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Durchsichtig klar, und doch warm

2019 wurde das Pumpenhaus nach einer Episode als Kunstatelier für Musikveranstaltungen ertüchtigt (Fotos: Martin Morgenstern)

Erde, Feuer, Luft und Wasser – diese vier Elemente gehen im europäischen Denken auf die Vorsokratiker zurück. Ähnliche Überlegungen finden sich in fast allen Kulturen. In Japan sind es die Fünf Großen, die Godai 五大. Der Dresdner Kammerchor widmet sich in seiner neuen Konzertreihe der Vierzahl der irdischen Urstoffe und will dem Pumpenhaus an der Marienbrücke mit klassischer Vokalmusik einen neuen Klang einhauchen.

Das Pumpenhaus an der Marienbrücke versorgte einst das Kraftwerk Mitte mit Kühlwasser. Heute, wo im Kraftwerk die Kultur pulsiert, pumpt hier zumeist elektronische Musik; klassische Vokalmusik war bisher nur ausnahmsweise zu hören. Durchsichtig klar und doch warm sei der Raumklang, schwärmt Oliver Geisler, der das neue Konzertformat für den Kammerchor konzipiert hat und es dramaturgisch betreut. Die Akustik der Industriehalle sei wie gemacht für Vokalmusik in kleiner Besetzung.

Am ungewöhnlichen Ort soll aber auch ein neuer Umgang mit dem breiten Repertoire des Ensembles ausprobiert werden. Die Bar des Clubs bleibt geöffnet, und das Publikum kann auch während des Konzertes Bier und Brause schlürfen. Zu den 12 Sängern gesellt sich das gesprochene Wort. In der ersten Installation zur Luft könnte es mit Wolf-Dieter Gööck eher luftig-launig werden. Lyrischere Töne hingegen will die Schauspielerin Kriemhild Hamann für die November-Ausgabe zum Wasser anschlagen. Die Wortmächtigen für die beiden Konzerte des kommenden Jahres sind noch ein Geheimnis. Überhaupt wünschen sich Chor und Dramaturg ein offenes, überraschendes Format, das zwischen Clubabend, Wohnzimmeratmosphäre und tiefsinnigem Küchentischgespräch sinnlich und intellektuell hin und her pendeln kann. Dass sich das Ganze auch musikalisch lohnt, zeigt ein Blick auf die luftige Liste der Kompositionen. Zwischen dem Urvater der evangelischen Kirchenmusik Johann Walter und dem Dresdner Komponisten Alexander Keuk umspannt das Programm ganze sechs Jahrhunderte westeuropäischer Vokalmusik.

Der erste Teil lotet dabei die religiösen Ebenen der Luft aus. Da ist zum einen der Heilige Geist, der durch die Kompositionen der Pfingstliturgie als Botschafter Gottes bläst. Da ist aber auch der Lebensatem der Seele, um den die Kompositionen zum Totengedenken von Bach und Schütz kreisen. Ganz anders nach der Pause. Wir segeln mit Monteverdi, Ravel und Poulenc nach Frankreich und Italien, und der Wind dreht und streicht durch die offenen Landschaften der Naturpoesie. Und so ruft uns Torquato Tasso entgegen: „l’aura è tua messagiera“ – „Die Brise ist deine Botin“. Ob dieses „du“ dabei der Natur gilt oder einen Geliebten herbeiruft, bleibt offen. Womöglich ist es auch gar nicht die Brise, sondern Petrarcas Laura, die uns hier in die Ohren pustet?

Und so werden sich über die Jahrhunderte und die Themen hinweg überraschende Verweise und Verbindungen ergeben. So hat sich beispielsweise Alexander Keuk für die Uraufführung des Abends von der mittelalterlichen Mystikerin Elisabeth von Schönau inspirieren lassen. Mit »Ein Gebet« macht er dem Kammerchor ein Geschenk für den neuen Raum und die neue Reihe. In dem kurzen Stück horcht er den gesanglichen Linien des lateinischen Textes nach und untersucht musikalisch, wie weit der Atem die Sängerinnen und Sänger durch die Phrasen trägt. Strophenweise wechseln die Stimmen. Nur an wenigen, markanten Punkten kommt es zu Überlappungen. Der für das Programmthema relevante Vers „suavis auster, illabere“ – „Du milder Südwind, uns durchwehe“ – spielt wiederum auf den Heiligen Geist als Botschafter Gottes an. In der musikalischen Logik des Satzes fällt er allerdings an die Bässe – und Keuk komponiert eine unerwartete Brechung zwischen Wort und Musik. Monteverdi hätte dies vermutlich, um die Worte im Stile des Madrigals auszumalen, in den mittleren Sopran gelegt. Keuk sperrt sich aber nicht gegen moderne Madrigalismen; und so fällt der seltene Zusammenklang der Stimmen auf zentrale Textstellen wie amor und caritatis, also auf die Schlüsselbegriffe der Verbundenheit. Ob dies nun ein religiöses, weltliches oder musikalisches Miteinander der Stimmen ist, überlegt man am besten hinterher an der Bar. Auf dass das Feuer überspringe!


PUMPENHAUSMUSIK #1: LUFT

14. SEP 2021 / 19:30 Uhr / Altes Pumpenhaus Dresden

Werke von Johann Sebastian Bach, Heinrich Schütz, Maurice Ravel, Francis Poulenc, Claudio Monteverdi und Alexander Keuk (UA)

Tickets: € 20 (erm. € 15) auf reservix.de und unter 0351-8044100; Restkarten ggf. an der Abendkasse

Fortsetzung der Konzertreihe »Pumpenhausmusik«:
DI / 23. NOV 2021 / PUMPENHAUSMUSIK #2: WASSER
DO / 10. FEB 2022 / PUMPENHAUSMUSIK #3: FEUER
FR / 11. MÄR 2022 / PUMPENHAUSMUSIK #4: ERDE