»Natur pur!« – ein Sonderkonzert der Kapelle mit ihrem neuen Chef
Ein Ausflug mit Daniele Gatti. Der Italiener wollte eigentlich den Dresdner Kulturpalast besuchen, schlenderte dann aber doch lieber über Feld und Wiese, an Bachläufen vorbei, Tiere beobachtend und belauschend, unerschrocken durch ein Gewitter, den Blick zum Himmel gerichtet, unterwegs mal summend, mal stumm vor Erstaunen. Da ist viel Strecke gemacht worden, es ging in die Umgebung von Wien – Heiligenstadt, Mödling, Nussberg -, Erinnerungen an den Attersee, an Klagenfurt und Toblach wurden wach. Dort stehen die berühmten Komponierhäuschen von Gustav Mahler.
Und dann kam er doch an am Pult im Dresdner Konzertsaal. Ein Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle mit dem immer noch neuen Chefdirigenten. Den Ton gab aber zunächst nur der Hornist Julius Rönnebeck an, denn er hat diesen Abend unter der Überschrift »Natur pur!« moderiert. Der Titel war Programm und angepriesen »für alle im Alter von 13 bis 99 Jahren«. Jüngere wurden auf jeden Fall gesehen, ob auch ältere im Kulturpalast zu Gast gewesen sind, war im nahezu ausverkauften Saal nicht auszumachen.
Rönnebeck, als sympathischer Moderator der Kapelle für Kids längst auch ein sachkundig überzeugender Unterhalter, stimmte zunächst auf sechs Lieder aus dem Zyklus »Des Knaben Wunderhorn« von Gustav Mahler ein, erzählte von dessen Komponierhäuschen, sinnierte darüber, ob ein Wunderhorn wohl wirklich Wunder vollbringen könne; das wäre gewiss ein Fest für jeden Hornisten! Ganz real fabrizierte er sich ein Wunder-Horn aus einem gelben Gartenschlauch und blies das denn auch an. Die Freude des Publikums war ihm gewiss. In einem kurzen Gespräch mit Bariton Markus Werba, der die ausgewählten Lieder anschließend mit Inbrunst interpretierte, wurde hingeführt auf die Inhalte der vertonten Gedichtsammlung Achim von Arnims und Clemens Brentanos.
Ob nach jedem einzelnen Lied Beifall und weitere Worte vonnöten gewesen wären, sei dahingestellt. Die Interpretation gelang – trotz hier und da unterschiedlicher Tempoansätze – durchweg berührend.
Nach der Pause wurde der »Natur pur!«-Spaziergang dann fortgesetzt mit der 6. Sinfonie Ludwig van Beethovens. Die »Pastorale« ist ja geradezu ein Meisterwerk der ländlichen, der landschaftlichen Bezogenheit. Während Julius Rönnebeck und Daniele Gatti noch über den Wert einer Auszeit vom hektischen städtischen Treiben fachsimpelten – zu Beethovens Zeiten nicht anders als heute –, sirrte das Läuten eines Mobiltelefons durch den Saal. Ein denkbar passender Anlass, um ad hoc darauf hinzuweisen, wie bekömmlich und wohltuend der zumindest vorübergehende Verzicht auf diese Geräte mal sein könnte. Im Konzertsaal haben sie jedenfalls nichts zu suchen, weder akustisch noch als allgegenwärtiges Fixativ von Momenten. Was der Mensch nicht mit seinen Augen sieht, wird er im Digitalen auch nicht besser erkennen.
Überraschungen gab es übrigens auch. Beethovens Sechste wurde exzellent durchbuchstabiert. Gemächliche Wandertempi, ganz ohne Eile, aber immer im Schwung. Dramatisches Wahrnehmen, sei es beim Blick in die Weite, sei es voller Demut vor der Natur. Mitreißend der Gewittereffekt, zu dem dann auch die Lichtregie an den Saalwänden gepasst hat. Mittendrin wieder Vogelgezwitsch von Klarinette, Oboe und Flöten. Wie eine Reminiszenz an Mahlers »Lob des hohen Verstandes«. Wer fühlt sich wohl berufen, als Esel mit großen Ohren zwischen Kuckuck und Nachtigall zu werten? Und wer musste sich anmaßen, dieses Konzert aus dem Parkett heraus zu stören und damit Hunderte von Menschen zu brüskieren, denen just ein solches Heranführen an klassische Musik in purer Natürlichkeit sehr zu Herzen ging?
Solche Spaziergänge sollten unbedingt fortgesetzt werden. Gern auch in die italienische Heimat von Daniele Gatti. Ottorini Respighis »Fontane di Roma« laden doch geradezu dazu ein. Und natürlich auch gern ohne störende Esel.