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Ein Weltenkosmos in szenischen Klangbildern

Mitglieder von AuditivVokal: Julia Böhme (Alt), Anna Palimina (Sopran) sowie die Baritone Benjamin Mahns-Mardy und Kyle Fearon-Wilson (Foto: Volker Metzler)

Am 6. November 1672 verstarb im Alter von 87 Jahren der frühbarocke Komponist Heinrich Schütz, der einen großen Teil seines Lebens in Dresden verbrachte und hier das musikalische Leben, insbesondere durch seine Meisterwerke geistlicher Musik prägte. Zu seinem 350. Todestag öffnet sich nun ein Weltenkosmos in szenischen Klangbildern in der Dresdner Trinitatiskirche.

Dieses Gedenken wurde angesichts gegenwärtiger kriegerischer Verbrechen und Bedrohungen im Kontext der zu großen Teilen während des dreißigjährigen Krieges entstandener Musik von Schütz zum Ausgangspunkt für die Dresdner Kulturmanagerin Isolde Matkey, die das 1997 von ihr gegründete freie Produktionsbüro tristan Production leitet, ein entsprechendes interdisziplinäres Projekt zu entwickeln. Als sie den an der Palucca-Hochschule für Tanz ausgebildeten, inzwischen weithin gefragten Choreografen Andreas Heise darauf ansprach, gab es für ihn keine Bedenken – sind doch die guten Erinnerungen an das erste gemeinsame Projekt mit ihr, »Taming our Trauma«, bestens präsent. Heise sagte zu, ließ sich ein auf diese „Idee eines getanzten Abends zu Musik von Heinrich Schütz“. Er betont, dass sich ja schon mehrfach mit der Musik des Barock choreografisch auseinandergesetzt habe, allerdings noch nicht mit der von Heinrich Schütz. Aber – „da ich sehr gerne neue musikalische Welten entdecke, fand ich diese Anfrage sofort sehr spannend und herausfordernd.“ 

Herausfordernd ist auch der Raum, der für dieses Projekt gewählt wurde. Es ist die Ruine der Dresdner Trinitatiskirche, die im Oktober des Jahres 1894 eingeweiht wurde. Infolge der Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945 brannte die Kirche völlig aus; der Turm blieb erhalten. Seit Beginn dieses Jahres gibt es innerhalb der Kirche – jetzt als Jugendkirche genutzt – einen gläsernen Raum; er bietet Schutz, aber die Zeichen der Geschichte bleiben sichtbar. Dieser Raum nun bekommt in diesem künstlerischen Projekt eine ganz besondere Bedeutung in seiner speziellen Wirkung und der damit verbundenen Herausforderung für den Choreografen: „Das Publikum sitzt im 270 Grad Winkel und ganz nah an den Künstlerinnen und Künstlern. Dadurch entsteht eine sehr intime Atmosphäre, und die Zuschauenden sind mitten im Geschehen. Weiterhin spiegelt die Ruine einerseits die Zerstörungen des II. Weltkrieges wider, welche wiederum Parallelen zum Wüten des 30-jährigen Krieg zu Schütz Lebenszeiten ziehen lassen, und andererseits ist der gläserne Raum ein Bezug zur heutigen Zeit. Der Raum ist für mich somit ein Ort der Reflexion im historischen sowie im menschlichen Sinne“, so Andreas Heise.

