“Kein Entrinnen”: Donald Runnicles dirigiert noch zwei Mal den “Tristan” (Foto: K. Friedman)
Man schrieb den 7. Oktober 1989, die Premiere von Beethovens „Fidelio“ stand an der Sächsischen Staatsoper an. Man war gespannt, man hatte schon
einiges gehört, Stacheldraht solle auf der Bühne sein, am Ende gebe es eine Demonstration, der Chor sei das Volk und sehe auch so aus… Aber erst musste man über den Opernplatz zum Opernhaus gelangen! Die Menschen in Uniform und die in ziviler Tarnung waren nicht zu übersehen, die der Ordnung eines Staates, der seinen 40. und letzten Geburtstag feierte, noch dienten. Die Zahl derer aber, die nicht mehr dienen wollten und nicht mehr in vorgegebenen Sprechchören gratulieren, die wuchs. In Dresden und anderswo.
Und dann „Fidelio“, das Hohelied von der Zivilcourage einer Frau, die in einer wahrhaft abenteuerlichen Täuschungsaktion ein ganzes System von Mitläufern, Korruption und Machtmissbrauch und dessen kriminelle Energien vorführt. Der Ort ist ein Staatsgefängnis. Und das bei einer Musik, in der von Beginn an das Pochen derer, die ihre Solidarität mit denen da drinnen nicht aufgeben, den gut bewachten Frieden stört. Ob die Regisseurin Christine Mielitz mit ihrem Ausstatter Peter Heilein bei ihrer Inszenierung dieses beispielhaften Geschehens unterm Stern der Hoffnung, dass sie in eine allgemeine Hochsicherheitsarchitektur aus Beton und Stacheldraht verlegten, die Situation der DDR im Auge hatten, ist fraglich. Zu sehr weisen die Kostüme der Mächtigen in Richtung allgemeiner Unterdrückung und Unmenschlichkeit, vor der uns ja Beton, Stacheldraht und treu ergebene antifaschistische Wächter noch 33 Tage schützen sollten. Aber an diesem Abend hatte die Gegenwart ihren Weg ins Theater gefunden, was selten gelingt; da war für Momente die Straße auf der Bühne.
So aktuell war Oper selten. Das Publikum sah und hörte zurecht was es wollte, was zur Folge hatte, dass es beim Chor der Gefangenen aufstand und sich am Ende, wenn das Licht angeht, das Volk auf der Bühne und das Volk im Theater gegenüberstanden. Nach 20 Jahren, mit der 106. Vorstellung kommt dieser „Fidelio“ wieder auf die Bühne. Beim Chor der Gefangenen, grandios gesungen von den Herren des Opernchores, steht niemand mehr auf, dafür erhebt sich ein Teil des Publikums rasch nach dem gewaltigen Finale und strebt den Ausgängen zu. Ach nee, sagt eine Besucherin, den ganzen Abend Knast, das wolle sie in der Oper nicht sehen, aber man müsse schon froh sein, sagt eine andere, dass die Mauer weg ist, denn das muss ja schlimm gewesen sein damals, hier.
In der Wiederaufnahe steht Ulf Schirmer am Pult der Staatskapelle, stringent die Ouvertüre, aufsteigend, voran, harte Schläge, noch Einhalte, bevor sich jenes Tempo Bahn bricht, das der Einsicht entspricht, dass es ein „zu spät“ geben könnte. Noch einmal ergreifendes Ausharren beim Vorspiel zum zweiten Aufzug, und nicht aus dem Ohr zu bekommen, die wenigen Takte der Einleitung zum Quartett „Mir ist so wunderbar“. Allgemeiner hingegen manche Leistungen der Solistinnen und Solisten zwischen oratorischer Statuarik und bremsendem Pathos in den Dialogen. Jugendlich im Klang, mit lichten Höhen, Klaus-Florian Vogt als Florestan; Eva Johansson, die Leonore als Fidelio in Männerkleidern gestaltet ihre Partie kraftvoll. Als Einspringer für Jochen Schmeckenbecher gibt Eike Wilm Schulte den Pizarro, Michael Eder ist der opportune Kerkermeister Rocco. Markus Butter, gewandt im Auftritt und im Gesang könnte als Minister, schon ganz gut das Bild eines eilig gewendeten Politikers abgeben. Zwei Menschen aber gehen wahrhaft leer aus in diesem Stück. Marzelline und Jaquino, Ute Selbig heute wie in der Premiere, differenziert im Gesang, angemessen im Spiel, sicher im Dialog und Timothy Oliver, der beflissene Pförtner mit dem flinken Tenor und dem unprätentiösen Spiel. Die Begegnung mit diesen „Verlierern“ wird zu einem Gewinn dieses Opernabends, zu dessen Erfolg die Damen und Herren des Chores, gemeinsam mit dem Sinfoniechor wesentlich beitragen.
