Erst Opfer des Faschismus, dann zu Unrecht vergessen: an den Tänzer Alexander von Swaine erinnert ein neuer Film von Felix von Boehm und Ralf Stabel.
Als er erstmals die Bühne betrat und tanzte, zunächst in den Aufführungen der Berliner Eduardowa-Schule, wo er bestens in klassischen Techniken ausgebildet wurde, war die Aufmerksamkeit des Tanzpublikums geweckt. Als der 1905 in München geborene Tänzer Alexander von Swaine in seinen ersten Soloauftritten geradezu revolutionär Traditionen klassischer Techniken mit denen höchst individueller, zeitgenössischer Kunst des tänzerischen Ausdrucks verband, überschlugen sich die Kritiken vor Begeisterung. Im Rückblick scheint es geradezu so programmatisch wie schicksalhaft, dass beim ersten Soloabend, 1929 im Beethoven-Saal der Berliner Philharmonie, eine eigene choreografische Solodeutung von Claude Debussys sinfonischer Dichtung »Prélude à l’après-midi d’un faune« gab. Ein Wagnis, ein Gewinn. Natürlich lagen die Vergleiche mit der revolutionären Deutung der Ballets Russes und ihres Symboltänzers Vaclav Nijinsky, die 17 Jahre zuvor in Paris herausgekommen war, nahe. Für manche Kritiker stand Alexander von Swaine dem Tanzgenie Nijinsky nicht nur in künstlerischer Konstruktivität sehr nahe, für mache sogar mit dieser Leistung über ihm. Alexander von Swaine, als »tanzende Feuerseele«, wie ihn ein Kritiker nannte, setzte bis dahin so noch nicht wahrgenommene, vor allem aber zukunftsweisende, Akzente für die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes. Kein Geringerer als Max Reinhardt verpflichtete ihn sofort an das Deutsche Theater in Berlin, wieder für eine faunische Rolle, als Puck in »Ein Sommernachtstraum«.
Nahezu unbegrenzt schienen seine Möglichkeiten der Präsenz körperlicher Ausdruckskraft in den Beschreibungen seiner Auftritte. Aber das war es nicht allein. Hinzu kam immer wieder die dem Tanz so unbedingt eigene Sinnlichkeit faunischer Ambivalenzen, der Übergang von animalischen Empfindungen hin zur künstlerischen Gestaltung im so bewegten wie bewegenden Dialog der sichtbaren und hörbaren Kontexte von Bewegung, Klang und Raum. Das spiegelt sich in von ihm gewählten Themen, orientiert an Meisterwerken bildender Kunst, wie den »Capriccios« von Goya, an Motiven folkloristischer Traditionen oder wenn es an die Ursprünge des Tanzes auf der Suche nach existenziellem Halt geht, wie in seiner Kreation »De Profundis«.
Inzwischen waren aus den berühmten goldenen zwanziger Jahren in Berlin braune geworden. Auch wenn die nun immer stärker politisch gelenkte Kulturpolitik vor allem dem propagandistischen Ausdruck des Tanzes verpflichtet war: mit Künstlern wie Alexander von Swaine, inzwischen auch im Ausland gefragt und berühmt, schmückte man sich gern. So erklärt es sich, dass Minister Goebbels persönlich für Alexander von Swaine, der als homosexueller Mann aufgrund einer Denunziation zur Haft im Konzentrationslager Lichtenburg verurteilt worden war, eine Freilassung auf Bewährung erreichte.
Dann entdeckt ihn der Film. Aus seinem grandiosen Tanz am Hofe Augusts des Starken in Dresden sind einige Sequenzen erhalten, die einzigen bewegten Aufnahmen des Künstlers. Im optischen Dialog mit Fotografien und Beschreibungen gelingt es dem Film von Boehms und Stabels immer wieder, dass sich in assoziativer Wahrnehmung die Grenzen aufzulösen scheinen.
Es ist eine bittere Ironie des Schicksals: als Alexander von Swaine Deutschland für eine Welttournee verlässt, bricht während seines Gastspiels im damaligen niederländischen Indonesien der zweite Weltkrieg aus. Von Swaine wird zum Feind; über sieben Jahre wird er in Internierungshaft verbringen. Aber der Tänzer, gerade in seinen besten Jahren, gibt nicht auf. Längst ist dem Künstler klar: es geht nicht darum anzukommen. Es geht darum, in Bewegung zu sein, unterwegs zu sein, ganz direkt als Reisender, und symbolisch, in der tanzenden Welt der Gedanken. Als der Krieg zu Ende geht, kommt Alexander von Swaine zurück. Seine klassische Grundausbildung befähigt ihn, an Bühnen zu tanzen. Ein Zwischenspiel. Es geht wieder in die Welt – und um die Welt. Mit der Tänzerin Lisa Czóbel, die aus dem Exil zurückgekehrt ist, wird er auf Tournee als ein Repräsentant des modernen Tanzes aus Deutschland wahrgenommen. Mit 60 Jahren beendet er seinen Karriere als Tänzer, arbeitet in Mexiko als Ballettlehrer für Kinder. Sein Leben ist bescheiden, Verwandte aus der Schweiz unterstützen ihn. 1990 stirbt Alexander von Swaine fern der Heimat. Er beendet seinen Lebenstanz versöhnt.
