Zunächst war der neue Maestro da. Fabio Luisi kam aus Leipzig vom Sinfonieorchester des MDR und wurde zum Generalmusikdirektor in Dresden erkoren. Unübersehbar. Nicht nur dass er uns von nahezu allen Plakatsäulen und Werbeflächen der Haltestellen ansah, nein: zu seiner Inthronisation
war auch der ganze Platz vor der Semperoper geschmückt mit Fotos, die die Gattin vom ganzen Gatten, oder auch nur von seinen nackten Füßen gemacht hatte. So gut, wie ein ebenfalls aus Leipzig gekommener Marketingstratege sich das gedacht hatte, kam das leider nicht an und ein Jahr später ist es sogar dem Maestro selbst peinlich. Hier und da erblickt man immer noch ein Banner, das uns verheißt, der neue Maestro bringe uns die alten Meister ganz neu zu Gehör.
Fabio Luisi (Fotos: M. Creutziger)
Da war man natürlich sehr gespannt, wie er das machen würde. Und vielleicht war die Anspannung auf beiden Seiten zu groß anlässlich der ersten Opernpremiere unter der Leitung von Fabio Luisi. Überwältigend war die Zustimmung nicht, die er nach seinem Dirigat von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ erhielt. Mit der Sicht des Regisseurs Claus Guth, dem es darum ging, Bilder von deutschen Tag- und Nachtseiten zu zeigen, der sogar die ganze schöne deutsche Meistersingerwelt auf den Kopf stellte, die Brutalität gegenüber einem Außenseiter wie Beckmesser auch blutig zeigte, mochte sich das Premierenpublikum auch nicht so recht anfreunden. Luisi kreidete man zu forsche Tempi und vor allem zu lautstarkes Musizieren an. Jede pauschale Ablehnung verrät Bequemlichkeit des Betrachters, so auch hier. Das szenische Konzept von Claus Guth ist ebenso der fairen Auseinandersetzung wert wie die möglichen musikalischen Reaktionen des Dirigenten darauf.
Erfolge anderswo, verpasste Chancen hier
Die ganz großen Erfolge der Saison feierten die Staatskapelle und das Opernensemble mit ihrem Chef in weiter Ferne, in Japan. Auf gewisse Weise gelang mit der verunglückten Übernahme einer älteren Operettenproduktion aus Paris in Dresden doch noch ein Erfolg. Nachdem so gut wie kein gutes Haar an der Inszenierung „Die Lustige Witwe“ blieb, es Verrisse in der Presse und im Rundfunk hagelte, wuchs bei etlichen, die nicht dabei waren, die Lust, mit eigenen Augen zu sehen und selber zu hören, was sich da lustlos über die Bühne der Dresdner Oper ergoß. Natürlich kam das Publikum, natürlich gab es in den Repertoirevorstellungen auch keine Missfallensbekundungen, aber an der Semperoper wurde gerade mit einem so populären Werk eine enorme Chance verpasst. Hier hätte man vielleicht sogar international auf sich aufmerksam machen können, hätte man ein aktuelles und vor allem überraschendes Konzept gefunden, mit dem Genre Operette in der Oper umzugehen.
Gekrönter Mut und anerkannte Qualität mit Dresdner Traditionen
Ganz anders, als im Februar dieses Jahres nach über achtzig Jahren Othmar Schoecks Einakter „Penthesilea“ nach Heinrich von Kleists Trauerspiel auf die Bühne der Uraufführung zurückkehrte, wurde die Bereitschaft zum Risiko belohnt. Dem sensationellen Premierenerfolg schlossen sich bejubelte Folgeaufführungen an, und als das Stück zum Ende der Saison noch einmal gegeben wurde, tobte das Publikum wie in einer Premiere. Hier kamen wahrhaft glückliche Fügungen zusammen. Da ist das schlüssige Konzept des Regisseurs Günter Krämers auf Jürgen Bäckmanns fast leerer Bühne. Mit Iris Vermillion gewann man eine Ausnahmekünstlerin für die Gestaltung der mörderischen Titelpartie, deren so expressiver wie verletzlicher Gestaltung man sich schwer entziehen kann. Mit ihr, die sich Töne tiefsten Leids abringt und in zärtlicher Verzückung verhaucht, agiert ein ausnahmslos grandioses Ensemble samt Chor und Staatskapelle unter der Leitung von Gerd Albrecht.
