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Kunst in Zeiten des Krieges

Lea Grundig (geb. 23. März 1906 in Dresden; gest. 10. Oktober 1977 während einer Mittelmeerreise). Quelle: Deutsches Bundesarchiv, via Wikimedia Commons.

Vor zehn Jahren veröffentlichte die Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Aufsatz der Dresdner Malerin und Grafikerin Lea Grundig. „Kunst in Zeiten des Krieges“ war dessen deutsche Übersetzung betitelt (der Orginaltext erschien in der hebräischen Zeitschrift Davar, „Das Wort“), und war ein leidenschaftliches Plädoyer für Künstler, die in Zeiten politischer Wirren Partei ergriffen. Kunst in Zeiten des Krieges, so ihr Argument, könne und dürfe nicht unpolitisch sein. „Der Künstler ist nicht nur für sich verantwortlich, und nicht bloß seiner «Muse»,“ schrieb Grundig. „Er trägt die Mission des Volkes und der Gesellschaft aus, das Antlitz der Generation zu verändern.“

Auch wenn wir heute auf Lea Grundigs künstlerisches Werk und sicher auch auf diesen Aufsatz mit gänzlich anderen Augen blicken als 1945, ist das Thema an sich doch hochaktuell. Ein solcher Appell an die Künstler, die Kunst als machtvolles Werkzeug der Teilhabe zu begreifen, in Zeiten großer Krisen nicht einfach den Kopf geduckt zu halten und abzuwarten – ist der 2025 wieder nötig? „In der Stunde, in der die Frage nach der Neugestaltung unserer komplizierten und angespannten Welt von jedem Einzelnen Teilnahme an den Lösungen erfordert, kann das Verlangen nach Spannungsauflösung zum Grund der Flucht vor der Realität werden (…)“, warnte Grundig. Der Künstler müsse stattdessen die Werke, die ihm „sein inneres Schicksal“ gebiete, in die Gesellschaft tragen, sich einbringen, „im so breiten Umfang wie möglich wirken.“

Sicher stehen solche Formulierungen heute unter anderen Vorzeichen. Aktuell scheint mir die Forderung dennoch zu sein. Kunst darf kein Fluchtmittel vor der Realität sein, kein sanftes Tonikum, sie muss ans Äußerste gehen, sich positionieren, Partei ergreifen. Und das gilt nicht nur für die Bildenden Künste. Wer Konzert- und Opernspielpläne programmiert, ist ebenso den gesellschaftlichen (und kulturpolitischen) Realitäten verpflichtet.

„Kunst in Zeiten des Krieges“ im Hinterkopf, las ich also dieser Tage, was die künstlerischen Leitungsteams von Dresdner Philharmonie und Semperoper Dresden in der nächsten Spielzeit vorhaben. Das städtische Orchester reist mit seinem neuen Chefdirigenten Sir Donald Runnicles in „Neue Welten“ und setzen damit laut Pressetext ein „Zeichen für die Zukunft eines modernen Konzertorchesters“. Damit gemeint ist, das Publikum maximal in die Breite zu erweitern, mit neuen, inklusiveren Konzertformaten und vielen jungen Künstlern, die die großen Wellen der sozialen Medien gekonnt surfen. Sind sie es doch, die die Auslastung der Säle nach oben treiben können! So sind denn nun auch im neuen, interaktiven Saisonprogramm Namen wie Sheku Kanneh-Mason (300.000 Follower auf Instagram), Lucienne Renaudin Vary (120.000 Follower) oder Anna Lapwood (750.000 Follower) zu finden. Vergleich gefällig? Die vor fünf Jahren auf der Jahrespressekonferenz vorgestellten Künstler Arabella Steinbacher (4.000 Follower), Antoine Tamestit (17.000) oder Francesco Piemontesi (13.000) erreichen diese Medienreichweite nicht annähernd. Sheku Kanneh-Mason, Vary und Lapwood habe ich bereits in Konzerten erleben dürfen (den Cellisten haben Sie mit ziemlicher Sicherheit auch bereits gehört: nämlich auf der weltweit im Fernsehen übertragenen Hochzeit von Prince Harry und Meghan Markle), abseits allen Internet-Boheis musikalisch vom Hocker gerissen hat mich allerdings bisher keiner der drei. Vielleicht ja demnächst im Kulturpalast! Verkaufsstart aller Tickets ist der morgige Montag. Was, Sie sind noch unentschlossen? Da hilft der Konzertfinder. Mir wurde gerade das Mendelssohn-Oktett empfohlen.

Und bei der Semperoper? Da gibt zunächst Falstaff die Richtung vor: „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch ein geborener Tor…“ Im weiteren Jahreslauf ist eskapistischer Galgenhumor allerdings mit der Lupe zu suchen. Das neue Premierenprogramm hat einige zuverlässige Cashcows im Köcher, spart aber auch nicht mit Überraschungen. Gespannt bin ich auf Hans Abrahamsens »Schneekönigin«, die Georg Zeppenfeld geben wird, und die die Weihnachtssaison an der Oper einläuten wird. Im Januar 2026 wird Marie Jacquot Poulencs »Dialogues des Carmélites« folgen, in genau einem Jahr betritt ein neuer »Parsifal« die Bretter, im Mai tänzelt eine neue »Carmen« herein. Im Juni, wenn die Staatskapelle auf Reisen sein wird, begleitet ein zeitgenössisches Instrumentalensemble den Stummfilm »Die Stadt ohne Juden« mit Musik von Olga Neuwirth. Diese interessante Produktion ist eine Kooperation ganz verschiedener Partner: Wiener Konzerthaus, Elbphilharmonie Hamburg, Ensemble Intercontemporain, Barbican Centre, Sinfonieorchester Basel & ZDF/ ARTE, Wien Modern und dem Filmarchiv Austria. Nach der Nino-Rota-Oper »Der Florentiner Hut« beschließt Laura Kaminskys »As One« die Saison, eine Kammeroper (2 Singstimmen, Streichquartett) über die Suche einer Trans-Frau nach ihrer Identität.

„In meiner Bubble sagt man: eine Auslastung von über 80 Prozent ist gefährlich“, warnte Frauke Roth auf der Jahrespressekonferenz. Ob sich ihre Intendantinnenkollegin Nora Schmid dieser Gefahr bewusst war, als sie den neuen Opernspielplan konzipierte? Zu konstatieren ist für 2024 in jedem Fall eine brandgefährlich hohe Auslastung der Semperoper von sage und schreibe 93,2 Prozent; es ist fünfzehn Jahre her, dass das Haus ähnliche Zahlen erreichte. Ich bin sehr gespannt, ob der ambitionierte Opernspielplan – ambitioniert, was die gesetzten Themen, aber auch die Komponistennamen angeht – diese Auslastung wieder erreichen kann. Es tut Dresden in jedem Fall gut, eine Opernintendantin zu haben, die nach ihrem „inneren Schicksal“ mit Verantwortung und einem kritischen Blick auf die Absurditäten unserer Gegenwart programmiert – ohne den Spaß auf Erden gänzlich zu vergessen.

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