Im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden gab es für das Publikum die erste Begegnung mit der neuen Capell-Virtuosin, der Cellistin Sol Gabetta. Die in der Schweiz lebende Argentinierin war erst 2015/2016 in gleicher Funktion bei der Dresdner Philharmonie und gastierte auch zuvor schon zu Sinfoniekonzerten und bei den Musikfestspielen. Das gab Rezensenten und eifrigen Konzerthörern die seltene Möglichkeit, auch die Entwicklung der Künstlerin ein wenig im Blick zu behalten, wenngleich auch dies immer nur punktuelle Eindrücke sein mögen, die natürlich auch von Tagesform und vielen anderen Faktoren abhängen.
Und doch, Sol Gabetta macht es möglich, dass man sich sogar auf einen Standard-Klassiker (das klingt jetzt sehr böse, aber das Stück wird nun wahrlich oft gegeben) wie Camille Saint-Saëns 1. Cellokonzert a-Moll frisch und neu einlassen kann. Wenn es noch einer Beweisführung bedarf, dass Klassische Musik Spaß macht, Sol Gabetta hat sie am Sonntagmorgen in der Semperoper Dresden gegeben und strahlte schon während des Konzerts über beide Gesichtshälften, als gäbe es nichts schöneres, Flageolette anzusetzen.
Dazu freut sie sich über die Herausforderung, die hier keinesfalls sich zurücknehmende Staatskapelle Dresden mühelos im Tutti zu übertönen und weiß sogar dafür auch die richtige Bogenarbeit und Spannung einzusetzen, so dass sie immer die strahlende Solistin bleibt. Saint-Saëns hätte zufrieden in seinen Vollbart geschmunzelt, obwohl das „non troppo“ der Tempobezeichnung im 1. Satz gleich nach draußen huschte und ein sattes Allegro übrigblieb. Ja, warum denn nicht? Dem Konzert schmerzt es nicht und Romantik pur bietet es in der Folge noch genug.
Und zwar so sehr, dass sogar Gastdirigent Daniele Gatti den Stab sinken ließ und der Staatskapelle nur sanft nickend zuhörte. „Das könnt ihr alleine“ – richtig, und diese Freiheit tat Stück und Interpretation gut, weil auch Gabetta diesen freien Raum bevorzugt. Diese Cellistin sucht nicht mehr, sie hat längst gefunden und breitet ihr Können mit aller Freude aus. Und da Saint-Saëns‘ Partitur mit kaum fünfundzwanzig Minuten knapp geraten ist, durfte sich das Publikum noch über eine ausgesucht schöne Elegie, Opus 24 von Gabriel Fauré freuen, samt bittersüßtraurigem Ende auf der leeren C-Saite, schöner wurde selten elegiert.
Nach der Pause war schnell Schluss mit Schwelgen und Schmachten. Gustav Mahlers 5. Sinfonie cis-Moll kennt diese Ausdrucksebenen zwar auch, doch zu allererst wollte ihm mit der Fünften ein Meisterwerk derart gelingen, dass er alle sinfonischen Bedürfnisse der Zeit gleichzeitig bediente und über den Haufen warf. Den Ländler gab es nur mit beigegebener Apokalypse, an Beethoven wird mit Marsch und Fünfsatzgebilde samt einem reichlich offensichtlichen per-aspera-ad astra gehuldigt: die perfekte Sinfonie gibt es eben von Mahler nicht. Oft hat man in diesem Cis-Moll-Riesen das Gefühl, das Drama der Partitur überwältigt selbst den Komponisten. Wie also sich all diesen Widersprüchen und doch auch Schönheiten nähern?
Daniele Gatti wählte ein körperliches, emotionales Prinzip der Herangehensweise, stach zwar hier und da kontrolliert in die Menge, aber überließ auch viel dem Orchester. Ausgerechnet das Trompetensolo zu Beginn jedoch betreute er mit kleinen Handbewegungen, weswegen man eher das Gefühl des Starts einer Zahnradbahn bekam. Genau diese Strenge, die Mahler ja schon in der Überschrift fordert, ging dem Marsch allerdings im Verlauf verloren, Gattis Prämisse des „Es ist alles schlimm!“ war manches Mal zwar angebracht, sorgte aber auch für einen merkwürdig liederlichen Bläserklang, bei dem man nicht sicher war, ob man das zufällige Zustandekommen dieses doch einmaligen Klangs (auch eine durchaus rotzige Klarinettenpassage im Scherzo und manche Hornpassagen waren dergestalt überraschend neuartig) goutieren sollte.
Es passierte dann im 2. Satz einige Male, dass bei eigentlich vehementem emotionalen Zugriff Gatti die Kontrolle über das Entgegengetönte entglitt. Im Schluss des 1. Satzes stimmte die Balance der Akkorde nicht, im 2. Satz waren sich im Tutti die Gruppen untereinander nicht geheuer: vorpreschen oder auf dem Portatostrich, den Mahler ja reichlich in Gebrauch hatte, zwischenparken? Die im Scherzo schon fast einem Räumkommando gleichenden Steigerungen hatten aber immer noch von Gatti den Ausdruck einer unerbittlichen Konsequenz. Damit stimmte auch der Gegensatz zu den solistischen, leisen Passagen, die hier einer Wüstenei glichen, so etwa die Streichquartett/Horn-Passage im Scherzo – man hat ja beinahe Skrupel, dieses Wort angesichts der lähmenden Einsamkeit in dieser Musik (davon kündeten auch schon die Celli im 2. Satz) überhaupt noch zu tippen.
Überraschend auf der Kippe gab sich das Adagietto, das jeder zu kennen meint, auch die Dirigenten natürlich. Die aber oft genau scheitern oft genau in dem Moment, wo sie mit dem Satz auch nur irgendetwas ausdrücken wollen. Dann gibt es meist zwei Möglichkeiten: Tempo runter – was den Satz zur Schmonzette macht, oder Tempo rauf, was mit „ist ja kein Adagio“ wenigstens entschuldigt wird, aber dem Stück auch nicht auf die Beine hilft. Gatti wollte im schnelleren Tempo bei der tiefsten Emotion bleiben und das erzeugte auch eine Art Verzweiflung, wenngleich doppelbödiger, weil man nun das Gefühl hatte, Gatti verzweifelt auch noch an Mahler, der ja selbst schon verzweifelt. Das Orchester folgte und überzeugte hier mit einem am Ende des Satzes glasig-schönen, sehr homogenen Klang.
Am Kehraus der Fünften im letzen Satz mit seinen lapidaren Themen und konventionell anmutenden Kniffen scheiden sich die Geister, zumal Mahler ja zuvor vier Sätze mit Brandnestern, Trümmerhaufen und scheinbar Endgültigem hinterläßt. Da noch was draufsetzen? Für mich ist es der Satz, wo sich der Komponist von seinem eigenen Stück verabschiedet, eine innerliche Trennung vollzieht, damit dieses Stück überhaupt aushaltbar ist. Vielleicht so etwas wie die Tür zurück ins Leben? Gatti warf sich auch hier komplett ins Getümmel. Der nunmehr entfesselte, oft sehr laute Klang war gewollt und schlug ein paar Mal über die Stränge. Doch der etwas rabiate Ton steht dem Orchester und zeigt auch, dass es jenseits vom Kapellgold noch Klangqualitäten gibt, die es durchaus wert sind, entdeckt und gepflegt zu werden.
- Das Konzert wird am Dienstag, 17. September um 20.05 Uhr bei MDR Kultur und MDR Klassik live übertragen