Gut Ding will Weile haben. Der Abend ist lang, Geduld ist gefragt, strapaziert wird sie nicht. Noch am Morgen danach fühlt der Betrachter sich belohnt und denkt in fröhlicher Verwirrung an sieben Varianten aufrechter Versuchen, dem eigenen Ich Bewegung und
Richtung zu geben. Umwege eingeschlossen. Bequeme, allzu eifrig gewählte Mittelwege gab es nicht.
Sieben mal erfinden die Studentinnen und Studenten ihre Märchen, Mythen und Legenden, nicht selten stehen sie dabei selbst auf der Spielfläche der Dresdner kleinen szene, einer Spielstätte der Staatsoper im Haus, wo einst Mary Wigman ihre Schüler unterrichtete. Noch sind die Fähigkeiten, Ideen und die Maßgaben des Raumes in Einklang zu bringen, oder die Dimensionen des Raumes bewusst zu brechen, unterschiedlich stark ausgebildet; den Herausforderungen gestellt haben sich alle.
Fotos (4): Palucca Schule Dresden
Mario Picardi Luna hat gemeinsam mit Cristian Cancani „Grimas“ entwickelt und macht den Anfang. Die beiden Tänzer ermessen den Raum, den sie klug durch zwei seitliche Wände begrenzt haben. Sie verändern die Grundlagen durch das Umstellen von unterschiedlich großen Holzkisten. Sie vermessen immer wieder ihre Verhältnisse zum Raum, dessen Veränderungsvarianten ihren Spielraum ausmachen. Sie ermessen die Verhältnisse zueinander, das führt zu interessanten Konstellationen und Hebebewegungen. Sie erkunden Passformen; dabei kann es sein, dass ein Tänzer umschwenkt und unvermittelt die Arme in kreisenden Bewegungen nach hinten wirft, dieweil der andere rasche Flügelschläge der Arme nach vorn probiert. Was in knallhellem Licht beginnt dunkelt sich ein bis zum Verlöschen mit dem Verschwinden der Menschen im Raum, deren Kleidung die Farbe der Wände annimmt. Eine Soundcollage, die Maschinenklänge suggeriert, wird gebrochen durch unverhofftes knappes Einbrechen gänzlich anderer musikalischer Welten.
„Hüt’ dich schön’s Blümelein!“, so eine aus der Totentanztradition entwickelte tanzspielartige Arbeit von Petra B. Stransky für vier Tänzerinnen als Vertreterinnen unterschiedlicher Lebensalter, einen Spielmann und dessen Varianten zu „Schnitter Tod“ für Einhandflöte, Drehleier und Harfe, die zu berührenden Bildvarianten findet.
Ziemlich skurriles Bewegungsmaterial mutet Michael Schmieder den Tänzerinnen Liron Noa Dinovitz und Vanina Schmieder zu in seiner Arbeit „Wer zuletzt frisst…“, die er mit ihnen einem so verdutzten wie amüsierten Publikum präsentiert. Verschmitzt spielen Schmieder und seine Kolleginnen mit etlichen Klischees bedeutungsschwerer Tanztheatertraditionen, sie widmen sich dem Umweltschutz in einer kleinen Müllzeremonie und scheitern an der Rettung der Menschheit, indem eine Tänzerin verdurstet und eine andere das Wasser in Plastetüten hortet. Alles platzt. Die eilfertig herbeieilende Spendensammlerin rutscht aus im Matsch.
Surreales Spiel…
Vanina Serra hat u.a. javanesischen Tanz studiert. Von daher könnten die Einflüsse auf ihre Bewegungsfantasie kommen, die sie in ihr bildreiches Spiel „Unter dem roten Schatten“ einbringt. In einem Feld aus roten Stäben zeichnet ein priesterlicher Mann in Schwarz eine Frau in Weiß mit einem roten Kreuz. Offenbar ein vernichtendes Zeichen. Gleiches geschieht einer weißen Mondsichelmadonna, und eine andere Madonna gerät in selbstmörderische, erotische Verzückung am Gerüst einer Guillotine, der das Tötungswerkzeug fehlt. Das surreale Spiel findet seinen Höhepunkt, wenn als Maria und Jesus gezeichnete Darsteller Max Ernsts heilige Züchtigungsszene andeuten; nur eben so, dass jetzt der Sohn die Mutter verdrischt.
Winterberg hat dazu eine Musikcollage gemixt, die mit Sounds und Geräuschen ebenso wie die Bildwelten durch ein traumartiges Labyrinth aus Ahnungen von Gewalt und Lust irren.
..und schon fast Dalí!
Was geschieht, wenn die Klugheit dem Stolz davon fliegt? Angeregt durch zwei Sätze von Friedrich Nitzsche hat Liron Noa Dinovitz ihre Arbeit „verURsuppen“ für Valentina Cabro und Michael Schmieder entwickelt, und beide begeben sich mit Lust und Humor auf die vertrackte Suche nach dem eigenen Licht, angemessenem Schuhwerk, eigenen Tönen und etwas, das tatsächlich satt macht. Eine abstruse Welt, wenn Brötchen zum Kopfschmuck werden und aufgefädelt zum Satansschwanz, wenn Brote wie Sauerstoffflaschen auf den Rücken geschnallt weder den Höhenflug noch das Abtauchen möglich machen.
Eine Sängerin, Madlen Stange, mit Peitsche und Befehlston.
Bewegungsintensiv: Miriam Welks Choreografie
Eine Tänzerin, Miriam Welk, wird zur Edelstute funktioniert. Ein Sound, Max Kirstein, der aufpeitscht und gnadenlos antreibt, Schreckschüsse, keine Gnadenschüsse. „phRasen der Dressur“, so die höchst existenzielle, bild- und bewegungsintensive Choreografie von Miriam Welk, die sie selbstausbeuterisch bis zur Erschöpfung durchrast. Ein Dressurakt in dem die Unterschiede zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Keine Flut von Bildern, dafür wenige, gut gewählt und sozial abgeleitet, etwa die Verwendung einer Strumpfhose als Zaumzeug. Am Ende, im Theaternebel, zu betörenden Vokalisen, könnte man fast für den Himmel halten, was die Hölle ist.
Valentina Cabro stellt „Wings in The Grass//: or She might have sold herself to the fog” mit Liron Noa Dinovitz und Irene Schröder vor. Sound und Klangmix von Thomas Kotzur, VideoBildmodulationen von Hector Solari. Eine beunruhigende Bildfolge, in der zwei Frauen sich am Boden wälzen und verknäulen. Unter ihnen die Projektionen von harter Erde mit verwehten Resten von Schnee, die sich blutig färben, und Rosen, die daraus erblühen. Aus dem Spiel der Bewegungen auf dahin rasenden Bildern wird ein Spiel der Sprache, Verstehen, Missverstehen, Anschluss, Abbruch. Neue Bilddimensionen versetzen die Frauen versteckt in Schilfzonen an neuen Ufern.
Am Ende des Abends der Eindruck, dass es an inneren Bildwelten, die mit äußeren Eindrücken korrespondieren den Studierenden unter der Leitung ihrer Professorin Jenny Coogan nicht mangelt. Verwendete Mittel der Körpersprache, die Organisationen der Bewegungsabläufe korrespondieren noch nicht in jedem Falle mit den Vorgaben der eigenen Fantasien, etwas mehr Tanz könnte insgesamt auch nicht schaden. Kleine Anmerkungen, die aber der insgesamt äußerst positiven Wahrnehmung ganz und gar nicht im Wege stehen.
Boris Michael Gruhl
Nächste Vorstellung: 18. Juni, 19.30 Uhr