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OSTENde und der Hauch neuen Lebens


OSTENde. Schon die Schreibweise lädt zu Begriffsspielerei ein. Und schließt bewusst Mehrdeutigkeiten ein. IC Falkenberg und Dirk Zöllner sind OSTENde und sie machen eins klar: mit dem Osten sind sie noch lange nicht fertig. Mit im Osten entstandener Musik sowieso nicht. Und doch ist bei ihnen alles ganz anders. Am dritten Adventswochenende rockten sie die Tante Ju in Dresden.

viel Bühnennebel um Frederik Sauer, IC Falkenberg, Helge Marx und Dirk Zöllner (v.l.n.r.)

    Umwabert von Bühnennebel: Frederik Sauer, IC Falkenberg, Helge Marx, Dirk Zöllner (v.l.n.r.)

 

Sie waren ihrer Zeit voraus. Vor sieben Jahren gingen sie mit Eigeninterpretationen ostdeutscher Kultlieder auf ostende Tour 2002. Eine relativ kurze Geschichte. Aus vielerlei Gründen. Einer davon: Viele meinten damals, Ostmusik sei durch, so IC Falkenberg. Welch Irrtum! Längst covern Jüngere, was das Zeug hält. Meist so nah am Original, dass manche Lieder im neuen Kleid schmerzen, manchmal peinlich berühren.

 

Wie es anders gehen kann, machen IC Falkenberg und Dirk Zöllner mit ihrer OSTENde-Band bei den ersten Takten klar. Frederik Sauer arrangierte die Songs mit einer liebevoll-frechen Unvoreingenommenheit, die vermutlich nur ein nicht im Osten erwachsen gewordener Musiker mitbringen kann. Das Entree bildet ein Instrumental, dessen Ursprung sich vielleicht nicht allen Konzertbesuchern sofort erschließt. Bassist Helge Marx, Keyboarder Frederik Sauer, Schlagzeuger Carl-Michael Grabinger und IC Falkenberg tauchen für kurze Momente aus dem Bühnennebel auf. Dirk Zöllner beobachtet das fast mystische Bild weitgehend unerkannt aus dem Publikum. Um die Treppe zur Bühne dann doch noch zu finden. Erleichterung und klare Ansage: Wir sind die Sonne, ein Stern Meißen Klassiker, folgt im gesanglichen Duett. Erstaunlich, wie viele Adaptionen dieses Lied in letzter Zeit erfahren hat und dass es immer noch überraschen kann. Wind trägt alle Worte fort, eine der schönsten Balladen von Lift, folgt. „Worte, Worte wärmen nicht, wenn man in den Wind sie spricht“, heißt es darin. Den Anwesenden muss das niemand erklären. Sie sind da, weil sie melodische und textliche Tiefe schätzen. Ostdeutsches Erbe eben. Wie der sich anschließende Glastraum von City, von OSTENde recht spacig aufgehübscht. 

Es gehe nicht darum, Fasching zu machen, erklärt Dirk Zöllner, sondern darum, die Lieder mit Würde zu behandeln. Bei Viel zu weit, einem Zöllner-Lied mag das noch leicht erscheinen. Bei Ich beobachte dich, bekannt durch  Tino Eisbrenner und Jessica, traut man seinen Ohren kaum. Im Funk-Gewand offenbart der Song einen vorher eher unscheinbaren Trotz. Auch Hansi Biebls Momente kann auf Blues verzichten. Und geht stimmlich unter die Haut. Den beiden Frontmännern möglicherweise auch. Sie unterbrechen das bis jetzt halbstündige Konzert für eine Raucherpause. 

 

Doch sie versöhnen nicht nur die Nichtraucher kurz darauf mit Stefan Treptes Mein Herz soll ein Wasser sein. Synthi-Bläser und die zwei markanten Männerstimmen zaubern Gänsehaut. Gefühle, ein Rockhaus-Klassiker, schließt an. Endlich können IC und Dirk Zöllner ihre Rockerseelen ausleben. Bass-Virtuose Helge Marx steht ihnen in nichts nach.  „…immer wieder, bis du mich holst“, singt Zöllner und fegt den Mikrofonständer um. IC kommentiert: „Ein sportlicher Abend heute, du gehst schon das zweite Mal in den Liegestütz…“

Das Publikum genießt die authentische Live-Atmosphäre sichtlich. Vergessen Gerüchte um die siebenjährige OSTENde-Karenz. Auch wenn es wieder ernster wird mit Sillys Gib mir Asyl und Karats König der Welt. Die Überraschung des Abends dürfte für viele Der blaue Planet sein.  Ein Lied, das so selbst Karat noch nicht kennt, von denen sich die Barden ein neues Album wünschen. Kein Wunder. Rock, House, HipHop – die OSTENde-Version gerät in Trance, untermalt von techno-verwandtem Lichtspektakel. Was machen da kleine  Texthänger schon? 300 Kehlen aus dem Saal springen unaufgefordert ein und singen den Refrain. „Uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten.“ Das war im Osten sowieso schon immer klarer. 

 

Als ich fortging von Dirk Michaelis und Nach Süden von Lift beschließen einen Abend, der in dieser Form auch 2009 nur Teil einer Kurztournee war. Ob sie 2010 weitergeht, ist offen. Dem Publikum nach ist das keine Frage, sondern ein Aufruf. „Unsere Zeit ist vorbei“, scherzt IC Falkenberg. Dirk Zöllner und er kokettieren mit ihrem Alter und mit Ihrem Äußeren. Sie nehmen sich selbst auf die Schippe und sie haben Spaß daran. Das Ruder werde an die nächste Generation übergeben. In der Tante Ju glaubt das keiner. Es wird gepfiffen und gejohlt.

 

Zugaben von Holger Bieges Reichtum der Welt bis zu Ines Paulkes Hauch mir wieder Leben ein setzen einen Schlusspunkt, der unterstreicht, wovon man hier niemandem mehr zu überzeugen braucht. Es geht weder um den Abgesang auf Vertrautes, noch um (N)Ostalgie. Es geht um Tiefe. Um Kraft von Worten. Um berührende deutsche Musik. Und es geht um Hoffnung auf Veränderung. Nicht nur in der Musik.

OstENDE? Noch lange nicht. Definitiv!