Natürlich freut sich ein Konzertveranstalter, wenn ihm eine besonders schlüssige Dramaturgie gelingt. In manchen Fällen kann aber auch das Experiment interessant sein, gegensätzliche Werke und Bezüge aufeinanderprallen zu lassen, um durch die ungeahnte Wirkung den Horizont zu erweitern. Mit der Konzertreihe "Spiegelungen" der Sinfonietta Dresden in der Dreikönigskirche werden diese Experimente zum Programm: eine Haydn-Sinfonie gesellt sich zu einem neuen sächsischen Werk und einem weiteren zeitgenössischer Provenienz, das "an den Rändern Europas" entstanden ist.
Und auch diesmal wieder schärften die neuen Werke das Bewusstsein für die Modernität des Hofmusikers der Esterházys und in den beiden neuen Kompositionen war natürlich jede Menge Tradition zu entdecken. Der wagemutige Flug durch Europa begann diesmal in Sachsen, führte über die Bretagne nach Estland und über Österreich zurück nach Frankreich. Einen Jetlag bekam man davon nicht, aber in Helena Tulves "Stream" war zumindest ein unaufhörlicher Weg vorgezeichnet, der dieser Reise hätte entsprechen können. In einer Quartettbesetzung brachen sich in der Komposition der Estin die Töne sehr verästelt, aber in zwingender Tonsprache ihre Bahn und steuerten einem rhythmisch kernigen Höhepunkt zu.
Andreas Kersting hatte zuvor ein opulentes, farbiges Gemälde zum höchst intimen Gedicht "A barzh ur mor a dud" des bretonischen Dichters Antony Heulin entworfen. Hier glänzte das mit Zink, Gambe und außergewöhnlichem Schlagwerk besetzte Ensemble und war vor allem auf der Ausdrucksebene stark – Uta Krause (Sopran) überzeugte in diesem spannenden Stück mit ihrer flexiblen Stimme zwischen leisester Zartheit und strömender Höhe und zeichnete so die Atmosphäre des nachdenklichen Gedichtes nach. Eine weitere Beziehungsebene fügte der Schauspieler Erik Brünner dem Konzert hinzu: weitere Gedichte von Heulin warfen ein Licht auf den scharf beobachtenden, oft nachsinnend formulierenden Autor.
Im zweiten Teil des Konzertes las Brünner dann aus Stefan Zweigs biographischem Roman "Marie Antoinette" und bildete so die Brücke zu Joseph Haydns 85. Sinfonie "La Reine", der ersten aus einem Zyklus von Auftragswerken für ein Pariser Orchester. Ekkehard Klemm, der schon zuvor mit sicherer Hand durch die Erstaufführungen des Abends leitete, schuf eine packende und vitale Interpretation der Sinfonie, die nur en detail und auch en passant ihre Frankophilie verriet. Das ganz österreichische Menuett nahm Klemm zurückhaltend und wiegend, während das Finale ganz auf rasanten Ausklang bemüht war. Ein vielschichtiger, recht langer Konzertabend ging so zu Ende, der in Wort und Ton viel Platz für Inspiration und Weiterdenken anbot.
Eine Textfassung des Artikels ist am 9. November in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen