Mit 295 Plätzen ist das Eduard von Winterstein Theater in Annaberg-Buchholz eines der kleinsten Theater mit eigenem Ensemble. 1893 wurde das Theater eröffnet, der später berühmte Schauspieler Eduard von Winterstein spielte zur Eröffnung die Titelrolle in Goethes »Egmont«. 1981 wurde das Theater nach ihm benannt, für die Annaberger immer noch „ihr“ Stadttheater.
Nun feierte dort Puccinis Oper »Tosca« Premiere. Fast immer, wenn ich sagte, dass ich dabei sein werde, gespannt bin und mich darauf freue, hörte ich Bedenken. Ein so anspruchsvolles, großes Musikdrama, an einem so kleinen Theater? Übersteigt ein solcher Anspruch nicht die Möglichkeiten dieses Hauses?
Zugegeben, der Gedanke liegt nahe. Aber zum einen gibt es ja – nicht nur in Annaberg – immer wieder kleinere Theater, die sich großen Herausforderungen stellen, nicht selten mit Erfolg. Nicht ganz so klein, aber immerhin, am Theater in Altenburg beispielsweise gab es Wagners »Ring des Nibelungen«. Große Wagneropern kamen auch in Annaberg auf die kleine Bühne: »Tannhäuser« 1949, zehn Jahre später »Der Fliegende Holländer«.
Es ist ja auch eine besondere, liebenswerte Tradition dieser kleinen Stadttheater, mit deren Ensembles sich das Publikum gern identifiziert und dann auch erleben möchte, wie „ihre“ Sängerinnen und Sänger eben auch mal bis an die Grenzen der Möglichkeiten gehen. Also auf, nach Annaberg, mit dem Zug, durch den Winterwald!
Ein Politthriller auf der Opernbühne
Die Primadonna Floria Tosca, die es wirklich gab, ermordet Scarpia, den Polizeichef von Rom, den es auch gab, der ihren Geliebten, den Maler Cavaradossi foltern lässt, um von ihm zu erfahren, wo sich der revolutionäre Republikaner Angelotti, einstiger Konsul, ein Anhänger Napoleons und Anführer eines gescheiterten Umsturzes, verborgen hält. Den Sänger Mario Cavaradossi und den Revolutionär Cesare Angelotti gab es auch, alle in Rom, wo das Werk 1900 uraufgeführt wurde. Es spielt auch in Rom, 100 Jahre früher, im Juni. Und es gibt sie, die großen, opulenten Szenen des Ensembles, mit Chor und Kinderchor, Priestern und Messknaben, wie im »Te deum« zum Finale des ersten Aktes. Der Chor hat dann noch einen Einsatz, unsichtbar, hinter Bühne, wenn zu Beginn des zweiten Aktes im Palazzo Farnese sich Scarpia am Gesang Toscas in einer Festkantate zu Ehren des Königs ergötzt. Sonst aber sind es vor allem höchst intensive Szenen der Hauptpersonen, insbesondere im zweiten Akt, diese so spannende Begegnung Toscas mit dem Polizeichef, wenn sie, um das Leben ihres Geliebten zu retten, den Aufenthalt des Gesuchten verrät und Scarpia ermordet, wenn sie ihm vorspielt, für ein Liebesabenteuer bereit zu sein. Ganz ohne Chor dann der dritte Akt, auf der Engelsburg, wo Cavaradossi angeblich zum Schein erschossen werden soll, so hatte es Scarpia Tosca zugesagt, was natürlich eine Lüge war.
Und so wie es die Personen dieser Oper gab, so auch die Orte, an denen diese Handlung sich vollzieht. Die Kirche Sant´Andrea delle valle, den Palazzo Farnese und die Engelsburg. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, wie der Ausstatter Martin Scherm diese Orte des Geschehens auf die ja nicht so große Bühne in Annaberg-Buchholz bringt. Und wie inszeniert darin Rainer Wenke als erfahrener Altmeister des Musiktheaters das Werk?
