Weißes Gold in Hellerauer Holz für den neuen Ehrendirigenten der Sächsischen Staatskapelle
Was für ein Abschied: Just am 164. Geburtstag von Gustav Mahler dirigiert Christian Thielemann als Noch-Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle die sogenannte Sinfonie der Tausend. Debüt und Abschied zugleich, nie zuvor hat er diese Achte Sinfonie in Dresden geleitet, und auch das Orchester hat dieses Mammutwerk in Es-Dur erst ein einziges Mal aufgeführt. Unter Generalmusikdirektor Fritz Busch erklang sie am 30. Juni 1932 in Dresden, neun Monate vor seiner Vertreibung durch die braunen Horden von einst.
Vertrieben worden ist Thielemann aus Dresden nicht. Sein Vertrag wurde nach zwölf Jahren einfach nicht verlängert. Damit endet eine Zeit, die als Ära zu bezeichnen nicht übertrieben ist und alles in allem sogar 14 Jahre gewährt hat. Denn »nachdem uns der Kollege Luisi abhanden gekommen ist«, so Thielemann in einem Rundfunkinterview, hat er das Orchester bereits zwei Jahre interimistisch betreut. Eine glanzvolle Zeit, in der Dresden wieder zu einem der wichtigsten europäischen Musikzentren avancierte, die zudem von internationalen Gastspielen der »Wunderharfe« und einem exzellenten Jahrzehnt als Residenzorchester der Osterfestspiels Salzburg gekrönt wurde. Thielemanns Wagner- und Strauss-Dirigate erwiesen sich regelmäßig als Sternstunden.
Angefangen hatte das alles mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms im Gedenkkonzert zum 13. Februar. Davon schwärmt Thielemann noch heute. Bald darauf hieß es »Angekommen«, den Auftakt setzte die 8. Sinfonie von Anton Bruckner. Dass nun mit einer Achten auch der Schlusspunkt gesetzt worden ist, kann als vollendeter Bogen gesehen werden, aber auch als Symbol eines Infinito. Inzwischen aber meint ein sichtlich zufriedener Thielemann »Wenn’s am schönsten ist, sollte man aufhören.« Er hat sich in die Rolle gefügt und – kein Grund zur Traurigkeit – tritt nun nahtlos die Nachfolge von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper an.
Und schön war’s tatsächlich, dieses Aufhören am Mahler-Geburtstag. es wollte und wollte kein Ende finden, auf die knapp neunzig Minuten Musik folgten noch eine halbe Stunde lang Beifall, Begeisterung und Bemerkungen. Zunächst aber galt es dem Werk. Gustav Mahler beschrieb seine 1910 mit 1.030 Mitwirkenden in München uraufgeführte Sinfonie als »das Größte, was ich gemacht habe.« War es das Größte, das Thielemann in Dresden gemacht hat? Das mögen Opern- und Konzertfreunde sicherlich unterschiedlich beurteilen. Aber dieses 12. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle, die vom Gustav Mahler Jugendorchester unterstützt und vom Chor des Bayerischen Rundfunks, dem Sächsischen Staatsopernchor sowie dem Kinderchor der Semperoper begleitet worden ist, dürfte sich in die Orchestergeschichte einschreiben.
Gewiss, es ist ein lauter, ein sehr lauter Abschied gewesen, wobei die Opulenz ganz gewiss gewollt war. Eine geradezu elitäre Solistenbesetzung gab ihr Bestes: Camilla Nylund, Ricarda Merbeth, Regula Mühlemann, Štěpánka Pučálková und Christa Mayer sowie David Butt Philip, Michael Volle und Georg Zeppenfeld wetteiferten mit vokaler Brillanz wider Orchester und Chöre. Thielemann ließ feierlich aufbrausen, federte ab, spannte die Bögen, füllte das ausverkaufte Haus bis in den letzten Winkel wirkmächtig mit Klang. Ein selten zu erlebendes Gemeinschaftsgefühl, das – nach reichlich angebrachten Gedenksekunden ergriffenen Schweigens – in tosenden Beifall ausbrach.
Ein Taktstock aus Weißem Gold
Als dann der (ebenfalls Noch-)Intendant Peter Theiler das Mikrofon ergriff, tönte aus Reihe 12 im Parkett mit wütend vorgerecktem Unterkiefer der Ruf »Hau ab, du A…!«. Was dieses offenbar besonders kultursinnige Menschlein dazu bewogen hat, war nicht zu erfahren, denn nachdem er sich Luft gemacht hatte, drängelte er sich durch die Reihe und haute selbst ab. Manchmal die bessere Wahl.
Theiler jedenfalls dankte dem Dirigenten für die gemeinsame Zeit, auch wenn die unter Corona-Bedingungen nicht immer und nur ganz harmonisch verlaufen sein mag. Der Orchestervorstand schloss sich dem Dank an und würdigte Thielemann als Ehrendirigent der Sächsischen Staatskapelle. Laut Website der einzige neben Herbert Blomstedt. Zuvor wurde allerdings auch der 2013 verstorbene Sir Colin Davis ernannt. Thielemann revanchierte sich mit lobenden Worten und sprach von der »Klangmanie« des Orchesters.
Dieser Dirigent ist ein absolut seriöser Künstler, gar keine Frage. Er hat, wenn ihm danach zumute ist, aber auch das Zeug zum guten Unterhalter. Mimik und Gestik sprechen dann für sich selbst. Wenn sich zu Augenspiel, Kopfneigung und gerecktem Daumen dann noch spitze Bemerkungen gesellen, muss, wer lesen mag, nur darin lesen können, um den Doppelsinn so mancher Worte zu begreifen. »Wir wollen heute nichts Kontroverses«, spielte er auf das ebenso überraschende wie unfreiwillige Ende der gemeinsamen Amtszeit von ihm als Chefdirigent der Staatskapelle sowie von Peter Theiler als Intendant der Semperoper an. Beide waren ja durchaus konsterniert, als sie zu Vertragsgesprächen ins »So geht sächsisch«-kompetente Tourismusamt geladen wurden (das aus bis jetzt nicht nachvollziehbaren Gründen auch das Wort »Kultur« im Namen führt) und erfahren mussten, dass im Sommer 2024 für sie Schluss sein sollte. Während nun beim Abschiedskonzert ein dauergrinsender Politiker aus Meißen und seine Parteikollegin aus Annaberg-Buchholz sich unbeachtet in der Loge sonnten, richtete der Görlitzer Ministerpräsident (übrigens ein Mann, der die freie Rede noch beherrscht!) huldvolle Worte in Richtung Thielemann, Kapelle und Publikum. Kein »Sag’ zum Abschied leise Servus«, sondern ein deutliches »Auf Wiedersehen, Christian Thielemann« kam nun ausgerechnet von dem Mann, der das Adieu mit zu verantworten hat. Als Dank dafür – und für eine Abschiedsgabe mit wahrlich originellem Charakter: ein Dirigentenstab aus Meissner Porzellan, eingebettet in einem hölzernen Etui der Hellerauer Werkstätten – wurde er heftig an die Dirigentenbrust gepresst. Und durfte diese mahnenden Worte vernehmen: »Wenn man an der Kultur spart, das ist das Schlimmste!«
Da hat Christian Thielemann mal wieder nach vorn geschaut.