Vor genau dreißig Jahren erzählte Herman van Veen meinem Kollegen Andreas Körner von seiner künstlerischen Initialzündung: Als Junge kämpft er sich im Theatersaal neben eine Schulfreundin, weil er sie heimlich im Dunkeln küssen wollte. Dann ging das Licht an, ein Komödiant trat auf, die lärmenden Kinder waren im Nu still; van Veen vergaß, dass er ja eigentlich wegen eines Kusses gekommen war – und war stattdessen der Bühne verfallen!
Zwei Jahre später gab der Sänger der Leipziger Volkszeitung ein Interview, der Autor schrieb damals, der Sänger sei „älter, reifer und weiser“ geworden. Van Veen selbst sprach von den „drei alten Männern“ auf der Bühne (neben ihm Eric van der Wurf (1945-2014) und Nard Rijnders, geb. 1951). Was ihn damals umtrieb? Er rief es von der Bühne: „Ich habe in der Zeitung gelesen, hier wird diskutiert über 24 Milliarden für den Eurofighter. Das ist pervers!“
Noch zwei Jahre später: van Veen trat (in meiner Erinnerung ganz kurz vor Weihnachten?) in der Lukaskirche vor ganz kleinem Publikum auf. Mitten im Lied schaute er ins Publikum, verstummte – und fing an zu weinen. Die jungen Musikerinnen, die ihn damals begleiteten, waren völlig überfordert, spielten nervös lächelnd weiter, während dem alten Sänger die Tränen flossen. Was immer der Grund für van Veens Traurigkeit war, es war allen klar: das war nicht gespielt. Das hier war ungeschminkt, verdammt. Er sang dann weiter, von der Welt, von sich und seiner Familie, in fremden und in eigenen Texten, von Weihnachten.
Heute wird Herman van Veen achtzig Jahre alt. Ein Lied hat ihn (und mich) jahrelang begleitet, „La chanson des vieux amants“ von Jacques Brel. 1969 war es auf seiner allerersten Platte enthalten, damals auf holländisch, hier eine spätere Version, in deutsch gesungen.
Wenn zwei, die sich so lang vertragen,
Sich noch nicht auf die Nerven gehn,
Dann kann man doch von ihnen sagen:
Die Beiden müssen sich verstehn.
Wie oft bei van Veen ist das ein zärtlicher Text, bei dem man aber nicht so richtig schlau wird: liebt er sie wirklich noch – oder ist das nur leise, sehnsuchtsvolle Selbsttäuschung? Nichts ist eindimensional bei Herman van Veen, noch nicht mal die Kinderlieder. Alles ist in alle Richtungen zu denken, und immer (fast immer) geht es um Liebe, um Menschlichkeit, um uns Menschen, um den Sinn unseres Lebens, und wie wir immer wieder zu kurz springen, wenn es um das große Ganze geht.
Manche finden das kitschig, es gibt sogar eine sehr gelungene Parodie auf diese naive Grundehrlichkeit, auf dieses Leben, das seine Kunst speist, ich kann herzlich darüber lachen. Aber kitschig kann ich seine Kunst noch immer nicht finden. Diese frühe niederländische Version von Leonard Cohens „Suzanne“, 1969 erschienen, ist so berührend wie das Original, das 1966 bzw. 1967 (auf »Songs of Leonard Cohen«) erschien. Auf der Platte ist noch ein weiterer Cohen-Song, ein für klassisches Klaviertrio, Querflöte und Gesangsduett arrangiertes „Hey, that’s no way to say goodbye„, frei umgeschrieben und koproduziert von Erik van der Wurff und Laurens van Rooyen (1935-2024), einem der ältesten Freunde und Bühnenmitstreiter van Veens. Das ist behutsam. Ehrlich.
Aan het einde was geen drama
Al had het iets klassieks
Je ogen worden waziger
Je mond raakt uit model
Je mompelt zacht het spijt me
Hoe zeg ik zo ooit vaarwelAm Ende gabs kein Drama
Auch wenn es klassisch war
Deine Augen fülln sich mit Tränen
Du verziehst deinen Mund
und murmelst leise: Tut mir leid
So sagt man nicht Goodbye
Herman van Veen gehört zu meiner frühmusikalischen Prägung wie Peter Schreier oder Reinhard Lakomy. Verglichen mit dem, was meine Kinder heute hören, sind das völlig aus der Zeit gefallene alte Opis, ein anderes Musikuniversum. Aber ich fühle mich ihm immer noch nah. Im September kommt Herman van Veen auf Einladung von Bernd Aust (noch so ein Urgestein, ebenfalls gerade achtzig geworden) für drei Konzerte nach Dresden.