Das Gerhart-Hauptmann-Theater verbindet die Uraufführung »Gramsci« von Cord Meijering mit Puccinis »Suor Angelica«
Am Samstag war Premiere, am Montag ist es raus: Daniel Morgenroth wechselt im kommenden Jahr vom Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz / Zittau ans Mainfranken-Theater Würzburg. Der gebürtige Coburger verlasse Sachsen »mit einem weinenden Auge«, sagt er, »blicke aber mit einem lachenden Auge auf meine neue Aufgabe.«
Dabei hätte er doch mit seinem jüngsten Premierenerfolg am Görlitzer Haupthaus, der sogenannten Kleinen Semperoper, allen Grund zur Freude, also zum Lachen. Denn die recht gewagt anmutende Kopplung der Uraufführung von Cord Meijerings Oper »Gramsci« mit Giacomo Puccinis »Suor Angelica« ging wunderbar auf und ist beim Premierenpublikum bestens angekommen. Ein Wagnis war es dennoch.
Antonio Gramsci, italienischer Kommunist und marxistischer Philosoph, ist heute weitgehend vergessen. Zu Unrecht, wie unschwer festzustellen wäre, würde man sich beispielsweise seinen »Gefängnisheften« widmen. Er verbrachte fast sein gesamtes letztes Lebensjahrzehnt in den faschistischen Folterzellen und starb schwerkrank mit gerade mal 46 Jahren.
Ihn zur Opernfigur zu erheben ist einerseits schlüssig, andererseits diffizil. Wie biografisch privat dürfte es dabei zugehen, wieviel ideologischer Abstand müsste gewahrt bleiben, um ihn nicht nachträglich heroisch zu stilisieren – und seinen Ideen wie seinem Leben damit zu schaden? Dem Librettisten Hans-Klaus Jungheinrich, langjähriger Feuilletonist der Frankfurter Rundschau, profunder Kenner der Musikszene und renommierter Buchautor, ist dies in ausgewogener Weise überzeugend gelungen. Er nähert sich der Titelfigur auf persönliche Weise, stellt deren Ideale und die Verfolgung durch Mussolinis Machtapparat ins Zentrum des Geschehens, umrankt das Ganze mit geistiger Vereinsamung und der Sehnsucht nach Leben. In seiner Zelle ringt Gramsci nach Worten, schreibt, ruft in die Welt; und wird vom Arzt konsultiert, der ihm – als Mediziner – helfen müsste, als Faschist jedoch den Tod wünscht. In kurzer Szenenfolge reflektiert diese Oper die Liebe Gramscis zu seiner in Moskau lebenden Frau Julia sowie den Trost durch deren Schwester Tatjana. Rückblenden zeugen von Diskursen mit Diktatoren wie Mussolini und Stalin, von Gramscis Nähe zu seiner Mutter sowie zum Bruder Gennaro.
Cord Meijering, einst Schüler von Hans Werner Henze, hat all diese Mementi in 15 kompakte Szenen verdichtet, mit sanglich sowie orchestral vielfarbigem Anspruch versehen und musikalisch als emotional zerrissenes Psychogramm ausgedeutet. Bemerkenswert, wie perfekt die Neue Lausitzer Philharmonie sowie die Herrenriege des Opernchors dieses Ansinnen umzusetzen vermochten, herausragend garniert von einem original sardischen Tenorquartett, das effektvoll die biografische Herkunft der von Buyan Li überzeugend verkörperten Titelfigur illustrierte. Hans-Peter Struppe als Arzt, Mussolini und Stalin ätzte vokal recht verhalten mit Lenin-Bärtchen und Handmasken der beiden Verbrecher. Johanna Brault war eine fern verhaltene Ehefrau, Lisa Orthuber eine emotional eher zupackende Schwägerin. Als besorgt kränkliche Mutter agierte Yvonne Reich ganz im Stil des italienischen Neorealismo. Yalun Zhang war im Doppelpack als liebender Bruder Gennaro und warnender Genosse Togliatti zu erleben.
Wie sollte auf ein solches Bekenntnisstück, für das Ausstatterin Emine Güner eine Guckkastenbühne zimmern ließ, vor der Gramsci überwiegend auf seinem Zellenbett gestikulierte, nach der Pause nun mit Puccinis Klosterszenen aus »Il trittico« in Einklang gebracht werden? Passabel, dieses Wort wäre als Antwort viel zu kurz gegriffen. Denn die lang erwartete Uraufführung, zu der Görlitz nur gratuliert werden darf (und die der Frankfurter Rundschau nicht mal eine Rezension wert war, während Witwe Jungheinrich mitsamt Kindern und Enkelkindern an die Neiße gereist ist), sie fügte sich geradezu harmonisch mit der 1918 an der New Yorker Met herausgekommenen »Schwester Angelika«. Gesungen wurde der Mittelteil aus Puccinis hintersinnigem Triptychon im italienischen Original und dargestellt in einem blumig hellen Klosterhof.
Hier hat sich die einer wohlhabenden Familie entstammende Titelfigur, nachdem sie „unstandesgemäß“ ein Kind zur Welt gebracht und damit die „allerheiligste Familienehre“ befleckt hat, zurückziehen müssen. Eine Außenseiterin im Kreise der unter dem rigiden Regime einer diktatorischen Äbtissin stehenden Nonnen. Angelica widmet sich der Pflege von Kräutern, lebt ansonsten schweigsam zurückgezogen und sehnt sich nach ihrem Kind, das ihr umgehend nach der Geburt entrissen wurde.
Ihre fürstliche Tante, eine füllige Matrone voll seelischer Kälte, lässt sie glauben, das Kind sei verstorben, woraufhin Angelica auf ihr Erbe verzichtet und sich vergiftet. Kirchlichem Starrsinn zufolge eine Todsünde.
Patricia Bänsch verkörpert hier eine gebrochene und dennoch charaktervoll liebende Mutter, die Mitleid erregend betört. Eine reine Frauenoper, in der Solistinnen wie Chorsängerinnen klösterlich klangvoll überzeugen. Generalmusikdirektor Roman Brogli-Sacher hat den Premierenabend wunderbar dramatisch gestaltet, schöne Klangfarben zum Blühen gebracht und das Doppel aus Novum und Nonnendrama emotional fein gewürzt. Regisseur Bernhard F. Loges schuf dazu eine überzeugende Inszenierung, in der die doppelte Weltflucht – Gramsci sucht gezwungenermaßen schreibend nach Wissen, die Nonne Angelica glaubensvoll betend nach Erlösung in einem „Jenseits“ – zwei scheiternde Existenzen aus ihrer weltlichen Umklammerung durch doktrinäre Grausamkeiten befreit.
Weitere Aufführungen im Haus Görlitz am 30.3., 4.4., 30.4., 17.5.