Kein Stuttgarter Ballettwunder ohne Egon Madsen, und kein Triumph des Tanzes mit Gauthier Dance am Stuttgarter Theaterhaus: Die Megagala zu Madsens 80. Geburtstag ließ keine Wünsche offen.
Das Tanzgenie Egon Madsen wurde vor 80 Jahren geboren. Mit zehn Jahren stand er in seiner dänischen Heimat erstmals in einer Pantomimengruppe auf der Bühne. Also fallen nun dieser 80. Geburtstag und das 70jährige Bühnenjubiläum zusammen. Grund zum Feiern! Das tat man auch in Stuttgart, am Theaterhaus, wo Madsen mit großer Hingabe und unverzichtbaren Erfahrungen die jungen Tänzerinnen und Tänzer der vor nunmehr 15 Jahren begründeten Gauthier Dance Company begleitet, fördert und coacht. Der Erfolg bleibt nicht aus. Sicher auch einer der Gründe, warum diese Kompanie gerade in der Kritikerumfrage im Jahrbuch des Magazins »tanz« mit den insgesamt meisten Nennungen der Kritikerinnen und Kritiker als „Glanzlicht der Saison 2021/22“ erstrahlt.
Also nur logisch, dass dieser Geburtstag, dieses Jubiläum, diese Erfolge der jungen, nachfolgenden Generationen von Tänzerinnen und Tänzern, gefeiert werden müssen. Und wie! Wer könnte besser durch ein angemessenes Gala-Programm führen als Eric Gauthier, der ihn besonders im Hinblick auf die von ihm geleitete Gauthier Dance Company seinen „Seelenbegleiter“ nennt? Und erlebt man beide dann, mag man wirklich gern davon sprechen, dass sie miteinander, vor allem aber auch mit dem jungen Nachwuchs, umgehen, wie ein Herz und eine Seele.
Dieses Gala-Programm hatte es in sich. Vergangenheit und Gegenwart flossen zusammen. In einem Filmbeitrag, »Early Days«, in dem Egon Madsen seine Zeiten der Anfänge in der Pantomimengruppe und an der Ballettschule ganz typisch, mit Witz und verschmitztem Augenzwinkern, kommentierte. Und diese wunderbare Selbstironie, dieser Humor, natürlich verbunden mit tiefer Herzlichkeit und selbstschützender Ironie, waren es wohl auch, die zusammen mit dem außergewöhnlichen Talent tänzerischer Präsenz ein choreografisches Genie wie John Cranko auf ihn aufmerksam machten.
Egon Madsens Karriere begann beim Stuttgarter Ballet 1961; schon ein Jahr später ernennt ihn John Cranko zum Solotänzer. Das wird im Gala-Programm gewürdigt, vor allem durch Filmbeiträge des Süddeutschen Rundfunks von 1967 und 1972, »The Cranko Time«. Manche dieser scher zu vergessenden Ausschnitte wird man dann im Original sehen, jetzt getanzt von den Tänzerinnen und Tänzern des Stuttgarter Balletts. Der heutige Stuttgarter Star, Friedmann Vogel, tanzt das Solo »Bruyères« aus John Crankos aus Crankos 1970 für Madsen kreiertes Ballett »Brouillards«.
Wer Crankos Ballett »Die Zähmung der Widerspenstigen« sah, was lange im Repertoire des Dresdner Balletts an der Semperoper war, wird sich an die witzige Szene des unglücklichen Liebhabers erinnern, der mit größter Hingabe tanzt und falsche, trillernde Flötentöne von sich gibt. Wunderbar, einst 1969 für Madsen kreiert, jetzt in toller charakterkomischer Nachfolge getanzt von Alessandro Giaquinto vom Stuttgarter Ballett, wo vor kurzem erst Crankos witziger Geniestreich – ganz im Sinne Shakespeares – umjubelte Wiederaufnahme feierte.
Und eine der ganz großen Rollen, jetzt ganz und gar nicht heiter, aber voller Tiefe der Emotionen, war 1965 die Partie des Lenski in »Eugen Onegin«. In der Gala tanzt Adhonay Soares da Silva in angemessner Verehrung für Egan Madsen, gewissermaßen als erstem Lenski des Balletts, das Solo des Abschieds aus dem 2. Akt, als Vorwegnahme des Todes im darauf folgenden Duell mit Onegin.
Es wären ja noch viele Rollen zu nennen, viele Erfolge, beim Stuttgarter Ballett, so seine mit einer Art des Humors im Widerstand gegen den Tod, der letztlich aus der Tiefe des Herzens kommt un der Zuneigung zu seinem Freund Romeo, Rolle des Mercutio in Crankos »Romeo und Julia«. In dieser Rolle konnte man ihn auch in Dresden, erleben: damals im Schauspielhaus, im Januar vor jetzt genau 55 Jahren. Ich hatte das Glück, ich war dabei, am Samstag, 24. Januar, 1967. Welche Berührung dann an diesem Galaabend mit einem Filmausschnitt, der den jungen Madsen in dieser Rolle zeigt! Keine Frage: im Rückblick ganz sicher ein entscheidendes Erlebnis. Mein Interesse für das Ballett, für den Tanz, war geweckt.