Und das trifft sich mit den Ideen und Visionen von Sascha Thomsen, der für die Ausstattung gewonnen werden konnte. Er absolvierte auch eine Tanzausbildung an der Dresdner Hochschule, ist aber längst ein gefragter Ausstatter, Kostümbildner und Designer. Er war sofort von diesem Projekt überzeugt, auch weil er die Arbeit von Andreas Heise sehr schätzt. Und dies vor allem wegen dessen sehr organischer Bewegungssprache, mit der er es schaffe, „selbst  komplexe Inhalte so in Bewegungen zu übersetzen, dass es den Zuschauerinnen und Zuschauern möglich wird, sich des Themas auf emotionaler und sinnlicher Ebene anzunehmen.“ Und dies auch, so Thomsen, durch dessen von hohem Feingefühl geprägten Umganges mit der Musik. Zum gewählten Ort sagt er: „Was könnte passender für unser Stück sein, als eine architektonische Kombination aus Ruine – Zeugin des Krieges sowie ewige Mahnung – und Neubau, in dem sich die Gegenwart spiegelt? Die durch den Raum vorgegebene Spiegelung von Vergangenheit und Gegenwart, von Krieg und Frieden, wird auch im Bühnenbild durch die Verwendung des spiegelnden Tanzbodens aufgegriffen. Auf diese Weise wird das, was die Architektur des Ortes bereits vorgibt, auf der Bühne sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn reflektiert.“

Andreas Heise (Foto: Volker Metzler)

Und daher wird sich auch ein ganz besonderer musikalischer Klangbogen durch dieses Universum spannen. Ein Solistenquartett der Dresdner Vereinigung AuditivVokal wird sich, ausgehend von originalen Kompositionen von Heinrich Schütz, in einen klanglichen Dialog mit den live agierenden Musikern der Vereinigung TOPOGRAPH begeben, die vor allem mit Klängen und Sounds der Gegenwart – Live-Elektronik und Cello – sich den oben genannten thematischen Reflexionen von universeller Bedeutung nähern werden.

Istvan Simon (Foto: Volker Metzler)

Dazu sagt Arne-Christian Pelz, der Cellist von TOPOGRAPH, dass es schon Erfahrungen der Zusammenarbeit mit Andreas Heise gebe, der als Solist mit ihm, etwa beim Staatsballett Berlin, zusammengearbeitet habe. Der Reiz dieser aktuellen Arbeit aber läge nun darin, „in der bis dato unerhörten Art, sich derart der Musik Heinrich Schütz zu nähern und damit unmittelbar eine Reaktion im Tanz auszulösen. Die Gleichzeitigkeit des Entstehungsprozesses von Choreographie und Musik ermöglicht eine Verzahnung des Tanzes mit der Musik vom ersten Moment an. Klanglich lassen wir uns einzig von der Unbedingtheit des Ausdrucks leiten.“ Diese „Unbedingtheit des Ausdrucks“ lasse die Musiker, so Arne-Christian Pelz, die Intensität einer Choreographie unmittelbar spüren, entsprechend musikalisch zu reagieren, was wiederum ein großer Motor für die Übergeordnete Rhythmik der Kompositionen sei.

Wesentlich für den musikalischen Klangbogen von der Zeit des Komponisten Heinrich Schütz bis in die Gegenwart sind natürlich die Sängerinnen und Sänger des Solistenquartetts der Dresdner Vereinigung AuditivVokal: Anna Palimina (Sopran), Julia Böhme (Alt), sowie die Baritone Benjamin Mahns-Mardy und Kyle Fearon-Wilson. Die in Dresden ausgebildete Sopranistin sagte sofort zu. Zum einen fehlte Schütz noch in ihrem Repertoire – und dann war sofort die Neugier geweckt auf diese Kombination aus Bewegung, Tanz und Gesang, dies wiederum in so spannender Resonanz mit den Musikern von TOPOGRAPH: „Dieses Ensemble durchbricht Grenzen und Schablonen, man wird Schütz ganz anders hören und empfinden.“ Und sie kombiniere auch den Schütz-Klang mit romantischen Anklängen, „Dieser Freiheit, dieser Mut, machen mich glücklich.“ Palimina betont, dass sie ja mit Tänzerinnen und Tänzern noch nie so nahe gearbeitet habe, in gewisser Weise vermittle ja auch der Tanz dieses tollen Trios so etwas wie Klangempfinden, zudem müsse man ja auch in höchster Sensibilität aufeinander hören und reagieren: „Eigentlich verschmelzen wir zu einem Septett.“ Mit einem Choreografen von solcher Musikalität und menschlicher Nähe sei es auch kein Problem, immer wieder bis an die Grenzen des Möglichen zu gehen, wahrscheinlich auch mal darüber hinaus und so neue Möglichkeiten zu entdecken, in diesem SCHÜTZ – UNIVERSUM.

