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Liebe kann so einfach sein

Jasmin Delfs (Ninetta), Mauro Peter (Prinz), Staatsopernchor. Foto: David Baltzer

Absurd und kultverdächtig: Prokofjews »Liebe zu den drei Orangen« an der Semperoper.

Warum spuckt ein Prinz schlechte Reime? Wie können Orangen in der Wüste wachsen? Wer ist Farfarello und warum pustet er Wind? Was macht Smeraldina unter dem Krankenbett? All das sind Fragen, die einem Besucher der Neuinszenierung »Die Liebe zu den Drei Orangen« an der Semperoper noch Tage nach der Aufführung ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Es ist ein fantastischer, ein zauberhafter Märchenabend, der hier in der Vorweihnachtszeit auf die Bühne gebracht wurde.

Sergej Prokofjew’s Werk ist zwar schon über hundert Jahre alt, es hat jedoch an seiner Würze und an seinem Aktualitätsbezug kein bisschen verloren. Die Geschichte wirkt auf den ersten Blick so, als hätte der Komponist gemeinsam mit den Musen von Bert Brecht, Dario Fo und einem Alkoholiker von der Berliner Schönleinstraße eines Nachts sehr viel LSD genommen, ihnen dann die FAZ vorgelesen und ihre Gespräche dazu aufgeschrieben. Das Irre dabei ist: er hat diesen Ideenschwall im Nachhinein nüchtern redigiert und in Form gebracht. Und zwar in was für eine! Das Ergebnis ist ein hochaktuelles, intelligentes, herrlich witziges Operntheater.

Die Story ist gespickt mit so vielen Bezügen, Querverweisen, kleinen Zwischentönen, dass wahrscheinlich drei volle Opernabende hierfür nicht reichen würden. Und trotzdem versteht sie auch der Opernneuling ohne Vorbereitung. Da gibt es den unheilbar kranken Prinzen, der nicht lachen kann (grandios in der lyrischen Höhe, schauspielerisch extravagant und ursympathisch: Mauro Peter), den ausgerechnet die Zauberin Fata Morgana, die ihm eigentlich den Tod wünscht, zum Lachen bringt (in ihrer Boshaftigkeit mal einschüchternd, mal herrlich komisch: Flurina Stucki). Der Prinz verliebt sich in drei Orangen, welche er aus der Palastküche von Kreonta entwenden muss. Sie werden bewacht von der Köchin (eine Absahnerpartie, die Taras Shtonda spielerisch und sängerisch zum verdienten, größten Bravosturm verhelfen). Diese wiederum fällt auf ein rosa Bändchen herein, welches Truffaldino, der Begleiter des Prinzen, von Tschelio, dem Zauberer und Beschützer des Königs bekommen hat. Der Raub gelingt; allerdings drohen die beiden Reisenden in der Wüste zu verdursten. Die drei immer größer werdenden Orangen schaffen da keine Abhilfe, denn sie verwandeln sich in drei Prinzessinnen, von denen zwar zwei an Wassermangel sterben, die dritte jedoch vom Prinzen am Ende geheiratet wird.

Dieser auf den ersten Blick völlig wirr wirkende Fiebertraum entfaltet auf der Bühne der Semperoper eine regelrechte Sogwirkung. Regisseur Evgeny Titov hat es geschafft, das absurde Verwirrspiel verständlich, unterhaltsam, dynamisch und herrlich komisch auf die Bühne zu bringen. Er hat sich in seiner Figurenführung ganz auf den Prinzen konzentriert und alle kleinen Details wie Edelsteine auf einem Collier um ihn herum platziert. Er greift dabei kenntnisreich die Ästhetik der Entstehungszeit auf: Der Zuschauer fühlt sich mal in einem überdimensionierten Rorschach-Test gefangen, mal auf Freuds Couch, mal in einem Film von Fritz Lang und im nächsten Moment wieder am Set von Babylon Berlin. Hier leistet das Bühnenbild von Wolfgang Menardi hervorragende Arbeit. Das Kostüm von Emma Ryott lässt die Figuren so herrlich überzeichnet und doch tragikomisch, fast wie aus einem Fellini-Film wirken.  

Das gesamte Solistenensemble begeistert in ihren Rollen. Georg Zeppenfeld ist als König stets eine sichere Bank. Aaron Pegram war eine Rolle lang nicht mehr so auf den Leib (und Stimmband) geschnitten wie dieser Truffaldino. Tilmann Rönnebeck gelingt ein Gründgens’scher Teufel und Valerie Eickhoff zeigt als Nicoletta, dass auch ein kurzer Auftritt und wenige Sätze reichen, um Zuschauer von sich zu überzeugen.

Georgina Fürstenberg (Smeraldina), Mauro Peter (Prinz), Aaron Pegram (Truffaldino), Georg Zeppenfeld (König Treff), Staatsopernchor, Komparserie. Foto: David Baltzer

Für noch mehr Absurdität in der Geschichte sorgen die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen und die Hohlköpfe, (allesamt Chor) die immer wieder ordnend in das Theaterstück eingreifen, sobald etwas ernsthaft aus den Fugen zu geraten scheint. Selten war der Chor auf der Dresdner Opernbühne so präzise choreografiert. Selten hatten die Beteiligten so viel Spaß an der Mischung aus Minions und Monstern, die sie spielen. Dazu: eine Staatskapelle, die von Eric Nielsen in Hochform mit viel Lust am Musizieren geleitet wurde. Dieser feine Pfad zwischen hoch komplexer klassischer Musik und einfachem Zirkus, den Prokofjew in seiner Partitur beschreitet, wurde von den Musikern elegant beschritten.

Am Ende gibt es tosenden Applaus und Bravi. Es sind auffällig viele junge Menschen, die schon während des Stücks lachen und am Ende begeistert klatschen. Und auch wenn, oder gerade weil, viele Fragen offen geblieben sind, lohnt es sich, diese Oper mehrmals zu sehen. Als wäre das noch nicht genug: Bei der Frühstückslektüre der FAZ, bei dem Blick in die ernsten Gesichter von Weltpolitik und Wirtschaftsbossen kommt einem, wie dem Prinzen, plötzlich das Lachen.  Dieses Stück ist vielleicht nicht die perfekte Medizin, aber eine gut gewählte Brille, um die Absurdität der Welt zu erkennen.

Wieder 20. Dezember; 2., 3. Januar 2025.

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