Vor zwölf Jahren überzeugte der Dresdner Hornist Markus Rindt den Schlagzeuger Sven Helbig von der Idee, ein Orchester zu gründen, das thematisch geschlossene Programme
mit zeitgenössischer Musik aufführen würde. Wie die Dresdner Sinfoniker das wurden, was sie heute sind – ein vor Ideen sprühendes Orchester mit flachen Hierarchien – darüber haben die beiden Orchestergründer mit Martin Morgenstern gesprochen, bevor morgen das mit Spannung erwartete erste Ferndirigat der Welt stattfindet.
Sven Helbig, Markus Rindt, wie gründet man eigentlich ein Orchester?
Sven Helbig: Eher nebenbei. Ich hatte gerade mein Studium als Schlagzeuger an der Dresdner Musikhochschule abgeschlossen und war damals besessen davon, nach New York zu fahren und dort zu musizieren. Daneben interessierte ich mich aber auch für Orchestermusik, für Oper. Da Markus Rindt einen Schlagzeuger für seine Band suchte, haben wir uns oft getroffen und – gemeinsam mit dem Bassisten Tom Götze – nach und nach in größere Projekte eingefühlt und eingedacht. Dann nahm die Geschichte einfach einen unerwarteten Verlauf: um das Publikum für zeitgenössische Musik zu gewinnen, mussten Programme thematisch zurechtgeschnitten werden. Obwohl mein Lebensplan eigentlich nicht vorsah, ein Orchester zu gründen, war ich plötzlich mittendrin.
Markus Rindt: Am Anfang war es natürlich ein Projekt, da denkt man ja nicht sofort an eine Institution. Ich hatte mir überlegt: Wir kennen so viele klassische Musiker in ganz Deutschland… Laßt uns doch ein Orchester mit jungen Leuten auf die Beine stellen, die verrückte Musik machen, die die anderen Orchester nicht aufführen. Daraufhin habe ich mich ans Telefon geklemmt und Kollegen angerufen. Die ersten Reaktionen waren: “Gut, ich mache mit! Auch für ganz wenig Kohle…” Und da hab ich solange rumtelefoniert, bis es genug waren. Wir haben sogar Lord Yehudi Menuhin ins Boot holen können. Ich habe ihm von dem Projekt erzählt, er fand es wunderbar und bot seine Schirmherrschaft an. Bis zu seinem Tod im März 1999 hat er viel für das Orchester getan, Empfehlungen geschrieben, Interviews gegeben…
Wie muss man sich die ersten Monate praktisch vorstellen?
Markus Rindt: Die Planung des ersten Konzerts geschah quasi im luftleeren Raum. Wir hatten nichts, kein Büro, kein Handy, keinen Computer. Sven hat dann ein Büro im Art-Forum an Land gezogen, das wurde gesponsert. Wir hatten dort einen Tisch, ein Stempelkissen, einen Stempel und ein Telefon, und nach und nach kam der Rest. Wir beschlossen, zuerst einen Testlauf mit 40 Musikern zu machen. Zu unserem “1. Kammerkonzert” in der Dresdner Annenkirche haben wir Minimal Music gespielt. Michael Helmrath, damals Solo-Oboist der Münchner Philharmoniker, hat spontan mitgemacht. Durch den Riesenerfolg dieses Konzerts waren wir sehr ermutigt. Wir haben dann den Kulturpalast gemietet und im Juli 1998 mit 120 Musikern aus ganz Europa unser “Debüt-Konzert” gegeben. Die Leitung hatte Jonathan Nott, der heute Chefdirigent der Bamberger Symphoniker ist.
Der Große Saal des Dresdner Kulturpalastes hat knapp 2500 Plätze. Hat man euch nicht für verrückt erklärt, als eure Pläne bekannt wurden, dort ein Sinfoniekonzert mit zeitgenössischer Musik aufzuführen?
Markus Rindt: Vielleicht haben wir anfangs einfach Glück gehabt. Am Tag vor dem Konzert hatten wir 150 Karten verkauft. Dann kündigten uns die Tagesthemen als “Wunder von Dresden” an. Am Abend des Konzerts verkauften wir zweitausend Karten! Es war eine logistische Ausnahmesituation, die Mitarbeiter der Konzertkasse haben sicherlich Nerven gelassen.
Die unvermeidliche Frage: wie finanziert sich das Orchester? Steht am Ende eine schwarze oder eine rote Null, oder doch größere Beträge?
Markus Rindt: Quasi alle Gelder, die wir in der Anfangszeit als Musiker in anderen Orchestern oder Bands verdienten, flossen in Miete, Porto und die Vorfinanzierung der “Sinfoniker”-Projekte. Insgesamt haben wir über die Jahre schon unheimlich viel Geld gelassen. Wenn wir selbst der Veranstalter waren, gab es schon mal Zeiten, wo wir mit 10.000 Euro zuwenig dastanden. Wir hatten dann immer das Glück, dass wir Spenden bekommen haben, aber Geld verdient haben wir eigentlich nie.
Die ersten Projekte haben die Musiker kostenlos gespielt; sie bekamen ausschließlich die Fahrtkosten, eine private Übernachtung und liebevolles Catering, das Freunde organisiert haben.
