Von Beginn an, seit ihrem Debüt als Geigerin vor nun schon zwanzig Jahren, gehörten die Solosonaten von Johann Sebastian Bach auf den Programmzettel von Julia Fischer. Achtzehn Jahre ist es her, dass sie sie aufgenommen hat; die Einspielung ist fantastisch gealtert!
Wer sie kennt und den Solo-Abend der Kapell-Virtuosin am Donnerstag besuchte, wurde nicht enttäuscht. Ein strahlender Ton entfließt der Guadagnini, füllt die Semperoper; auch wenn die Geigerin in ihrer Konzentration nicht gerade glücklich aussieht (Oliver Killigs Fotos fangen das ein…), das Publikum, das hörbar international ist (und endlich auch einmal Studentinnen und Studenten der hiesigen Musikhochschule enthält), klatscht beglückt. Julia Fischer kann sich auf die Wirkung ihres druckvollen Tons, auf die durch Vibrato akzentuierten Höhepunkte und langen Spannungsbögen verlassen. Die virtuosen Anteile, etwa das Schluss-Allegro der zweiten Solosuite, sind on point finalisiert. Die dynamischen Abstufungen sind perfektioniert und fügen sich zu einer spannenden Dramaturgie der Suiten. Noch immer gilt, was der Deutschlandfunk-Rezensent nun vor beinah zwei Jahrzehnten konstatierte, angesichts der professionellen Präsentation und überhaupt dem Fakt, so früh ein Bach-Doppelalbum vorzulegen: ganz schön abgekocht, die Künstlerin! Seit fünf Jahren kann man ihr nun schon im JF Club folgen, sie bei Proben oder hinter der Bühne meeten und greeten – vielleicht ist ja wirklich die Zukunft der Solist-Publikum-Interaktion, die freilich nicht allen guten Musikern gleich gut liegt, und mir als Zuhörer leider bisher auch nicht. Ob Kit Armstrong Spiegelei mit Grapefruitsaft zubereitet, Hitlers Lieblingskomponist Damenunterwäsche trug oder Christian Thielemann zu ausgewählten Gelegenheiten einen 49er Château Latour empfiehlt – wen scheren solche Details, wenn die Musik selbst im Konzert überzeugen kann?
Hier könnte eine enthusiastische Kurzrezension auch zu Ende sein. Aber mich machte dann doch ein wesentliches Detail des Konzertabends nachdenklich. Warum nutzt Julia Fischer neuerdings einen Barockbogen, wenn sie die Sonaten spielt? Das erscheint mir geradezu kontraindiziert, bedenkt man ihr natürliches, auf schiere Raumfülle zielendes Spiel, ihre gesamte Bach-Interpretationswelt. Kommt der Barockbogen doch einem parlierenden, artikulativen Spiel entgegen, das auf klangliche Kontraste der Darmsaiten setzt, auf Finesse und leises Singen des Tons. Die überlangen, meditativ hinterm Horizont verschwindenden Schlusstöne im Breitwandformat, die Julia Fischer sehr mag, sind jedoch mit einem Barockbogen noch schwerer aus der Geige herauszuziehen als mit einem modernen Bogen. Geigerinnen wie Isabelle Faust – ich erinnere mich wahrscheinlich vor allem des berückend schönen, japanisch anmutenden Covers wegen an eine Bach-Einspielung, die auch schon mehr als zehn Jahre zurückliegen dürfte – nutzen den Barockbogen wie selbstverständlich für ihr schlankes, hintersinniges, komplett vibratoloses Spiel. Aber bei Julia Fischer, die, wenn wir nun schon mal bei Äußerlichkeiten sind, die Noten auf dem iPad an diesem Abend mit dem diamantbesetzten Stöckelschuh weiterklickte, erklärt sich seine Nutzung nicht. Liebe Kapell-Virtuosin: es wäre höchste Zeit, nach mehr als zehn Jahren zu dieser Frage einen neuen Meisterkurs am Dresdner Heinrich-Schütz-Konservatorium anzusetzen!