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Ein Idyll als Wille und Vorstellung

Die Dresdner Musikfestspiele pilgern derzeit durch Sachsen und begeisterten mit Konzerten in Graupa, Zwickau und Dippoldiswalde.

Foto: Nicole Czerwinka

Die Dresdner Musikfestspiele pilgern durch Sachsen und begeisterten zum Auftakt in Graupa.

Was für ein Idyll: Frühlingsgefühle in friedlichster Stimmung, ein erwartungsfrohes Publikum im ausverkauften Saal der Richard-Wagner-Stätten Graupa, während sich vorm offenen Fenster der Himmel abendlich einfärbt, die Lüfte durchtränkt sind von Blütenduft und Vogelzwitsch. Ein paar ganz vorwitzige Piepmätze fühlen sich gar herausgefordert, in Wagners »Siegfried-Idyll« mit einzustimmen. Was ja nur naheliegend wäre angesichts des darin zitierten Waldvogels aus »Siegfried«, dem Zweiten Tag der »Ring«-Tetralogie. Mit dieser Oper gastierten das Dresdner Festspielorchester just am 1. April wieder gemeinsam mit Musikern von Concerto Köln unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano im Prager Nationaltheater, um das vor zwei Jahren gestartete Projekt »The Wagner Cycles« fortzusetzen. Wagner im Originalklang, ein ambitioniertes Vorhaben.

Womöglich erstmals seit Wagners Zeiten ist nun das seiner Frau Cosima gewidmete »Siegfried-Idyll« wieder auf historischem Instrumentarium aufgeführt worden, mutmaßte Jan Vogler in Graupa. Dunkler timbriert die Stimmung, Darmsaiten bei den Streichern, Originalinstrumente (oder Nachbauten) bei den Bläsern, ganz offensichtlich im Fall von Flöte, Oboe und Klarinetten… Lediglich das Fagott schien deutlich aus post-wagnerianischen Zeiten zu stammen.

Dennoch, was für Kontraste! Während noch die vorletzten Pazifisten krankhaft ins kremlianistisches Kriegsgeschrei einfallen und wahnsinnige Dealer den Welthandel sowie die aktuelle Geografie chaotisch verwirbeln, fügten sich hier harmonische Huldigungen, mit denen der Dichter-Komponist seine Gattin zum Geburtstag im beschaulichen Tribschen überraschen wollte. Seinerzeit ein Treppenhaus-Konzert, das Mitglieder des Zürcher Tonhalleorchesters bestritten. Nun aber Musikerinnen und Musiker, die aus dem Umfeld des ebenfalls von Jan Vogler geleiteten Moritzburg-Festivals sowie aus den Reihen der Sächsischen Staatskapelle bekannt sind. Ein internationales Ensemble, das in grenzenloser Vertrautheit geeint zu sein scheint. Da wird hier mal genickt, da gezwinkert, gibt es immer wieder ein zustimmendes Lächeln, ein erwartungsfrohes Stirnrunzeln – das Ergebnis ist stets ein überzeugendes Ganzes. Etwaige Unstimmmigkeiten auf vierteltönig verfingerten Griffbrettern – geschenkt. Wesentlich sind die stimmungsvoll melodiösen Übergänge etwa von Streichern zu Bläsern und wieder zurück, von Flöte (Michael Schmidt-Casdorff) über Oboe (Emma Black) zu den zwitschernden Klarinetten von Robert Oberaigner und Sylvester Perschler. Sichtlich beglückt absolviert Wolfgang Gaisböck seine wenigen, nichtsdestotrotz wesentlichen Trompetentakte, während sich Zoltán Mácsai und Jan Harshagen an den Hörnern mächtig ins Zeug zu legen haben.

Aufmunternd blickt Jan Vogler ins Rund, übernimmt rasant die Melodiefolge und gibt sie weiter an Sindy Mohamed an der Viola, horcht auf die Stimmführung von Stella Chen am ersten Pult. – Kontraste? Dass draußen die Sonne versinkt, die Vogelstimmen leiser werden und das nachrichtliche Mordsgebaren beinahe vergessen ist, wird von musikalischer Weltentrückung erzeugt und begleitet, die allenfalls über die Verbindung von Darmsaiten, modernen Bögen und Notenvorlagen aus elektronischen Tablets schmunzeln lässt.

Foto: Nicole Czerwinka

Obwohl: Eingebettet ist dieser hier mal so ganz liebestolle Richard Wagner, ansonsten ja Möchtegern-Rebell und bekennender Antisemit, in Kompositionen zweier jüdischer Musiker, wodurch dieser gelungene Abend zusätzliche Kontrastierung erfährt. Was freilich keine sich ausschließenden Gegensätze bedeutet. Denn zum Auftakt gab es den wirkmächtigen Fingerzeig in Richtung Theresienstadt, Terezín. Im dortigen Konzentrationslager komponierte Pavel Haas seine bis heute nur selten aufgeführte »Studie für Streichorchester«. Ein Stück voller Esprit, mit reichlich Takt- und Tempowechseln, was wirkungsvolle Spannung ergibt. Immer wieder werden geradezu widersprüchliche Eindrücke erzeugt, was nicht verwundert, wenn man die Aufführung im Nazi-Propagandafilm »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt« bedenkt – und die Ermordung des Komponisten kurze Zeit später im Konzentrationslager Auschwitz.

Auch nach dem »Siegfried-Idyll« erklang die Musik eines jüdischen Komponisten, dem Richard Wagner nun wahrlich nicht sehr verbunden gewesen ist. Das Oktett Es-Dur op. 20 von Felix Mendelssohn Bartholdys zählt zu den Standardwerken beim Moritzburg-Festival und wird dort regelmäßig zum Finale aufgeführt. Musik mit dem jugendlichen Furor eines Vierzehnjährigen! Nun gibt Kevin Zhu als Primarius das Tempo an, feuert die Ensemblemitglieder äußerst virtuos an, sie fallen über ihn her, lassen sich mitreißen, die Themen und Melodiefolgen perlen nur so ineinander und begeistern das Graupaer Publikum dermaßen, dass nach jedem Satz applaudiert wird und sich nach dem finalen Presto kaum noch wer auf dem Platz halten mag.

Ein Idyll eben. Stellen wir uns vor, die ganz Welt wäre erfüllt von Harmonie, wäre vom Willen beseelt, friedlich miteinander zu leben. Wollen wir uns wirklich von vorvorgestrigen Kriegsgeistern die Zukunft verderben lassen?

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