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Sollten wirklich schon weit mehr als drei Stunden vorüber sein? Ja sagt der Blick auf die Uhr. Nein sagt das Gefühl. Wie im Fluge ist die Zeit vergangen. Geschenkte Stunden im Kleinen Haus
der Staatstheater, wo erneut Studierende der Dresdner Hochschulen für Musik und Bildende Künste zu einem Opernprojekt zusammenkamen, das sich gänzlich hören und sehen lassen kann.
Noch bis zum März nächsten Jahres gibt es dort eine Aufführung von Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, deren ästhetischer Reiz als so gelungenes, weil so authentisches studentisches Projekt von besonderem Charme ist. Gemeinsam mit den Inszenierungen der Semperoper und der Staatsoperette hat Dresden von den guten Dingen drei und das ist in diesem Falle wirklich gut so.
Ekkehard Klemm als musikalischer Leiter und Andreas Baumann als Regisseur setzen verantwortungsbewusst Grenzen und regen dazu an, innerhalb derer ein unwahrscheinlich hohes Maß an Freiheiten zu erkunden. Und das ist es, was diesen frisch und zügig dirigierten Abend mit den ungewöhnlichen aber mozartischen, energischen Akzenten des Cembalos im Hochschulorchester so kostbar macht: es ist der Geist der Freiheit, der hier im Theater weht und allen wohl tut. Nicht die Perfektion steht im Vordergrund, von verblüffenden Leistungen wird dennoch zu berichten sein, sondern Lust am Spiel, am Gesang, am Musizieren, am Gestalten einer zeitlosen Geschichte mit zeitgemäßen Mitteln einer so wachen wie sensiblen, vor allem begabten Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler.
Klar sind die szenischen Vorgaben von Sophie du Vinage, die als Grundlagen ihrer Bühne den Kreis und das Dreieck nutzt, ansonsten aber den Menschen Raum gibt. Eine Probe verschiedener Stile und Farben sind die Kostüme von Lisa Däßler. Sie mischt klare Formen mit Mitteln der Groteske, etwa beim bedauernswert verzweifelten Bilderbuchmonster des Monostatos des Christian Berger. Prinz Tamino ist ein blaublütiges Klischee bunter Blätter und fürchtet nichts mehr als die übermächtigen Schatten der drei Damen Jenny Stark, Jeanett Neumeister und Franziska Neumann als grelle Partyschlangen. Papageno ist ein liebenswerter Zeitgenosse mit rotem Bärtchen in roten Socken, an dem so gut wie gar nichts stimmt, die Schuhe trägt er an den Senkeln in der Hand, wenig nur unterm langen Mantel, der gegen Wind und Wetter schützt.
Drei komische Knaben aus der Luft, Aurelius Voigt, Friedrich Köpp und Franz-Gunter Huhn, können nicht von dieser Welt sein, wie sonst könnten sie zwei verzweifelten Menschen, Pamina und Papageno, kraft ihrer Zaubertöne das Leben retten. Ein Kind (Maximilian Krause) führt den blinden Priester (Thomas Skambraks). Weitere Priester sind Sie Hun Park und Sangsoon Cho. Die geharnischten Herrn Byeonghoon Chang und Daniel Müller singen ihren Choral unter übergroßen Köpfen, die sie später unterm Arm tragen.
Selten beherrscht Mozarts Zauberton seiner Oper das Geschehen so stark wie hier, denn alle Beteiligten geben sich mit Leidenschaft dieser Unlogik des Lebensspiels hin. Niemand unternimmt den Versuch, der krausen Dramaturgie etwas anzudichten oder mit der Selbstherrlichkeit eitler Regieeskapaden etwas zu erklären, was keiner Erklärung bedarf. Aller Zauber geht an diesem Abend von den Menschen aus. Beflügelt von der Musik und Schikaneders beinahe ungekürztem Text erzählt dieser Abend eine Vielzahl von Geschichten in denen Menschen auf der Suche nach sich selbst sind und nach dem Glück im passenden Gegenstück. Das ist zum Kugeln. Und das ist zum Verzweifeln, wenn nämlich das passende Gegenstück der verwitweten Nachtkönigin nicht mehr lebt, oder wie im Falle des zum Heulen einsamen Sarastro einfach nicht vorgesehen ist.
Sun Ah Jung steht ihre Businessfrau und setzt bei schlanker Tongebung doch besondere Akzente in beiden Arien. Philipp Brömsel mit ebenmäßig geführter lyrischer Bassstimme steht am Ende als emanzipierter Potentat einsam vor der menschenleeren Scheibe seiner Welt die für die aus dem Zuschauerraum jubelnden Untertanen wahrscheinlich viel zu menschlich geworden ist. Vorzüglich sind die Leistungen des Hochschulchores, voran die der Herren. Papageno und Papagena lassen es sich als Zuseher nach getaner Arbeit gut gehen, ging es uns doch zuvor wahrlich gut mit dem erfrischenden Gesang des flexiblen Baritons Georg Finger und dem fröhlichen Auftritt der Susann Reibeholz. Auch die beiden bewundernswerten Sänger Anja Zügner als Pamina und Manuel Günther als Tamino, nach bestem Bestehen aller Prüfungen und rasanter Meisterung der enormen Anforderungen ihrer Partien, haben sich auf und davon gemacht, keine Spur von ihnen in diesem Finale einer Inszenierung, die den Reichtum des Denkens durch die Reduktion der Szene ganz unangestrengt provoziert. Entsprechend herzlich, kräftig und begeistert ist der Beifall.
Boris Michael Gruhl
Weitere Aufführungen: 10., 13., 15. Juni, sowie ab November in der neuen Spielzeit.
Eine Textfassung des Artikels ist in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.