Die Herangehensweise war von Anfang an: die Musiker, die bei den “Dresdner Sinfonikern” mitspielen, sollten neue Musik auf allerhöchstem Niveau bieten. Deshalb habe ich auch nicht davor zurückgeschreckt, Kollegen der Berliner Philharmoniker oder Wiener Philharmoniker anzurufen. Es ist ja immer so: man kennt jemanden, der jemanden kennt… Wenn die nicht selbst kamen, haben sie Kollegen vermittelt. Schwieriger ist es, Freiberufler zu binden. Aber Hierarchien zwischen den Musikern gibt es nicht. Immer wieder sind auch Studenten dabei, denn viele der langjährigen Mitglieder unterrichten selbst. So wächst der “Pool” des Orchesters weiter und weiter. Und soll ich Ihnen noch etwas verraten? Über uns gibt es auch schon einige Eheschließungen…
Mittlerweile kenne ich über tausend Musiker. Es gibt einen richtigen Stamm. Man kann also nicht davon sprechen, dass das Orchester immer wieder neu aussieht – es hat inzwischen ein klares Gesicht. Wenn die Leute dann zusammenkommen, gibt es ein großes Hallo… Da ist keiner, der “Dienst” macht. Und den meisten sind die Stücke vorher unbekannt! Ich schicke zwei Monate vorher die Noten herum und kann auch sicher sein, dass alle geübt haben.
Es hat eine ganz andere Atmosphäre als das normale Orchesterspiel. Mit Brahms- oder Beethoven-Repertoire würde das gar nicht funktionieren. Die Musiker spielen bei uns, was sie im Dienst nie spielen, und erweitern so ihren Horizont. Viele Musiker geben die “Dresdner Sinfoniker” inzwischen als Referenz an, wenn sie sich bewerben.
Und die öffentliche Förderung?
Am Anfang hat die Stadt Dresden uns kaum beachtet. Beim ersten Konzert haben wir 500 Mark Projektzuschuss bekommen! Inzwischen hat sich die institutionelle Fördersumme immerhin auf 30.000 Euro pro Jahr gesteigert, aber man muss immer wieder drum kämpfen. Es ist nun zum ersten Mal so, dass ich eine Art halbe Stelle habe. Ich habe mein Horn an den Nagel gehängt und will mich in Zukunft ausschließlich dem Orchester widmen. Mein Ziel ist, dass ich irgendwann Kollegen einstellen kann, beispielsweise für die Pressearbeit. Mein Traum wäre es, das Orchester so zu etablieren, dass es auch ohne mich bestehen könnte.
Die Konzerte der Dresdner Sinfoniker sind Gesamtkunstwerke, vereinen Musik, Lichtinszenierungen, erzählen Geschichten…
Sven Helbig: Wir haben von Anfang an versucht, nicht nur stimmige Konzertprogramme zu entwerfen, sondern die Ereignisse einem Thema unterzuordnen. Die Konzepte zogen von der grafische Gestaltung bis zur Lichtgestaltung einen weiten künstlerischen Bogen. Ein erster Höhepunkt dieser thematischen Arbeit war das Projekt “Musik aus Tadschikistan, Aserbaidschan, Georgien & Armenien”, das sehr gut angenommen wurde. Wir haben auch gezielt Kompositionsaufträge vergeben und passende Orte gesucht, um unsere Ideen so schlüssig wie möglich zu inszenieren.
Markus Rindt: Wir hatten und haben viele Ideen; aus der Einmaligkeit des ersten Projekts entsprangen unzählige Visionen für die weitere Arbeit. Grundsätzlich spielen wir, was uns gefällt –
glücklicherweise deckt sich da unser Geschmack mit dem der Musiker und unseres Publikums. Musiker mögen keine Musik, die mit dem Rechenstab entworfen ist. Das ist natürlich auch eine Gratwanderung – wo wird es zu populistisch, zu populär? Es ist uns bisher ganz gut gelungen, das auszupegeln. Dass das Publikum die Namen auf dem Plakat nicht kennt, ist inzwischen nebensächlich. Das ist wie bei einem Regisseur, dessen Inszenierungsstil das Publikum vertraut.
Den Beginn des Jubiläumskonzerts wird der Gründungsdirigent Michael Helmrath per Satellit vom Londoner Themse-Ufer aus leiten. Wie habt ihr das Problem mit der Zeitverzögerung bei der Übertragung gelöst?
Markus Rindt: Nun, es gibt eine Satellitenübertragung. Zu Beginn des Konzerts – hier um acht, in London um sieben – werden wir das Big-Ben-Geläut in den Saal übertragen. Ruprecht Eser, der ehemalige Moderator des heute-journals, wird per Liveschaltung aus London anmoderieren. Dann tritt Michael Helmrath dort vor die Kamera – und dirigiert für die Augen der Londoner einen Leierkastenmann. Bei der Probe sind die Leute noch nicht mal stehengeblieben – sie sind einfach weitergegangen. Helmrath und der Orgelspieler haben keine Rückmeldung über das, was in Dresden derweil passiert. Den Rest des Programms, u.a. Uraufführungen von Torsten Rasch und Enrico Chapela, leitet dann der Dirigent Olari Elts.