John Cranko starb 1973, Egon Madsen wird mit weiteren bedeutenden Choreografen arbeiten, er wird neue Horizonte seiner Kunst des tänzerischen Ausdrucks eröffnen. Er wird als umworbener Gastsolist um die Welt reisen und 1981 die Leitung des Balletts in Frankfurt übernehmen und wird unter anderem einen Meister der zeitgenössischen Tanzkunst wie William Forsythe fördern. Nach Stationen als Direktor beim Königlichen Ballett von Schweden in Stockholm, beim Teatro Communale in Florenz, wird Madsen 1990 für sechs Jahre als Ballettmeister, später als stellvertretender Ballettdirektor von Marcia Haydée wieder nach Stuttgart geholt.
Ab 1996 ist er für drei Jahre erster Ballettmeister beim Leipziger Ballett unter der Leitung von Uwe Scholz.
Eine berührende Erinnerung, wenn in der Gala Alice McArthur und Mitchell Millhollin von der John Cranko Schule einen Pas de deux aus dem Ballett »Die Schöpfung« von Uwe Scholz tanzen. Darauf wird ihn kein Geringerer als Jiří Kylián zum Nederlands Dans Theater III holen. Er wird die einzigartige Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer im Alter von über 40 Jahren leiten und die damals, mitunter auch heute noch, erste Garde der Choreografen gewinnen, für diese Truppe Stücke zu kreieren.
Und dann, ein Kreis schließt sich, kommt Egon Madsen 2007 zurück nach Stuttgart. Es beginnt die grandiose Zusammenarbeit mit dem Leiter des Theaterhauses Werner Schretzmeier und dem Tänzer und Choreografen Erick Gauthier. Kein Geringerer als der Choreograf Christian Spuck – demnächst Chef des Berliner Staatsballetts – kreiert für Gauthier und Madsen »Don Q. – eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit«. Somit begann die bis heute erfolgreiche Zusammenarbeit. Und Egon Madsen ist auch immer wieder als Tänzer, als Darsteller auf der Bühne, auch immer wieder inmitten der jungen Kompanie, die sich gerne seiner künstlerischen und menschlichen Begleitung anvertraut. So wird er in »M.M.« zum Pantomimen und nimmt uns mit auf Stationen des berühmten Marcel Marceau. In der Hommage auf John Cranko, »Dear John«, verkörpert er den Choreografen, sein Tanzpartner ist Eric Gauthier. Madsen wird auch zum Schauspieler am Theaterhaus, mit der dänischen Sängerin Gitte Henning spielt er »Love Letters« von A.R. Gurney. Die Liste ließe sich fortsetzen bis direkt in die Gegenwart, denn natürlich tanzt Egon Madsen auch auf dieser Jubiläumsgala, setzt zum Finale des ersten Teiles einen grandiosen Höhepunkt mit dem Duett »The Old Man and M« von Hans van Manen mit seiner Tanzpartnerin Milena Twiehaus zu Musik von J.J. Cale, Igor Strawinsky und Wolfgang Amadeus Mozart.
Nach der Pause wird Egon Madsen in einem Filmbeitrag auf seine letzten 15 Jahre am Theaterhaus zurückblicken und auch den Vorausblick wagen im Hinblick auf die weitere Begleitung der nunmehr seit 15 Jahren höchst erfolgreichen Kompanie Gauthier Dance, demnächst auch noch mit einer Juniorkompanie von sechs Tänzerinnen und Tänzern, eben mit jenem »Sixpack«, wie es vor 15 Jahren begann. Und weil an diesem Abend ohnehin so viele Stile und Richtungen, so viele Traditionen und Aufbrüche zusammenkommen, tanzt der junge Tänzer Shori Yamomoto das abhebende Solo »ABC«, eine rasante Reise anhand der Abfolge des Alphabetes durch die unbeschreiblichen Möglichkeiten des Balletts, des Tanzes. Eric Gauthier kreierte dieses Solo 2019 für eine Gala in St. Petersburg.
So wird dann auch das Finale erneut zu einem rasanten Höhepunkt. Der Choreograf Mauro Bigonzetti schuf für seine legendäre Kreation »Cantata« von 2001 für das Ballett Gulbenkian vor nunmehr genau zehn Jahren eine Figur hinzu, natürlich für Egon Madsen. Bigonzettis Ballett mit den so berührenden wie mitreißenden Klängen italienischer Folklore, aufbrausend vor Temperament und dann wieder von tiefer Melancholie geprägt, lässt eine ganze Dorfgemeinschaft tänzerisch immer wieder über sich hinauswachsen. Wie geschaffen für Gauthiers Truppe, jetzt schon mit den ersten Mitgliedern der Juniorkompanie. Und mitten drin vielleicht der Dorfälteste, ein ewig jung gebliebener älterer Mann, eben ein Lebenskünstler kraft des Tanzes: Egon Madsen. Mal lässt er sich auf Händen tragen, dann beobachtet er so verschmitzt wie hintergründig lächelnd, als würde er die Geschichten all dieser jungen Typen kennen, von denen sie sich für den Augenblick dieser ungeahnten Freiheit lostanzen können. Wie zur Premiere dieser Fassung 2012 wird live gesungen und musiziert, Gruppo Musicale Assurd mit Sängerinnen und Musikerinnen ist extra wieder angereist, Klänge aus der Tiefe des Herzens: Finale Grande! Der Applaus will nicht enden. Immer wieder toll, in Stuttgart zu erleben, diese auch mal richtig ungebremste Zuneigung des Publikums zu seinen Tänzerinnen und Tänzern. Und dann, auf der Bühne, dahinter, im Saal, in den Foyers: Happy Birthday to You, Happy Birthday, lieber Egon, Happy Birthday to You! Da ist es kurz vor Mitternacht, im Foyer des Theaterhauses geht es weiter, bis gegen zwei Uhr.