Als Regisseur und Pädagoge hat er für die Oper gewirkt und so die mitteldeutsche Opernlandschaft über Jahrzehnte sattsam bestellt. Andreas Baumann, heute vor 70 Jahren geboren, ist als Operndirektor und Prorektor tätig gewesen, war stets durch und durch ein Mann des Musiktheaters und ist heute Ehrensenator im Ruhestand.
So durcheinander wie diese Schaffensbeschreibung notgedrungen gerät, so vielfältig bewegt ist auch sein künstlerischer Werdegang gewesen. Andreas Baumann hat mehr als vier Jahrzehnte lang an Dresdens Musikhochschule unterrichtet, von 1974 bis 2015 sind Hunderte künftiger Sängerinnen und Sänger durch seine Schule gegangen, wurden von ihm und seiner Leidenschaft für ein lebendiges und ausdrucksstarkes Musiktheater geprägt. Ohne ihn würde es die Opernklasse der Hochschule – und folglich auch die Kooperation mit der Hochschule für Bildende Künste – in der jetzigen Form wohl kaum geben, desgleichen die praxisbezogenen Probebedingungen und Aufführungen am Kleinen Haus des Staatstheaters. Vorausgegangen waren Produktionen am Theater Meißen, an den Landesbühnen Radebeul sowie an der Staatsoperette Dresden, nicht zuletzt aber auch Gastspiele auf anderen deutschen, schweizerischen und italienischen Bühnen. Hätten sich all diese Studiosi – die Hochschule selbst spricht von etwa durch Andreas Baumann mitgeprägten 600 Absolventen – einen besseren Mentor wünschen können als ihn?
Völlig zu Recht wurde der 2006 zum Prorektor gewählte und 2010 in diesem Amt nochmals bestätigte Opernexperte, der 2013 als Erster die Dresdner Meisterkurse Musik geleitet hatte, vor wenigen Monaten zum Ehrensenator der Musikhochschule erhoben.
Aber auch mehrere Bühnen in Mitteldeutschland hätten allemal Grund, den Jubilar für seine Arbeit zu ehren. Ob für seine Anfangsjahre in Radebeul sowie als Spielleiter im damaligen Karl-Marx-Stadt, ob für seine Ära als Operndirektor in Halle. Das sei ein Jahrzehnt gewesen, das ihn „unglaublich geprägt“ habe, erinnert er sich. „Wir haben damals in Halle eine unglaubliche Aufbruchsstimmung gehabt. In diesen Jahren hat sich meine Haltung zur Regiearbeit eigentlich so richtig entwickelt, denn wir haben mit großer Sorgfalt, großer Gewissenhaftigkeit und auch mit großem Respekt vor dem Werk Schichten abgetragen und sind zu wirklich neuen Erkenntnissen gekommen. Haben erfahren, wie das ist, wenn man der Musik mehr an Informationen für die Szene entlockt.“
Zum Hallenser Team um Andreas Baumann, der sein Rüstzeug für das Musiktheater einst gründlich bei Götz Friedrich und Hans-Jochen Irmer studiert hatte, gehörten seinerzeit neben Generalmusikdirektor Christian Kluttig auch die Regisseure Martin Schüler und Peter Konwitschny. Letzterer sieht diese Zusammenarbeit heute noch als herausragend an: „Andreas Baumann war einer der ganz wenigen, die selber inszenierten und nicht dafür gesorgt haben, dass neben ihnen nur schwächere Regisseure arbeiten durften.“ Dies sei inzwischen ja sehr verbreitet, meint Konwitschny und hält fest, „das war eine glückliche Zeit, an dieser Epoche hat Andreas Baumann einen ganz großen Anteil.“
Es ist selten genug, dass Künstler so positiv über einen einstige Weggefährten zu urteilen vermögen. Doch die Urteile zu Andreas Baumann klingen unisono hochachtungsvoll: „Er ist vor allem ein wahnsinnig musikalischer Regisseur, kennt die Musik sehr genau und weiß damit umzugehen“, resümiert Ekkehard Klemm, der Andreas Baumann nicht nur als Dirigent, sondern auch in seiner Zeit als Rektor der Dresdner Musikhochschule eng verbunden war. „Er ist ein unwahrscheinlich inspirierender Künstler und Pädagoge, der immer ganz vital mit den jungen Leuten gearbeitet hat und mit einer Energie auf die Leute zugegangen ist, die man nicht so oft findet.“
Auch die Sängerin Hendrikje Wangemann schätzt den Jubilar, dem sie seit Beginn ihrer Bühnenlaufbahn verbunden ist: „Andreas Baumann ist ein Regisseur, der ganz wenig neurotisch ist. Was ganz selten ist in diesem Beruf. Man kann ganz offen mit ihm sprechen, das ist niemand, der taktiert – das ist ganz selten zu finden.“ Die heutige Gesangsprofessorin ist Baumann nach ihrem Wechsel an die Musikhochschule Dresden wiederbegegnet und meint über den Pädagogen: „Er hat die Fähigkeit, nicht nur mit den Begabtesten gut zu arbeiten, sondern eben auch mit Studenten, die vielleicht nicht alles gleich von sich aus mitbringen. Und seine unglaublich positive, aufbauende Art, die hat einfach aus jedem das Beste herausgeholt. Es ist einfach jemand, der unglaublich gut motivieren kann, der mit seinen großen blauen Augen einen anguckt und vor einem steht – und ja, dann macht man das auch gern, was der Mann von einem will.“
Auch Baumann selbst mag nichts von seiner Zeit als Lehrbeauftragter für Dramatischen Unterricht an der Hochschule missen: „Dieses Unterrichten hat mir in der Berufspraxis wahnsinnig geholfen, da bin ich 25 Jahre glücklich gewesen. Mit vielen wunderbaren Begegnungen.“
Er hätte zwar hier und da gerne mal die Gelegenheit gehabt, Opern von Richard Strauss oder aus der Moderne zu inszenieren, doch sein überbordendes Pensum aus Regie und Lehre, aus Lehre und Regie hat bleibenden Eindruck hinterlassen und wurde stets von einem ganz wesentlichen Kriterium gekennzeichnet: „Schon alle meine Hallenser Händel-Inszenierungen habe ich mit großer Freude gemacht. Was später bei meinen Mozart-Arbeiten noch viel extremer wurde, dass ich den Text ins Verhältnis zur Musik gesetzt habe und nicht umgekehrt: Da habe ich ganz erstaunliche Dinge entdeckt, die verrücktesten Sachen – die Entpolitisierung des „Figaro“ zum Beispiel. Regietheater ist also keine verkehrte Angelegenheit, wenn sie ernstgenommen wird. Wenn sie mit dem Respekt vor drei Dingen stattfindet: Respekt vor dem Material, der Partitur, wo alle Informationen drinstehen, Respekt vor dem Ensemble, mit dem man umgeht, das man nicht hin und her schiebt, sondern als Partner mitnehmen muss. Und Respekt vor dem Publikum. Ich halte nichts davon, das Publikum vor den Kopf zu stoßen.“