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Tanz aus Stille. Spaß aus dem Ärmel. Fabian Barba und Ivana Müller mit Erinnerungsstücken in Hellerau

Unterschiedlicher hätten die beiden Angebote nicht sein können, mit denen das Hellerauer Team eine zur Fortsetzung angelegte Reihe eröffnete, in deren Veranstaltungen es um das Feld der Erinnerungen und Archivierungen in direktem oder indirektem Bezug zum Tanz gehen soll. „Cahiers de Danse“ heißt diese Reihe, und der Auftakt ist gelungen. 

 

Zunächst die optische Provokation. Die geschlossene Bühne im großen Saal des Hellerauer Festspielhauses. Davor zwei Kronleuchter, die das leicht verschlissene Ambiente eines lange nicht mehr betretenen Salons des geschlossenen Grandhotels erinnern möchten. Allein das Licht ist schwach. Hier findet „A Mary Wigman Dance Evening“ statt. 
Aus einem Nebenraum, von ferne, ungenau, Musik. Klavierklänge, manchmal von Eric Satie, manchmal klingen sie auch nur so. Flöten kommen dazu, Gongs und Schellen auch, keusche Exotik. Ein unsichtbarer alter Apparat erinnert sich. Dann im Lichtkreis mit gewaltigem Schatten im Rücken ein Mensch im Gewand einer Erinnerung. Es ist der Tänzer Fabian Barber aus Ecuador, der sich seit Jahren an Mary Wigman erinnert, indem sich ihre Tänze, ihre Aura, ihre Visionen für die kurzen Augenblicke der Tänze aus drei Zyklen der Jahre 1925 bis 1929 einverleibt. Filme, Briefe, Fotografien, Beschreibungen und Hinweise von Fachfrauen, Schülerinnen der Wigman, haben im geholfen.

Wüssten wir nicht, dass da ein Mann im Lichtkreis steht, gleich auszumachen wäre es nicht, wer das ist, in diesem beinfreien goldbraunen Abendkleid mit bedeckten Schultern. Beschwörend immer wieder die gefalteten Hände, erhoben oder vom Körper gestreckt. Zumeist berührt in den folgenden Miniaturen, der jeder ein eigenes kostbares Gewand gebührt, der ganze nackte Fuß den Boden, die Drehungen grüßen von Ferne im züchtigen Maß den Derwisch, die Sprünge bleiben eher klein und scheu. Immer haben die Tänze etwas von einer Zeremonie, Erinnerungen der Erinnerung. Der Tänzer mit dem zartgliedrigen Körper vermittelt den Eindruck eines Mannes, der sich jener Kindheitsepisoden erinnert, bei denen er allein und eingeschlossen in den längst vergessenen Kleidern und Kostüme die Gesten in den Düfte einer verschollenen Tante nur für sich und einen Spiegel zelebriert. Sie sei eine Tänzerin gewesen, geht der Ruf von der Verwandten,  leidenschaftlich, stark und ihre Faszination habe Raum und Zeit beherrscht. Nein, eine Beschwörung all dessen, wie man sie ja mehrmals schon scheitern sah, ist Fabian Barbas Sache nicht. Behutsam testet er die Gesten, die Bewegungen, die Räume aus, und so wie er sich seinem Rätsel nähert, lässt er uns daran teilhaben. Wenn wir frei genug sind von allem Deutungs- und Verstehenszwang, können wir uns diesem seltenen Zauber seiner Stunde mit neun Tänzen aus Stille und Konzentration, die nichts beweisen, nichts erklären, nichts erläutern, nur geschehen wollen, öffnen.

Da lässt uns nach der Pause Ivana Müller aus den Niederlanden mit ihren drei Frauen und drei Männern in dem Stück „Playing Ensemble Again and Again“ gar keine Wahl. Drei mächtige Akkorde vom Finale einer Sinfonie, donnernder Applaus vom Band und dazu das „Ensemble“ in einer verblüffenden slow motion Choreografie in Applausordungen und Unordnungen, Abgängen und Auftritten, fünf Minuten in einer Stunde. In dieser Stunde erfahren wir so gut wie alles, was wir eigentlich schon wissen was aber  immer wieder gerne gehört wird, dass das Theater eben nichts anderes als Theater ist. Wir hören, auch das ist nicht neu, aber immer wieder amüsant, was die Schauspieler denken, bzw. woran sie denken oder sich erinnern, dieweil sie unserem Beifall mit obligatem Lächeln und üblich gewordenem Gegenapplaus begegnen. Die Grenzen zur Abwehr sind fließend. 

So, wir erfahren, wer mit wem und wer nicht mit wem. Wir erfahren, was man aus der Gasse sah und was schief ging, dass man vor der Vorstellung über den Weihnachtsmarkt ging und wohin man nachher mit wem gehen will, und dass das alles schon ewig geht und weiter gehen wird. Das ist witzig und gut gemacht, die Performerinnen und Performer sind Meister und Meisterinnen des unterkühlten Minimalismus, ihr Können kann aber nicht verhindern dass sich das alles doch ganz schön schnell erschöpft, wenn nicht gar erledigt. Sie sagen uns das alles nämlich, in Englisch, klar. Auch wenn man nicht alles versteht, ist es doch noch zu viel. Der Versuch auf Worte zu verzichten, durch den Tanz allein etwas von der Einsamkeit der Darsteller im Theater am laufenden Band zu vermitteln, war wohl nicht im Blick oder wich im Kalkül der Berechenbarkeit der gefälligeren Form. Der nächsten Veranstaltung „Cahiers de Danse # 2“ blickt man in der Erinnerung an die erste gerne entgegen.

Fotos: Franziska Aigner

Eine Textfassung des Artikels ist am 12.12. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.