wie »Lamento«, »De Profundis« und insbesondere ihr von Gidon Kremer uraufgeführtes erstes Violinkonzert »Offertorium« sind beredte Zeugen dieser Lebens-Leidenschaft. Ebenso »In tempus praesens«, das zweite, von Anne-Sophie Mutter herausgebrachte Violinkonzert sowie die »Sieben Worte Jesu am Kreuz«, die »Johannespassion« und das als Residenzkünstlerin am Leipziger Gewandhaus herausgekommene Orchesterwerk »Der Zorn Gottes«.

Für die Staatskapelle schrieb Gubaidulina voller Demut die Kantate »O Komm, Heiliger Geist« (UA 2015), die später zum bekennenden Oratorium gereift ist. Auch bei den Internationalen Schostakowitsch-Tagen Gohrisch war Sofia Gubaidulina ein willkommener Gast. Ihre Musik wurde dort gefeiert, die Komponistin wurde mit dem Schostakowitsch-Preis gewürdigt.

Schostakowitsch ist einer der ersten Musiker gewesen, dem sie sich verbunden gefühlt haben dürfte. Nach einer Sichtung ihres frühesten Werke, die mit dem sogenannten sozialistischen Realismus wahrlich nichts zu tun hatten, bescheinigte er ihr, auf dem falschen Weg zu sein – und beglückwünschte sie dazu. Sie ging ihn beharrlich und spätestens nach ihrer Ausreise – seit 1991 lebte sie im norddeutschen Appen in der Nähe von Pinneberg – auch international höchst erfolgreich. Doch darum scherte sich die Künstlerin kaum. Moderne und öffentliche Anerkennung waren ihr gleichgültig. „Wichtig ist mir die innere Wahrheit meiner Musik“, so ihr Bekenntnis.

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