Wetten, dass die gedruckten Blätter morgen von einem „Paukenschlag“ schreiben werden? Außerhalb der Stadtgrenzen mag es so scheinen, aber wer die letzten Monate die Vorgänge rund um Semperoper und Staatskapelle verfolgt hat, für den war absehbar, was die Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus heute bekanntgegeben hat: Peter Theiler wird die Staatsoper nach sechs Jahren Intendanz zum Spielzeitende 2024 verlassen. Zeitgleich mit Christian Thielemann, dessen Vertrag ausläuft.
Wer darob hyperventiliert, verkennt die Normalität des Vorgangs: ein Platzhirsch macht Platz, getreu der Devise „Kinder, schafft Neues!“ Thielemann ist dirigentisch auf dem Höhepunkt seiner Karriere, beschränkt sich klug auf wenige Orchester, ausgewählte Aufnahmen, ein Repertoire, in dem er glänzen kann. Jeder Abend unter seiner Leitung hat Sternstundenpotential. Zuverlässig zieht er die Hautevolee nach Dresden (und Salzburg, und Wien, und Berlin, und Bayreuth). Unter seiner Stabführung erstrahlt nobel das Blech, glänzen samtig die Holzbläser, gleißen und schmeicheln die Streicher. Sängerinnen fühlen sich von ihm auf Händen getragen, Pianistenlegenden krönen unter seinem wachen Begleiterblick ihr Lebenswerk. Jeder Sprung aufs Podest unter Trampeln und Tosen, jenes stolze, herausfordernde Lächeln in die Ränge hat in den letzten Jahren wieder und wieder klargemacht: über die Liaison dieses Orchesters und dieses Dirigenten geht doch eigentlich weltweit fast nichts. „Angekommen.“ Punkt.
Indes: während „CT“ den Wert seiner dirigentischen Marke in den letzten Jahren nicht zuletzt durch geschickte Verknappung steigern konnte, hat sich die musikalische Welt weitergedreht. Das ist ein verlässlicher thematischer Kontrapunkt in jedem Gespräch mit und über Thielemann: dass Dirigentenpersönlichkeiten seines Schlages selten geworden sind. Diese Entwicklung kann man auf verschiedene Arten lesen und auch verschiedene Schlüsse daraus ziehen. Die meisten Häuser, die meisten Orchester bemühen sich offensiv um ein neues Publikum. Jünger darf es gern sein, aus allen gesellschaftlichen Schichten kommend, vielfältig interessiert und weniger auf steife Fräcke, Schampus, VW Phaeton und Bussibussi ausgerichtet denn auf entspannte Begegnungen vor und hinter der Bühne, auf neue Ideen und neue Ausspielungswege.
Auch Staatskapelle und Semperoper haben vorsichtig versucht, diesen Weg zu gehen. Das Orchester hat sich personell verjüngt, internationaler aufgestellt, Programme für Kids entworfen, entspannte Picknickkonzerte gespielt. Im Haus gibt es „Dresden-Tage“, eine neue „Junge Szene“, gab es den ChorALARM, ein Mitmachprogramm für Schulen, eine vorsichtige Öffnung hinein in die Gesellschaft. Der künstlerische Markenkern aber wurde und wird wie eine Monstranz durch die Zeitläufte getragen: Wagner, Strauss, Wunderharfe, Glanz von altem Gold. Zu dieser Legende passt Christian Thielemann ja auch wie kein anderer Dirigent. Aber vor ihr müssen in Dresden alle Bemühungen um einen zeitgenössischen Anschluss an das Publikum verblassen. So wurde etwa Sempers Konzertzimmer glanzvoll-edel rekonstruiert, aber ohne gleichzeitig die nötige technische Infrastruktur für audiovisuelle Opern- und Konzertübertragungen anzulegen. Die Spiegelfechterei um Deutungshoheiten und Arbeitsverträge, die die beiden Platzhirsche T. & T. in den letzten Monaten öffentlich ausgetragen haben, bot vielleicht nun den willkommenen Anlass zu sagen: macht doch mal den Weg frei für einen grundlegenden Neuanfang.
Diese Entscheidung ist folgerichtig, führt man sich die Alternativen vor Augen. Einen schwachen Intendanten zu verlängern, hätte das Haus endgültig in die künstlerische Stagnation geführt. Peter Theiler 2024 Lebewohl zu sagen, scheint also nur konsequent. Eine progressive Weiterentwicklung des Hauses wäre aber mit einem frisch verlängerten Chefdirigenten (der seine Machtposition schon in der Findungsphase ausgenutzt hätte) sofort schaumgebremst worden. Ergo muss man in der heutigen Pressemeldung der Ministerin auch zwischen den Zeilen lesen: „Wir sehen das, was heute gut ist und denken trotzdem an das Übermorgen“ – ergo: es reicht nicht mehr aus, sich auf den beiden Richards, etwas »Zauberflöte« und ein bisschen Da Ponte auszuruhen. Wir möchten Uraufführungen nicht nur als verschämte Bemäntelungen einer dramaturgischen Fehlstelle. Opern zu streamen, stellt keine Kapitulation dar, sondern kann neue, aufregende Erlebniswelten erschließen. Wie man in eine Stadtgesellschaft hineinwirkt, optimistisch, nachhaltig und barrierearm, lässt sich seit einigen Jahren bei den Philharmonikern abgucken. Den Dresdner Philharmonikern.
Jetzt kommt es einfach für alle Beteiligten darauf an, die Nerven zu behalten. Und die entspannte, gute Laune. Dann steht einer weiteren Zusammenarbeit von Kapelle und einem zukünftigen Ehrendirigenten Thielemann für die nächsten dreißig Jahre eigentlich nichts im Wege.