Solchen Jubel, solche Begeisterung hat man lange nicht mehr nach einer Premiere in der Dresdner Semperoper erlebt. Mehr als zehn Minuten Applaus für „Schwanensee“. Im Verlauf des Abends schon spart das Publikum nicht mit Beifall für die Solisten, für die außerordentlichen Leistungen der Damen des Corps de Ballet und für die eleganten Tänze beim Walzer des ersten Aktes, für die brillanten Divertissements des zweiten Aktes.
Aaron S. Watkin, Ballettdirektor in Dresden seit 2006, hat zusammen mit Francine Watson Coleman eine zweiaktige Fassung mit versöhntem Finale choreografiert und inszeniert, deren Handlungsverlauf überzeugt. Wie bereits in „La Bajadere“ verbinden die beiden Virtuosität und Charakteristika. Es gelingt zudem, die solistische Passagen, Pas de deux oder die romantischen Showelemente der kunstvoll aufbereiteten national eingefärbten Tänze der Bräute und ihrer Begleiter in den Fortlauf des Geschehens zu integrieren. Der Choreograf und die Regisseurin entscheiden sich bei ihren Bezügen auf die originalen Quellen stets für jene Überlieferungen, in denen sich die Motive der Solisten, der Gruppen und des gesamten Corps ergänzend durchdringen.
So ist es möglich, die Zuschauer in ein phantastisches Mittelalter zu entführen, dessen Überreste eingebettet sind in märchenhafte Naturbilder, für deren Realisierung die bekannten Motive der Dresdner romantischen Malerei Anregung gaben. Dass der Bühnenbildner Arne Walter für seine Räume der Innen- und der Außenwelt, für seine Tag- und Nachtwelten gerne gebrochene Farbtöne bevorzugt, korrespondiert in Wieland Müller-Haslingers Licht mit weiten Passagen der Musik Tschaikowskys. Die wird nämlich von den Damen und Herren der Staatskapelle unter der Leitung von David Coleman ganz wunderbar, vor allem unsentimental, gespielt. Am Ende, nach Walzer, stürmischen Passagen im Wechsel mit meditativen Flächen, dem von Kai Vogler berührend gespielten Violinsolo, ist die Klangwelt des Schwanensees, der sich aus Tränen speist, emotional gar nicht so weit entfernt von der des letzten Satzes der Pathétique. Dieser See ist tiefer und geheimnisvoller als man meint.
Shishov und Vostrotina in Bestform
Dass sich diese beglückende Erkenntnis in der neuen Dresdner Ballettproduktion vermittelt, liegt natürlich an dem gesamten Ensemble, den Solistinnen und Solisten, die alle nach minimalen Irritationen zu Beginn zu ihren Bestformen finden. Da muss zuerst Elena Vostrotina genannt werden, die bei ihrem Debüt als Odette in Weiß und als Odile in Schwarz in der Doppelrolle überzeugt. Zudem hat sie eine hochkonzentrierte Eleganz, die Haltungen ihrer Arme sind bewunderungswürdig und die vielen Pirouetten ihrer Partie gelingen frappierend. Traumhaft sicher wirkt Vladimir Shishov, Gast von der Wiener Staatsoper für den erkrankten Raphael Coumes-Marquet, als Prinz Sigfried. Ein offensichtlich idealer Partner, die Hebungen der Partnerin, schwarz oder weiß, in unwahrscheinliche Höhen, sind von besonderem Zauber.
Das Publikum sparte nicht mit Beifall
Eine Überraschung bietet István Simon aus der Gruppe der Coryphées als Freund des Prinzen, Ausstrahlung, Temperament, Gewandtheit der Sprünge und die Sensibilität als Partner lassen das Publikum jubeln. Im Pas de sept des ersten Aktes lenken Britt Juleen, Claudio Cangialosi und Maximilian Genov die Aufmerksamkeit auf sich. Etwas mehr als zwei Stunden nur brauchen Watkin und Coleman für ihre Schwanenseeerzählung, dabei ist sogar Zeit für eine Rückblende in die zerrüttete Kindheit der Odette, in der Baron von Rotbart, der böse Zauberer, schon eine üble Rolle spielt. Ganz und gar nicht übel ist es zu sehen, wie ihm Oleg Klymyuk eine kräftige aber nicht unbesiegbare Gestalt gibt.
Fotos: Costin Radu