Iris Vermillion
Die Damen und Herren der Staatskapelle geben Schoecks spröden Klangflächen die Aura des Unwiderstehlichen, sie liefern sich dem Pathos der mit antiker Wucht alles überrollenden Partitur aus; das Maß aber, und auch die Distanz, verlieren sie nie.
Für die kommende Saison sind drei Aufführungen vorgesehen, am 27. & 29. März, am 1. April. Da dürfte noch ein anderes Werk, das am 15. März 2009 am Uraufführungsort auf die Bühne kommt, in korrespondierender Erinnerung sein. Mit Fabio Luisi am Pult inszeniert Philipp Himmelmann „Cardillac“ von Paul Hindemith, in der Originalfassung der Dresdner Uraufführung von 1926.
Dem Neuen und dem Seltenen eine Chance, und eine zweite bitte auch
Dem Werk des frühen zwanzigsten Jahrhunderts folgt am 1. Juni eins des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Hans Werner Henzes deutsches Lustspiel
„L’ Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“, 2003 in Salzburg uraufgeführt, wird in Dresden inszeniert. Eine ungewöhnliche Dimension dürfte auch nach sehr langer Abstinenz slawischer Opern die Inszenierung des „Boris Godunow“ von Modest P. Mussorgski, mit René Pape in der Titelpartie, die für den 17. Dezember 2008 geplant ist, in das Dresdner Opernrepertoire bringen.
In der abgelaufenen Saison wurde auch dem Neuen eine Chance gegeben. Als Auftragswerk verfertigte Manfred Trojahn mit dem Autor Christian Martin Fuchs das Stück „La Grande Magia“ nach der Komödie des Italieners Eduardo de Filippo. Die „Szenen über die gedehnte Zeit“, so der Untertitel, gerieten zu einem gedehnten Abend, den man am 4. & 7. September noch einmal erleben kann.
»La Grande Magia«
Die beiden uraufgeführten Kammeropern in der kleinen szene waren schnell wieder verschwunden. Das ist schade, zumal das schon bald nach den Premieren im Dezember des letzten und im April dieses Jahres geschah. So streitbar die Angebote sein mögen: Stefan Weirauchs Auseinandersetzung mit Daniil Charms’ absurdem Trauerspiel „Elisaveta Bam“ und Ensun Lees Musiktheater „Vorfall in Kwangju“ hätten größeres Interesse verdient, zumindest die Erprobungsphase der Entwicklung bei Wiederholungen vor unterschiedlichem Publikum.
Für die kommende Saison ist bisher nur die Uraufführung eine Szenenfolge für drei Personen unter dem Titel „Zueinander“ von Jörg Milbradt mit der Musik von Jörg Herchet, am 6. März 2009, vorgesehen. Und dann ist Eile für Interessenten geboten, denn die letzte der fünf Aufführungen ist schon zehn Tage später.
Rossini und Verdi, mit und ohne Stars
Zwei italienische Dauerbrenner sind Rossinis komische Oper „Il Barbiere di Siviglia“ und Verdis Drama „Rigoletto“. Rossini gab’s als Übernahme aus Zürich in einer gästefreundlichen, leicht konsumierbaren Inszenierung von Grischa Asagaroff, an deren ästhetischer Wirkung der Zahn der Zeit kräftig genagt hat. Für die Dresdner Premiere gab Vesselina Kasarova noch einmal die Partie der Rosina unter der Leitung des Rossini-Spezialisten Riccardo Frizza. Er wird sich in der kommenden Saison das Dirigat mit Fabio Luisi und Alexander Joel teilen. Sangmin Lee, erster Preisträger des Competizione dell´ Opera 2007, gibt im Februar und im März kommenden Jahres sein Debüt als Figaro, Antigone Papoulkas aus dem Dresdner Ensemble singt die Partie der Rosina.
Zur letzten Premiere der Saison trat der Maestro wieder selbst an das Pult. Eine Starbesetzung war angekündigt, Preisaufschläge mit Rückgaberecht, falls der Star unpässlich sein sollte. War er nicht, die günstigsten Karten auf der Bank im vierten Rang kosteten 25,50 €.
