Der Regisseur Robert Carsen reagiert in seiner Inszenierung von Detlev Glanerts »Die Jüdin von Toledo« für die Semperoper auf jüngstes Geschehen.
Toledo im 13. Jahrhundert: Die Religionen sind miteinander zerstritten, und nun hat sich Spaniens König auch noch in ein jüdisches Mädchen verliebt. Die königliche Gattin ist eifersüchtig, es gibt Intrigen am Hof, dazu kommen der Kampf gegen die Mauren und die ohnehin heftigen Konflikte aufgrund unterschiedlicher Götteranbetung. Eine bis heute nicht unbekannte Melange.
Die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Die Bevölkerungszahl steuert auf die Zahl von zehn Milliarden Menschen zu, von denen immer mehr unter Krieg und Gewalt leiden. Religionen sind nach wie vor miteinander zerstritten, ihre An- und Verführer predigen Frieden, während zum nächsten Waffengang gerufen wird. Ein uraltes, archaisch brutales Machtmenschen-Verhalten.
Dresden im Winter 2024: An der Semperoper krönt Intendant Peter Theiler seine letzte Spielzeit in Sachsen mit einer weiteren Uraufführung. Regisseur Robert Carsen bringt Detlev Glanerts als Auftragswerk komponierte Oper »Die Jüdin von Toledo« heraus. Ein Spiegel der Menschheitsgeschichte im Gegenwärtigen.
Eine tödliche, unmögliche Liebe
Noch laufen die Proben auf Hochtouren, doch schon jetzt scheint sicher, dass die Uraufführung ein künstlerischer und wohl auch kulturpolitischer Höhepunkt der Spielzeit werden dürfte. Musiktheater auf ein Sujet aus dem 13. Jahrhundert! Das Libretto stammt von Hans-Ulrich Treichel, doch bereits Lope de Vega, Franz Grillparzer und nicht zuletzt Lion Feuchtwanger haben über die große – und letztlich tödliche, weil unmögliche – Liebe zwischen dem spanischen Regenten Alfonso VIII. und der ebenso jungen wie naiven, dabei aber grenzenlos ehrlichen Jüdin Rahel literarische Zeugenschaft abgelegt.
Nun thematisiert der 1960 in Hamburg geborene Komponist Detlev Glanert diesen Konflikt. In einer Probenpause bekennt der ungemein produktive und ebenso vielseitige Künstler gegenüber Musik in Dresden: »Ich halte die Oper für eine der schönsten Erfindungen in der Menschheitsgeschichte. Das Genre ist zwar von Anfang an totgesagt worden, doch ich halte sie für lebendiger denn je, das ist eine ganz wunderbare und extreme Kunst.« Aus Glanerts Feder stammen große Orchesterwerke, Kammermusik, instrumentale Solostücke sowie Vokalwerke. Darüber hinaus hat er ein ganzes Dutzend Opern verfasst. Die nun in Dresden anstehende (und wegen diverser Corona-Turbulenzen notwendigerweise verschobene) Uraufführung der »Jüdin von Toledo« wurde zunächst als Glanerts 14. Oper annonciert. Doch der sympathische Komponist widerspricht: »Es ist die zwölfte, wir haben die Zählung verändert, da ja auch mehrere kleinere Arbeiten darunter waren, die wir nun zusammengefasst haben. Deshalb gilt das jetzt als die zwölfte.«
Ganz offenbar ist dies keine falsche Bescheidenheit, sondern ausgeprägter Realitätssinn. Doch auch bei dieser somit zwölften, jedenfalls absolut neuen Oper bleibt der Künstler seinem Schaffensprinzip treu: »Der Ausgangspunkt ist bei mir tatsächlich immer eine ältere Geschichte, die uns heute etwas zu sagen hat. Konkret, wie eine sehr schwierige private Situation für Politisches instrumentalisiert werden kann und auf populistische Weise benutzt wird. Das hat mich außerordentlich interessiert.«
Doch Detlev Glanert und Librettist Hans-Ulrich Treichel nutzen historische Vorlagen gern, siehe oben, als Spiegel der Menschheitsgeschichte im gegenwärtigen Geschehen. Oder eher umgekehrt? Glanert: »Es wird sehr aktuell. Die Oper ist natürlich weit vor dem Gaza-Krieg beendet worden. Es geht um politische Grundprobleme, die bis heute nicht überwunden sind. Die bis Heute zum Tod führen, zum Mord.« Denn Rahel, die schöne Jüdin, die sich mit ihrer Liebe über alle Warnungen und Vorbehalte hinwegsetzt, muss teuer bezahlen. Sie wird zum unschuldigen Opfer. Dabei hat gerade erst sie einen Inhalt ins Leben dieses Königs gebracht.
Auch in diesem Punkt erkennt Detlev Glanert Verbindungen, wenn nicht gar Parallelen zum Heute: »Es hat ja mehrere Fälle auch in unserer eigenen Vergangenheit hier in Deutschland gegeben, wo hochgestellte Politiker sich in junge Frauen verliebt haben, was zu Konflikten, zum Rücktritt oder gar zum Selbstmord geführt hat. Mich hat an dieser Oper interessiert, wie das Politische und das Private tatsächlich benutzt wird und sehr ungute Verbindungen eingehen kann.« Glanerts Oper scheint zeitlos zu sein, denn sie thematisiert eine Archaik, die nach wie vor nicht überwunden ist. Religiöse Konflikte sind schließlich so alt wie die Menschheit. Und werden immer wieder – stets im Namen der Religionen, versteht sich – mörderisch instrumentalisiert.
Deren Bezugspunkte hat Detlev Glanert hörbar gemacht, ohne konkrete Musik zu zitieren. Für »Die Jüdin von Toledo« arbeitet er einmal mehr mit dem Regisseur Robert Carsen zusammen, der aber diesmal ganz persönlich ins Stück eingreifen durfte, sozusagen in der letzten Phase des Probenprozesses. Glanert ist damit aber voll und ganz einverstanden: »Robert Carsen hat den Schluss nach dem Beginn des Gaza-Kriegs geändert. Er hat sich entschlossen, in den letzten Minuten des Stücks darauf zu reagieren. Das ist hart, wird vielleicht an die Kehle gehen. Aber das ist das Beste, was modernes Musiktheater kann.«
»Die Jüdin von Toledo«
Uraufführung am 10. Februar.
Weitere Termine 15., 18. und 26. Februar sowie 1. und 8. März.