Martin Scherm stilisiert und reduziert. Die Orte sind klar charakterisiert. Sehr eindrücklich der dritte Akt in der totalen Reduktion des Bildes, der Sternenhimmel, den Cavaradossi besingt, davor eine Erschießungswand, eine Hinrichtungsstelle, die schlimmste Assoziationen zulässt. Zumal von den Kostümen her diese »Tosca« zur Zeit des aufkommenden Faschismus in Italien spielt. Der erfahrene Regisseur nutzt diese Vorgaben für eine intensive Führung der Personen. So vollzieht sich hier spannendes Musiktheater. Ich konnte mich da nicht entziehen, mich hat das stark berührt, zumal einem diese Menschen ja auch in wahrstem Sinne des Wortes, in diesem Theater sehr nahe kommen.
Und die musikalische Seite? Sängerinnen und Sänger aus dem Ensemble, Chor und Kinderchor verstärkt in der Einstudierung von Jens Olaf Buhrow, die Erzgebirgische Philharmonie unter der Leitung von Naoshi Takahshi, wie stellt man sich diesen Anforderungen? Da beweist sich, was ein kleines Theater leisten kann, wenn es sich seiner Möglichkeiten bewusst ist: diese zwar bis an die Grenzen ausreizt, aber nicht überschreitet. Auf den großen Klang des Orchesters muss man nicht verzichten, da kann es dramatisch aufbrausen, um dann wieder, als habe Puccini hier kammermusikalisch komponiert, ganz spannend und intensiv zu werden. Die große Chorszene ist beindruckend. Die Sängerinnen und Sänger erweisen sich bei vollem Einsatz ihrer individuellen Möglichkeiten als überzeugende Musiktheaterdarsteller. Bettina Grothkopf ist eine dramatische Tosca, gesanglich am stärksten in der lyrischen Mittellage. Der Tenor Jason Lee als Cavaradossi in seiner ersten großen Partie nach dem Wechsel aus dem Chor ins Solistenfach weckt Hoffnungen. Auch bei ihm sind es eher die zarteren Passagen als der dramatische Ausbruch, die überzeugen.
Für mich die Leistung des Abends: Jason-Nandor Tomory als Scarpia. Gesanglich, im Spiel, markante Baritontöne, Hinterlist und Bosheit und doch kein Bilderbuchbösewicht. Weiterhin zu nennen sind Volker Tancke als Angelotti, Lázló Varga als Mesner Marcus Sandmann als Cesare Angelotti und Polizeiagent Spoletta, sowie als Gendarm und Richter Matthias Stephan Hildebrandt und Matthias Pohl.
Insgesamt eine stimmige Ensembleleistung, schön und wild, im Sinne des Werkes. Die Spannung lässt nicht nach, szenische Musikalität bestimmt den Verlauf, Innehalten bei den melodischen Arien, Cavaradossi zu Beginn, „Wie sich die Bilder gleichen“ mit Schwung, am Ende, „Und es blitzten die Sterne“ liedhaft zurück genommen, Toscas große Arie im zweit Akt, „Nur der Schönheit weiht ich mein Leben“. Ja es gelingt erstaunlich, wie diese hoch getrieben Dramatik sich Bahn bricht, wie der dramatischen Direktheit immer wieder Einhalt geboten wird durch visionäre Melodik. Ein Hoffnungsschimmer in der hoffnungslosen Geschichte mit vier Toten am Ende, der einsame Gesang eines Kindes zu Beginn des dritten Aktes vor der Hinrichtungswand; der Junge hält einen grünen Zweig in der Hand.
Das Premierenpublikum war begeistert, ich auch. Und der Termin für die nächste Fahrt nach Annaberg-Buchholz steht schon im Kalender: am 28. April eine Annaberger Spezialität, eine Ausgrabung des „Spielopernweltmeisters“, wie ihn Jürgen Lodemann in seinem Buch »Lortzing – Gaukler und Musiker« nennt, erstmals nach gut 170 Jahren wieder das Original, Albert Lortzings »Der Großadmiral«. Es könnte dennoch wieder recht italienisch zugehen. Lortzing schrieb das später in Leipzig uraufgeführte Werk 1847 in Wien, und hier machten kurz vor Ausbruch der März-Revolution ein Jahr später gerade Verdi-Opern Furore.