Schon das Buch »Alexander von Swaine. Tanzende Feuerseele« von Ralf Stabel, 2015 im Henschelverlag erschienen, weckte großes Interesse. Dabei war Stabel ja selbst erstaunt, als er auf ihn aufmerksam gemacht wurde, dass es über den legendären Tänzer so gut wie keine Informationen gab. Also machte er sich daran, Leben und Werk zu erkunden und, „war von Tag zu Tag mehr erstaunt über seine einzigartig-erfolgreiche künstlerische Arbeit und über die extremen Tiefschläge, die er in seinem Leben hinnehmen musste.“ Stabel betont, dass er bisher über eine Reihe Tanzender des 20. Jahrhunderts recherchiert und publiziert habe, aber, „über niemanden sonst gab es derart viele Superlative in den Medien wie über ihm. Und nur sehr wenige mussten die Haft im Konzentrationslager und jahrelange Internierung überstehen. „Ich war und bin tief berührt, wie er als Mensch sein Leben in den Wirren des 20. Jahrhunderts aufrecht und aufrichtig gemeistert hat“, so Stabel im Gespräch.
Und es ist doch wahrhaft grandios, dass im vergangenen Jahr, 30 Jahre nach dem Tod Alexander von Swaines, Ralf Stabel gemeinsam mit dem Grimme-Preisträger Felix von Boehm einen dokumentarischen Film mit dem Titel »Ein Faun unter Menschen – Der Tänzer Alexander von Swaine« herausbringen konnte. Die Premiere kann aus bekannten Gründen jetzt erst stattfinden: im Berliner Georg-Kolbe-Museum, im Rahmen der Ausstellung, „Der Absolute Tanz. TänzerInnen der Weimarer Republik“. Der Film lässt in Gesprächsmitschnitten den Tänzer selbst zu Wort kommen. Es gibt in der Kooperation mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln und der Ferdinand Moeller Stiftung persönliche Erinnerungen, wie die seiner zeitweiligen Tanzpartnerin Gisela Peters-Rohse oder des Dresdner Pianisten Hartmut Klug, der die Welttourneen Alexander von Swaines mit Lisa Czóbel begleitete. Verwandte kommen zu Wort, ebenso Frank Manuel-Peter vom Deutschen Tanzarchiv in Köln und Ferdinand Moeller. Durch sensible Kommentierung gelingt es, Zusehende mitzunehmen auf diese tanzende Lebensreise eines Fauns unter Menschen. Wichtig aber auch vor allem, wenn Ralf Stabel in einem abschließenden Kommentar darauf verweist, dass Alexander von Swaine ein Opfer des Faschismus war, dass er interniert war, als andere Größen des Deutschen Tanzes – Wigman, Palucca, Kreuzberg – die medialen Mittel des Dritten Reiches nutzten.
Ein Film wider das vergessen. Ein Film schmerzhafter Erinnerungen, ein Film zur rechten Zeit.
»Ein Faun unter Menschen – Der Tänzer Alexander von Swaine«, eine Spurensuche von Felix von Boehm und Ralf Stabel, Lupa Film 2020, Uraufführung, 9. September 2021, Georg-Kolbe-Museum Berlin.
»Tanzende Feuerseele – Alexander von Swaine«, die Biografie von Ralf Stabel ist 2015 im Leipziger Henschelverlag erschienen.
P.S. Auch wenn Alexander von Swaine in Dresden nicht getanzt hat, gibt es doch wichtige Verbindungen in die Stadt. Seine Tanzpartnerin Lisa Czóbel besuchte die Berliner Trümpy-Schule. Die Schweizer Tänzerin Berthe Trümpy war mit Mary Wigman nach Dresden gekommen und hatte ihre Schule auf der Bautzner Straße finanziert.
Der Pianist Hartmut Klug, der Czóbel und von Swaine 1954 auf einer Tournee durch Indien, Pakistan, Ceylon, Indonesien, Singapur und Hongkong, später auch durch Syrien, den Libanon und Iran begleitete, wurde am 9. September (!) 1928 in Dresden, geboren. Hier hat er auch sein Studium als Pianist, Komponist und Dirigent abgeschlossen. Von 1947 bis 1949 begleitete er die Soloabende von Gret Palucca in den deutschen Besatzungsgebieten.
Auf den Briefwechsel Alexander von Swaines mit Gret Palucca geht Stabel in seiner Biografie ausführlich ein. So erfährt man auch, wie sehr es von Swaine daran gelegen war, gerade in Dresden zu tanzen. Palucca bleibt zurückhaltend und verweist darauf, dass darüber allein die Kulturpolitik entscheide. Von einer Fürsprache ihrerseits ist nichts bekannt.
Gute Gründe, diesen Film auch in Dresden mit anschließender Gesprächsmöglichkeit zu zeigen. Das ist in der Planung. Informationen rechtzeitig, auf jeden Fall, hier auf »Musik in Dresden«.