Diana Damrau, Juan Diego Floréz
Juan Diego Floréz sang die Partie des Herzogs in Verdis Oper „Rigoletto“ und überzeugte nur bedingt. Das Publikum erkor sich Diana Damrau als Gilda zur Favoritin ob ihrer stupenden technischen Brillanz und ließ sich zutiefst berühren von der Gestaltungskunst des Baritons Zeljko Lucic in der Titelpartie.
Ganz Italienisch auch die erste Premiere der nächsten Saison. Fabio Luisi dirigiert die ersten drei Aufführungen von Verdis „Il Trovatore“ mit Carl Tanner in der Titelpartie und Roberto Frontali als Graf von Luna. Da darf man gespannt sein. Ende Januar 2009 dann eine neue „Tosca“, am Pult Marco Guidarini, die Protagonisten, Emily Magee als Tosca, Alexandrs Antonenko und Lucio Gallo als Cavaradossi und dessen Todfeind Scarpia.
Das Seltene und das Besondere
Es ist zur Tradition geworden, Opern, deren musikalischen Reichtum man schätzt, deren szenische Realisierungen aber nicht unbedingt geboten wären bzw. so hohe Ansprüche an einzelne Gesangspartien stellen, dass eine Repertoireplanung unmöglich ist, konzertant aufzuführen. Die Fans des Belcanto bereiteten Edita Gruberova einen triumphalen Empfang, als sie ihre Schicksalspartie „Lucia di Lammermoor“ nun endlich auch in Dresden sang. Fragen des persönlichen Geschmacks oder sonstiger Animositäten treten angesichts einer dermaßen fulminanten Leistung der Primadonna in den Hintergrund.
In dieser Saison kommen die Liebhaber der tieferen Frauenstimme auf ihre Kosten. Daniela Barcellona singt in drei konzertanten Aufführungen die Partie der Leonara in Gaetano Donizettis „La Favorita“ mit Ricardo Frizza am Pult der Staatskapelle.
Die Freunde des Liedgesanges wurden in dieser Saison regelrecht verwöhnt: Soile Isokoski, Violeta Urmana und Diana Damrau gaben jeweils wunderbare Liederabende, etwas launig geriet der Duettabend mit Dorothea Röschmann und Magdalena Kozena. Weil Diana Damrau zunächst krankheitshalber ihr Konzert verschieben musste, kamen die Dresdner und ihre Gäste in den Genuss eines besonders intensiven und von der Persönlichkeit der Künstlerin getragenen romantischen Liedprogramms. Iris Vermillion, die gefeierte Penthesilea, präsentierte sich ganz unblutig, aber nicht weniger verletzlich. Seltene Momente musikalischer Intensität. Stillstand und momentane Atemlosigkeit. Für die neue Saison sind Camilla Nylund, Anja Harteros, José van Dam, Sophie Koch und, total romantisch mit Schubert und Schumann bei Harfenbegleitung, Bo Skovhus, angekündigt.
Vor allem das alltägliche Privileg
Premieren, Sonderkonzerte, Gastspiele: das sind zwar die Höhepunkte einer Opernsaison in der öffentlichen Wahrnehmung, der Alltag aber sind sie nicht. Der Opernalltag, das sind die Aufführungen im fast täglichen Repertoire, und dieses Repertoire ist in Dresden sehr umfangreich. Vierzig Inszenierungen, die Ballettproduktionen nicht mitgezählt, komplettieren mit denen, die zur Premiere kommen, den so abwechslungsreichen wie anspruchsvollen Spielplan. Die Semperoper, das Dresdner Kraftwerk der Gefühle kennt keinen Stillstand. Der allabendliche Gefühlsrausch, barock, klassisch, romantisch oder gemäßigt modern, funktioniert zuverlässig. Die Klänge der Staatskapelle suchen selbst an Abenden, die unter ungünstigen Umständen – oftmals sehr menschlichen Ursprungs – vonstatten gehen müssen, weithin nach vergleichbarer Qualität.
Das Opernhaus im Zentrum Dresdens wird in der kommenden Saison für fast 350 Veranstaltungen dem Publikum die Tore öffnen. Mit Opernaufführungen, Balletten und Konzerten werden die Grenzen des Alltäglichen überschritten, öffnen sich Fenster im Horizont des Gewöhnlichen.
Boris Michael Gruhl