Marcus Günzel
Unlängst in der Titelrolle des »Boccaccio« gefeiert, ist Marcus Günzel – alternierend mit Chris Murray – fortan auch als Dr. Jekyll und Mr. Hyde an der Staatsoperette zu erleben. Dem Publikum der
Premiere am Samstag gefiel neben der erstklassigen schauspielerischen und sängerischen Leistung Femke Soetengas (Lucy) vor allem Günzel: unzählige Hurras, Bravos und begeisterte Pfiffe schallten dem Bariton aus dem Saal entgegen; das Publikum schoss mit dem letzten Ton wie ein Mann aus den Plüschsitzen, trampelte und johlte. Mission geglückt…
Marcus Günzel, ehemaliger Kruzianer, hat an der Dresdner Musikhochschule studiert. Über einen Musicalkurs kam der Sänger eher zufällig zum Fach; bereits während seines Aufbaustudiums debütierte er in Webbers »The Beautiful Game« am Haus und ist seit 2005 festes Ensemblemitglied in Leuben. Die wahrlich “stimmenmordende Rolle” (Wolfgang Schaller) des Mr. Hyde füllt Günzel mit schauspielerischer Lust aus. Beim stimmlichen Ausformen der dunklen Seite der Macht blitzt bis zuletzt auch die angenehme, sehr melodiöse Stimme des jungen Dr. Jekyll durch die rauhe, wilde und ungeschliffene Art seines Alter Egos. Einfach cool, wie Marcus Günzel dieses tragisch unzertrennliche Charakterpaar mit sich ringen läßt, mal dem einen, mal dem anderen deutlichere Konturen verleiht.
Die neue Inszenierung Winfried Schneiders kommt zwar ohne jede Ironie, jede Brechung aus, aber die vermisst an diesem Abend offenbar niemand. “Look behind the façade” – in der stellenweise schrecklich dämlich übersetzten Fassung des Broadway-Hits (Susanne Dengler) heißt es hier “Hinterschau’ die Fassad’!” – das ist Schneiders Wille nicht. Stattdessen bietet er Musical-Szenenfolgen vom feinsten: in opulenten, kinohaften Bildern, mit großartigen Choreographien und klarer Figurenführung. Es dauert zwar eine Weile, bis alle Sänger Tritt fassen – das erste Drittel des Musicals gerät noch etwas hölzern – aber dann beleben sich die bis dahin wächsernen Figurengruppen, dann scheint es fast, als tanzten sogar die düsteren Ziegelwände anmutig umeinander. Liebenswert auch, wie Ella Späte den Chemiebaukasten des jungen Arztes blubbern und dampfen lässt, wie stimmig eine einzelne Bahnhofsszene eingefangen ist, wieviel Sorgfalt jede noch so kleine Szenerie, jedes einzelne Kostüm ausstrahlt.
Fotos (2): Kai-Uwe Schulte-Bunert
Schließlich wird sogar die bisweilen arg epigonal-klischeehafte Musik des Amerikaners Frank Wildhorn von Bild zu Bild flüssiger, gewinnt an Stil und Charakter. Einzelne Soli (Violine, Bratsche, Violoncello) geben den sonst ach so deutlich nach Andrew Lloyd Webber schielenden Passagen eigene Farben. Der Rest der Songs plätschert entweder in sämiger Schlagzeugbegleitung sanft dahin oder steigert sich, von Kapellmeister Andreas Henning munter angefeuert, ins Karacho. In dem Moment, da sich Dr. Jekyll vor dem Traualtar grauenhaft verwandelt, kann man nur bang den Atem anhalten – und schreckgeweiteten Auges die letzten Zuckungen der doktoralen Hybris verfolgen. Solche Momente, in denen auf einmal die ganze Welt des Musicals ächzend aus den Fugen ist, in denen sich verruchte Lust in zuckende Angst und ärztliche Fürsorge in sanfte Zuneigung wandeln – das macht das gesamte Ensemble sehr schön erlebbar. Beinah so überzeugend – möchte man vorschlagen – dass die nächste Vorstellung in Originalsprache stattfinden könnte. Das bisschen Handlung erklärt sich doch völlig von allein…
Martin Morgenstern
Nächste Vorstellungen:
27., 29., 30., 31. Januar; 16., 17., 19., 20. Februar; 26., 27., 28. März, 16. Mai.
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