Diese Unbedingtheit des Ausdrucks, des unmittelbaren Dialoges mit den musikalischen Bögen in jenen Klangvarianten, die eine Zeit von mehr als 350 Jahren aufzunehmen versuchen, historische und aktuelle Erfahrungen nicht vermischen, aber auch in emotionalen Zusammenhängen deutlich werden lassen, gilt in besonderer Weise für die Tänzerinnen Carola Schwab, Justine Rouquart und den Tänzer István Simon, die ja auch, jeweils für sich genommen, nicht unterschiedlicher in Kompetenzen ihres höchst individuellen, künstlerischen Ausdrucks sein könnten.

TOPOGRAPH bei ihrem Dresden-Debüt: Kian Jazdi – Orgel & Synthesizer, Vocals, SoundDesign / 
Magnus Sauer – E-Gitarre, Synthesizer, DrumMachine / Arne-Christian Pelz – Cello
Foto: Eunice Clarissa

Ja, Carola Schwab gehört diesem Ensemble an. Diese Wiederbegegnung dürfte schon etwas Besonderes sein, begann doch ihre wunderbare Karriere beim Ballett der Dresdner Staatsoper, ab 1985 dann an der wiedereröffneten Semperoper vor nunmehr 45 Jahren! Selbstverständlich, so Carola Schwab, musste sie kurz überlegen, als diese Anfrage kam, da sie ja 20 Jahre nicht mehr getanzt habe, schon etwas „älter“ sei, mit so einem Angebot einfach nicht mehr gerechnet habe.“ Jetzt aber sei sie froh, dass sie ihrem „Bauchgefühl“ vertraut habe und diese Herausforderung angenommen habe. Für sie sei es eine höchst anregende Erfahrung, wie hier etwas Neues entstehe, dass alte und neue Musik zusammenkämen, Gesang und Tanz. Die Neugier auf das junge Team beflügelt sie; es ist für sie höchst spannend dabei zu sein, wenn sich hier künstlerisch ganz neue Horizonte eröffnen, denn Andreas Heise, dessen Arbeiten sie bislang nicht kannte würde es vor allem mit dem Tanz verstehen, auf sehr sensible Weise zu erzählen. Und sie betont: „Der musikalische Bogen von Schütz zu heute hält uns alle zusammen und ist spannend zugleich. Das Tollste ist, das die Musik auch im Arbeitsprozess entsteht, mit uns zusammen.“

Die Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern führte ich nach dem Besuch einer Probe, noch in der Villa Wigman, vor allem anhand der persönlichen Eindrücke dessen, was im Prozess der Entstehung bereits zu erleben ist. Somit ist die Erwartung voller besonderer Spannung, dabei zu sein, wenn sich erstmals im gläsernen Raum in der Ruine der Trinitatiskirche dieses SCHÜTZ – UNIVERSUM öffnen wird. Dann, so Andreas Heise, werden, ganz dieser Thematik und der Musik von Heinrich Schütz angemessen, die Themen Glaube und Gemeinschaft bei dieser Kreation eine tragende Rolle spielen: „Wichtig ist uns, dass das Stück sowohl musikalisch als auch szenisch keine Antworten gibt, sondern Fragen aufwirft. Der Tanz und die Musik bieten Denkansätze und laden die Zusehenden zur Eigenreflexion an. Das kann der Tanz, er eröffnet Möglichkeiten einer ganz persönlichen Interpretation des Stücks.“ 


SCHÜTZ – UNIVERSUM – TanzMusik Theaterproduktion von tristanKombinat
Premiere 1.11.20122, 20 Uhr; 2./3.11.2022, 20 Uhr, Trinitatis-Kirche Dresden
Tickets 16,- / 12,- € ermäßigt an allen Vorverkaufskassen und online
Infos: www.tristan.agency