Nach der Vorstellung ist der Opernplatz umstellt. Mehr als 20 Reisebusse lassen die Motoren laufen. Zur Freiheit, zur Freiheit!
Das Außergewöhnliche, es war auch am anderen Abend zur Wiederaufnahme von “Tristan und Isolde” zu spüren. Inszenierung wie Bühnenbild stammen von Marco Arturo Marelli, und haben inzwischen fast vierzehn Nachwende-Jahre auf dem Buckel. Es ist die Musik, die einen sofort wieder in Bann schlägt… Mit dem Einsatz der Violoncelli, deren aufsteigender Bewegung, dann wider absinkend als milder Seufzer, das Einsetzen der Holzbläser, der berühmte dissonante Akkord, keine Ruhe, keine Auflösung, keine Entspannung. Donald Runnicles führt uns mit den Musikerinnen und Musikern der Staatskapelle bei seinem ersten Dresdner Operndirigat sofort in den Sog der beunruhigenden Tristan-Musik. Kein Entrinnen. Wir kommen wieder einmal aus dem Staunen nicht heraus. Da gibt es verlöschende Passagen, bis ins allerzarteste pianissimo geführt, dann wieder eruptive Szenen, glühend und berstend, Erregungszustände, flatternd nach dem Verklingen ferner Hörnerklänge in der Einleitung zum zweiten Aufzug mit dem nachttrunkenen und weltentrückten Liebesduett und König Markes großer Klage. Dumpf und hoffnungslos die Seufzer des Orchesters im letzten Vorspiel, überraschend dann aber die Passagen der Violinen, die schon entrückt aufzusteigen scheinen, und wieder zarte Sehnsucht, Horn und Cello und ein Klangbild intimster Zweisamkeit zweier Hörner. Die Staatskapelle spielt ihren Wagner, wir sind dabei, es ist ein Privileg.
Ausnahmslos überzeugend sind die Leistungen der Solistinnen und Solisten, beginnend bei den wunderbar singenden Herren Gerald Hupach, Matthias Henneberg und Martin Homrich in den sogenannten kleineren Partien als Hirte, Steuermann und Seemann. Dass sich im Gesang Christoph Pohls in der Partie des Melot Größeres ankündigt, ist unüberhörbar. Boaz Daniel, mit jungem und kernigem Baritonklang ist der neue Kurvenal. Janina Baechle mit ihrem fulminanten Mezzosopran hat als Brangäne ihre besondere Szene im zweiten Akt als mahnende Wächterin, wenn sich der Klang ihrer Stimme aus der Höhe des Opernhauses herab verströmt. Jan-Hendrick Rootering weiß die Tragik König Markes zu vermitteln. Alfons Eberz hat in der mörderischen Partie des Tristan bezwingende Momente, seine dramatische Gestaltung im fiebernden Wahns des Sterbenden im dritten Aufzug kann man nur voller Bewunderung zu den großen Opernerlebnissen zählen.
Dass Evelyn Herlitzius eine Garantin für spannendes Musiktheater ist wussten wir; dass sie eine hochdramatische Isolde von besonderem Format und Anspruch ist, wissen wir jetzt. Ihr Dresdner Debüt in dieser Partie gestaltet sich zum bejubelten Triumpf nach atemberaubenden Szenen des genau akzentuierten Spiels und ihres Singens mit den Facetten der Leidenschaft. Wagners „Weltatem“, von dem Evelyn Herlitzius zum Finale im „Liebestod“ singt, der vom Ensemble, der Staatskapelle und vor allem von Donald Runnicles an deren Pult ausgeht, wehte lange nicht so stark durch die Semperoper.
Boris Michael Gruhl
(Unter Verwendung eines Textes, der am 20.2. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen ist. Wir danken dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung.)
Weitere Aufführungen:
“Fidelio”: 24. und 26.2., jeweils 19 Uhr
“Tristan und Isolde”: 25.2., 18 Uhr, und 1.3., 17 Uhr.